Kompass – Zeitung für Piraten

Prävention

CC BY-NC-ND Adriano Gonçalves/StockXchange
Foto CC BY-NC-ND Adriano Gonçalves/StockXchange

Die Aussage „Medicin ist eine sociale Wissenschaft“ wird sowohl Rudolf Virchow (1821-1902), als auch Salomon Neumann (1819-1908) zugeschrieben (1). Wir fragen uns, ob sie heute noch Raum im Bewusstsein von medizinischen, pflegerischen, erzieherischen und gesetzgeberischen Berufen ist.

Prävention in der Gesellschaft, das sind bislang Gesundheitsförderung, Empfängnisverhütung, Lernförderung, Sucht- und Gewaltprävention, aber auch Brandschutz, Hochwasserschutz sowie Arbeits- und Verkehrssicherheit. Auf allen diesen Feldern sehen wir uns ganz gut aufgestellt, vermuten aber Verbesserungspotential. Verbesserungsbedarf wird zwar immer wieder, aber leider kleinteilig bei konkreten Unglücken und Vorfällen erkannt (beispielsweise Loveparade) und dann nacheilend in Ausstattungen, Regeln, Gesetze oder Ausbildungen umgesetzt. Frühe zaghafte Versuche der aufklärenden Prävention erlebten wir in den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts beispielsweise mit dem Sexualkundeunterricht und dem Verkehrsunterricht. Beide zielten darauf ab, bei Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein für Gefahren und für die Folgen ihres Handelns zu bewirken.

In unserer Zeit stellt sich eine Zahl von gesellschaftlichen Problemen dar, die von Bildung und Erziehung, von Politik und Verwaltung nahezu ignoriert werden. Gerade wurde „Opfer-Abo“ zum Unwort des Jahres 2012 gekürt. Diese Wortschöpfung vom Schweizer Fernsehmoderator Jörg Kachelmann zielt zwar auf Frauen ab, die mittels Falschaussagen ihre Interessen gegenüber Männern durchzusetzen versuchen, „Opfer-Abo“ ließ mich aber sofort an die Opfer von Abofallen denken, seien es die althergebrachten überrumpelnden Haustürgeschäfte oder die irreführenden oder betrügerische Internetseiten. Die PIRATEN- Abgeordnete im Landtag NRW Simone Brand hat zum Bundesparteitag 2012.2 in Bochum einen Antrag formuliert, der Prävention weiter und anders fasst als bisher.

Antragstext:

Verbraucherbildung

Die Piratenpartei setzt sich nachhaltig für die Förderung von Konsum- und Alltagskompetenzen im schulischen Bereich ein. Junge Menschen haben ein Recht auf eine umfassende Verbraucherbildung, wie es die Vereinten Nationen seit 1999 fordern. Daher setzt sich die Piratenpartei dafür ein, dass bundeseinheitliche und verbindliche Bildungsrichtlinien für die Felder · Ernährung und Gesundheit · Finanzen · Verbraucherrecht · Medien · Nachhaltiger Konsum geschaffen werden. Darüber hinaus wird die Piratenpartei sich dafür einsetzen, dass in der Ausbildung von Lehrern die Voraussetzungen geschaffen werden, um eine solide Verbraucherkompetenz vermitteln zu können.

Um dies zu erreichen, fordert die Piratenpartei:

▶ Schaffung von Verbindlichen bundeseinheitlichen Bildungsstandards zur Verbraucherbildung, die alle fünf Konsumfelder/-bereiche abdecken

▶ Stärkere Verankerung der Verbraucherbildung in den schulischen Lehrplänen

▶ Dementsprechende Förderung der Verbraucherbildung in der Lehreraus- und Lehrerfortbildung

▶ Unterstützung der Schulen und der Lehrkräfte, die gesetzten Rahmenbedingungen / bildungspolitischen Vorgaben im Schulalltag umzusetzen

▶ Stärkung der Verbraucherbildungsforschung.

Neben den bekannten Feldern der Vorsorge und Prävention wie Gesundheitsförderung, Empfängnisverhütung, Lernförderung, Sucht- und Gewaltprävention, Brandschutz, Hochwasserschutz und Arbeits- und Verkehrssicherheit werden hier zeitaktuelle Problemfelder angesprochen. Nur ein gebildeter und informierter Verbraucher kann die für sich richtigen Entscheidungen treffen. Das gilt natürlich nicht nur für politische Fragen, sondern lässt sich auf alle Lebensbereiche übertragen. Wie soll ein Verbraucher denn entscheiden, welches Nahrungsmittel gesund und gut für ihn ist, wenn er nicht weiß, was die abgedruckten Informationen auf der Verpackung bedeuten? Bereits in den Kindergärten und Schulen muss das notwendige Wissen vermittelt werden.

