3sat wiederholte am Donnerstag, 24. Juli 2014 die Sendung „Gefährliche Geheimnisse:
Wie USA und EU den Freihandel planen“. Sie wurde im März erstmals ausgestrahlt.
Doch jetzt ist das Thema hochaktuell:
In diesen Wochen verhandeln die USA und die EU hinter verschlossenen Türen über ein Freihandelsabkommen namens TTIP, das 2015 in Kraft treten soll. Die Geheimverhandlungen bedrohen massiv die Rechte der Bürger in Europa, schreibt der Sender. Und keiner der 800 Millionen US- und EU-Einwohner, abzüglich den rund 1.000 beteiligten Lobbyisten, weiß genau, worum es wirklich bei TTIP geht.
Der TV-Bericht zieht die TTIP-Problematik von der Verbraucherschutzseite, speziell den Lebensmitteln, her auf. Es geht los mit den oft bemühten Chlorhühnchen, und zwar, was daran wirklich so problematisch ist: nämlich das nachträgliche Aufhübschen mit immer höherer Chlorkonzentration. Das ist nötig, damit billige, wenig hygienische Chickenfleischherstellung möglich wird.
Seit 1997 ist US-Amerikanischen Produzenten der Zugang zum EU-Markt mit „Chlorhühnchen“ verboten. „Wir benutzen gechlortes Wasser seit fast 60 Jahren zur Geflügeldesinfektion“, sagt ein US-Verbandsmensch. Einen Betrieb durfte das TV-Team nicht besuchen. Aber Insider wissen, was darin vorgeht.
Eine Farmerin und ehemalige Geflügel-Inspektorin berichtet: die Fließbandgeschwindigkeit wurde in einem Pilotprojekt auf 175 Chicken/Minute erhöht. Das hat die Keimzahl erhöht. Mehr „Chlor“ musste also ins Chlorbad. „Das ist eine ganz schlimme Sache“ vor allem für die dort Arbeitenden. In den Hochchlor-Pilotanlagen hat zukünftig die staatliche US-Lebensmittelaufsicht nichts mehr zu suchen: 40 Prozent Personalabbau ist anberaumt, dafür hat es soviel Chlor, dass es Löcher in den Betonboden fressen kann (der allerdings sehr säureempfindlich ist, von Natur aus). Will man so etwas im Körper haben?
Die Aufarbeitungs-Chemiekeule wird rücksichtslos geschwungen. Eine lebensmittelvergiftete Geflügelinspektorin wurde von Peroxisäure aus der Bahn geworfen, wurde lungenkrank.
„Die Säurehersteller haben keine Versuche an Menschen durchgeführt, die Regierung hat es genehmigt und zugelassen“. Welche Bedeutung hat Lebensmittelsicherheit in den USA? Gehen Behörden Kompromisse ein?
Karen Hansen-Kuhn, Handelsforscherin, sagt: Die meisten Prüfungen werden von den US-Unternehmen selbst durchgeführt. In der EU gibts einen ganz anderen Ansatz. Man muss vor dem Inverkehrbringen beweisen, dass Lebensmittel sicher sind. Das ist mit dem US-Vorgehen inkompatibel.
0,5 Prozent Wirtschaftswachstum versprechen sich die TTIP-Macher. Doch die Verhandlungen sind geheim. Sind die hohen europäischen Standards Verhandlungsmasse? Die Autohersteller wollen leichteren Marktzugang. Martin Häusling, Grüne, EU-Parlamentarier: „Warum wird das verhandelt, wenn es nicht abgesenkt werden soll?“ Er fürchtet, dass es keine Tabus mehr gibt. Die EU hat 20 Jahre Kampf gegen den Import von Hormonfleisch geführt. Mit diesem Freihandelsabkommen ist zu befürchten, dass dieses Fleisch zu uns kommt.
Colorado, 80.000 Stück Vieh an einem Standort. Maisverfütterung. Der Rindfleischkonsum geht in den USA zurück, der Maispreis ist gestiegen wegen Ethanolerzeugung für den Biosprit usw. Die Margen sinken. Deshalb setzen Produzenten Wachstumshormone ein. John Wagner, Colorado State University, US-Experte: aus wirtschaftlicher Sicht verbessern die Hormone die Schlachtrind-Produktion. Ca. 150 Pfund zusätzliches Schlachtgewicht gibt es so. „In einer perfekten Welt gibt es unabhängige Studien, nicht Industriestudien“. Der Hormonnachweis im Fleisch ist schwierig.
Bleibt es nach TTIP beim Hormonfleischverbot? Aber auch: wird die EU sich dem auch ohne TTIP-Abkommen widersetzen können – angesichts der bereits bestehenden Handelsabkommen?
In Genf bei der WHO: einmal im Jahr großes Lebensmittel-Standard-Treffen. Seit Jahren wird über Schweinemast-Wachstumsbeschleuniger Ractopamin verhandelt. Die EU verweigert sich. In diesen WHO-Verhandlungen lies sich die USA nicht so leicht bezwingen. 2012 kam es zur Hormon-Abstimmung: diverse Delegierte wurden bearbeitet, mit 2 Stimmen Mehrheit haben sie gewonnen. Jetzt machen die USA Druck auch EU und China, um Fleischeinfuhr mit Ractopamin zu ermöglichen. Die US können so jetzt schon Staaten verklagen, denn diese WHO-Voten sind völkerrechtlich bindend.