Leider ist es hier bei unseren Regierungen bisher bei warmen Worten geblieben. Es wird nur äußerst schleppend darauf reagiert, dass das praktische Wissen über eine gesunde und ausgewogene Ernährung immer weiter zurückgeht. Die Folgen dieser Politik treten immer deutlicher zu Tage. Diabetes Erkrankungen, Allergien und Mangelerscheinungen kommen immer häufiger auch schon im Kindesalter vor. Auch die Schulkantinen sind dabei keine große Hilfe, da ihnen leider keine ausreichenden Mittel zur Verfügung gestellt werden. Hier muss sich eine verantwortungsvolle Politik der Aufgabe stellen, den Bildungseinrichtungen die notwendigen Hilfen und Finanzen zur Verfügung zu stellen.

Ernährungslehre muss ein wichtiger Bestandteil im Unterricht und den Lehrkräften das notwendige Wissen dafür bereits im Studium vermittelt werden. Aber nicht nur im Bereich Ernährung und Gesundheit fordern die Piraten eine bessere Bildung. Auch in den Themenfeldern Verbraucherrecht, Medienkompetenz, Nachhaltiger Konsum und Finanzen ist die Situation dramatisch. Die meisten von uns kennen wohl überteuerte Handyabos, dubiose Sofortkredite und sittenwidrige Ratenverträge. Immer mehr Jugendliche geraten dadurch in die Überschuldungsfalle. Eine sinnvolle Verbraucherbildung muss dafür sorgen, dass unsere Jugendlichen nicht bereits mit einem Schuldenpolster ins Erwachsenenleben starten. Bürger müssen über ihre Rechte und auch über ihre persönliche Verantwortung als Verbraucher informiert sein.

Eine besondere Verantwortung kommt auf jeden einzelnen Verbraucher zu, wenn es um nachhaltiges Konsumverhalten geht. Schonender Umgang mit unseren Ressourcen hat für die meisten Verbraucher leider immer noch nichts mit ihrem Verhalten im Supermarkt zu tun. Wir als Partei haben hier auch die Aufgabe aufzuklären. Mehr als die Hälfte aller Lebensmittel landen auf dem Müll. Der Preis von 4 Euro für ein Kilo Schweinefleisch lässt sich nur durch subventionierte Überproduktion und die systematische Verdrängung von Kleinbauern erreichen. Jedem einzelnen Verbraucher muss klar sein, dass eine Entscheidung weg vom Massenkonsum und hin zum bewussten Einkauf direkten Einfluss auf den Markt hat.

Nur so lassen sich Probleme wie Foodwaste und unwürdige Zustände in der landwirtschaftlichen Tierhaltung dauerhaft beseitigen. Der Verbraucher selbst hat die Macht, durch gezielte Kaufentscheidungen den Markt zu beeinflussen. Die Aufgabe der Politik wird es sein, den Verbrauchern die notwendigen Informationen dazu mit auf den Weg zu geben. Wir Piraten stellen uns dieser Aufgabe. In anderen Anträgen fordert die AG Drogenpolitik der Piratenpartei unter anderem eine deutliche Verbesserung des Drogen- und Suchtpräventionsarbeit an unseren Schulen. Es fehlen entscheidende Grundlagen bei der Ausbildung der Lehrkräfte und auch Schulungsmaterial nach neuestem wissenschaftlichen Kenntnisstand. Ferner fordern die Fachpiraten auch dringend nötige Novellierungen bei Präventions- und Therapieprogrammen nicht nur im Bereich der Schwerstabhängigkeit ein. Statt hier weiterhin regelmäßig die Mittel zu kürzen, sollen sehr erfolgreichen Pilotprojekte – wie z.B. die Diamorphinprogramme in Köln und Bonn – flächendeckende und ausreichend finanzierte Anwendung finden.

Über alles betrachtet darf Prävention nicht als Privileg für die Jugend betrachtet werden. Prävention nimmt gerade im Umgang mit Alten und Kranken eine wichtige Stellung in der Gesellschaft ein. Wurde Prävention im Bereich der Pflege und Medizin lange Jahre nicht so in den Fokus gesetzt, hat sich schon alleine durch die neue Begriffsbildung des Berufes Krankenpflege in Gesundheits- und Krankenpflege viel verändert.

Die Bewahrung und Wiederherstellung von Gesundheit durch Beratung, Schulung und Aktivierung ist zu einem zentralen Dreh- und Angelpunkt sowohl im Krankenhaus, als auch in der ambulanten und stationären Pflege geworden. Die Pflege der Gesundheit wird in einer älter werdenden Gesellschaft der Maßstab zum Erhalt von Lebensqualität. Steigende Lebensqualität und Zufriedenheit mit sich senkt zugleich die volkswirtschaftlichen Belastungen. Denn die gute Prävention vermindert die Gefahr teil- oder voll pflegebedürftig zu werden. Schlussendlich muss die moderne Pflege und Medizin den Fokus von der Heilung von Krankheiten hin zum Erhalt und der Steigerung von Gesundheit durch Präventions- und Aufklärungsarbeit verlagern.

Bildung beginnt für jeden Menschen mit der Geburt. Lebenslanges Lernen in allen Belangen der Lebensführung ist für den aufgeklärten und selbstbestimmten Menschen ein Muß. Prävention ist Bildung und als solche immer eine gute Investition in unsere Zukunft.

(1) Zitat „Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention e.V.“

CC BY-SA MANFRED SCHRAMM (et al., siehe oben im Foto)

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