Regulatorische Kooperation
Pia Eberhardt, laut TAZ „das Gesicht gegen TTIP“, ist von einer Anti-Lobby-Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) in Brüssel und sagt: „Uns ist ein TTIP Dokument zugespielt worden, aus 2 verschiedenen Quellen, zum Kapitel der „regulatorischen Kooperation“. Das gefährlichste Kapitel. Es geht um Unterwanderung von Demokratie. Vieles soll im vorparlamentarischen Raum ausgeklüngelt werden: Parlamente werden entmachtet, die Lobby hat sehr früh Einfluss.“ Alle weiteren Verhandlungen laufen nur noch mit der Gegenseite, ein gutes Stück vorher mit der Industrie. Bruno Kramm von den PIRATEN nennt dies einen „Aus-Knopf“ für die Demokratie.
Was aber geschieht bei neuen Erkenntnissen? Etwa zur Chemikalie BPA, sie ist umstritten, aber noch erlaubt. Vor allem im Verpackungs-Plastik und Konservendosen, Thermopapier von Kassenzetteln.
2011 verbietet die EU BPA in Babyflaschen und Schnullern. Ca. 90 Prozent der Bevölkerung in Industrieländern sind chronisch mit BPA belastet, das zeigt sich an Urinproben. Neueste Erkenntnisse: BPA ist fettlöslich, ist in Körpergeweben chronisch vorhanden, bleibt auch da, wird nicht so leicht ausgeschieden. An der Uni Bonn gabs weitergehende Versuche: BPA blockt wichtige Funktionen in der Zellmembran, hemmt Kontraktion der Herzmuskelzellen im Labor-Mäuseversuch. Vielleicht müssten schon bald Standards zu BPA neu definiert werden. Aber wie dann mit „regulatorischer Kooperation“, also Zwangsabstimmung mit der US/EU-Industrielobby im TTIP-Regime, bevor das Parlament Gesetze machen darf? Es würde nach Meinung der Kritiker im TV-Bericht unmöglich, wenn es im Einvernehmen mit dem USA abgestimmt werden muss.
ISDS
Im TTIP sind aber noch weitere Klauseln versteckt: das ISDS-Klagerecht – vertraglich abgesicherter Investorenschutz.
Karen Hansen-Kuhn, Int. Handelsexpertin: „Die Folgen sind ohne Präzedenzfall im internationalen Völkerrecht. Konzerne können klagen, wenn die Gewinnprognose gefährdet ist“
Diese Klagen laufen vor internationalen Schiedsgerichten, hier gelten keine demokratischen Regeln. Das Urteil kann nicht angefochten werden. Mittlerweile laufen 500 solcher Verfahren. Phillip Morris gegen Australien wg. Bilder auf Zigarettenschachteln etwa. „Das ist ein Dämpfer für das Gemeinwohl“.
Todd Tucker, Politikwissenschaftler berichtet über Renco versus Peru in Sachen Bleivergiftung durch ihr Werk, das Unternehmen klagt dann vor einem Schiedsgericht satt die Umweltsauerei abzustellen. Renco fordert 800 Millionen Dollar Schadenersatz von Peru. „Jedensmal, wenn Regierungen Umweltschutzgesetze erlassen, müssen sie an Unternehmensklagen denken“. Die EU hat die ISDS-Verhandlungen bis zu den EU-Wahlen ausgesetzt. Nur ein Schachzug?
Gentechnik verhandelbar?
Gentechnik könnte eine weitere Verhandlungsmasse sein. Martin Häusling: „Wir haben Wahlfreiheit der Verbrauchen. In den US gibt es keine gesonderte Kennzeichnung, ist normaler Standard in der Landwirtschaft“. Amerikanische Verbraucher haben keine Wahl, 60 Prozent der Lebensmittel enthalten genveränderte Bestandteile. Dazu werden in den USA über 30 Jahre alte wissenschaftliche Erkenntnisse herangezogen. Das mächtige US Grains Council drängt, dass in den TTIP-Regeln die Gen-Barrieren abgeschafft werden. „Wissenschaftliche Beweise“ werden herbeiargumentiert für den ersehnten EU-Marktzugang.
Die Forschungszentrale von Monsanto: Roundup-Ready-Produzent, mit Pflanzen, die resistent gegen Glyphosat sind. Es wird ein Farmer gezeigt, der das Produkt verwendet: „Einfacher gehts nicht“. Von 1996 bis 2010 hat sich der US-Verbrauch verzehnfacht. Aber die Evolution schlägt zurück: „Superweeds“ wollen einfach nicht mehr absterben! Wie in einem Horrorfilm!
Es dauert 15 Jahre, ein neues Pflanzengift zu entwickeln. Ein Wettauf mit der Zeit: die Landschaft in den USA ist bedroht. Sie wuchern alles zu, sind kaum zu stoppen. Manche dieser „Höllenpflanzen“ wachsen 6-7 Zentimenter am Tag und verstreuen eine Million Samen! Diese drei Meter hohen Monsterpflanzen vernichten die Ernte. Manche Landstriche müssen völlig aufgegeben werden.
Dioe Vorbereitungen des Handelsabkommen laufen auf vollen Touren. Nur wenige Details sind durchgesicktert. Ist das angemessen, wenn es um eine so große Sache geht? Erste Protokolle sind extrem geschwärzt. Pia Eberhardt beklagt: „alles intransparent“.
Skepsis ist eine gesunde Antwort darauf. Es geht nicht mehr um Verbraucherschutz, sondern um Grundprinzipien der Demokratie. Hier wird der TV-Bericht etwas pathetisch und parteiisch: „Wir sollten sie einfordern, und verteidigen“.
Yesss, sir.