Kompass – Zeitung für Piraten

Landesverrat durch Copy-Paste: Netzpolitik.org-Schreiber im Zentrum staatlicher Ermittlungen

Auch wenn die Solidarität eher einseitig ist: PIRATEN wollen hinter den Netzpolitik-Bloggern stehen
Auch wenn die Solidarität eher einseitig ist: PIRATEN wollen hinter den Netzpolitik-Bloggern stehen, so ein Tweet der Partei

#Landesverrat: in dieser Sache ermittelt die Justiz gegen das bekannte Blog „Netzpolitik.org“. Generalbundesanwalt Harald Range, der höchste Strafermittler der Bundesrepublik führt die Ermittlungen gegen die beiden Redakteure André Meister und Markus Beckedahl.

Der Zorn der Geheimen dreht sich um zwei Artikel aus Februar bzw. im April. Hier ging es etwa um Personalplanung für eine NSA-artige Internetüberwachung für den deutschen Teil des Internet. Darauf erstattete der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, Strafanzeige. Der Generalbundesanwalt ermittelt.

Kristos Thingilouthis, politischer PIRATEN-Geschäftsführer
Kristos Thingilouthis, politischer PIRATEN-Geschäftsführer

Für Kristos Thingilouthis, Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Deutschland, geht das eindeutig zu weit:

„Ermittlungen wegen Landesverrats gegen Journalisten hat dieses Land seit der Spiegel-Affäre 1962 nicht mehr gesehen. Seitdem ist eigentlich klar: In einer Demokratie hat der Staat die Presse in Frieden zu lassen! Missstände aufzudecken und bekannt zu machen ist die wichtigste Aufgabe des Journalismus. Dem sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Netzpolitik.org vorbildlich nachgekommen. Eine Strafe haben sie dafür nicht verdient!“

Gemäß Paragraph 94 Strafgesetzbuch (StGB) droht den potentiellen Landesverrätern mindestens ein Jahr Gefängnis. Eigentlich ist der selten genutzte Straftatbestand für klassische Spione vorgesehen.

So spekuliert die Piratenpartei in ihrer Pressemeldung, eine Anwendung auf die „Journalisten“ von Netzpolitik.org wird sich kaum begründen lassen: Ermittelt wird wegen der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen (Paragraph 94 Abs. 1 Nr. 2). Das sei laut PIRATEN aber nur dann strafbar, wenn es geschieht „um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen.“

Die Internetpublikation Netzpolitik.org gibt es seit 2002. Sie startete als Nebenbei-Ein-Personen-Blog von Markus Beckedahl in der Berliner Politikkommunikations-Agentur „New Thinking“. Waren es in der Anfangszeit eher lauwarm weitergebloggte Tagesmeldungen, machten die netzpolitschen Schreiber in letzten Jahren durch Original-Geheimdokumente-Veröffentlichungen im Stil von Wikileaks von sich reden. Die wurden und werden ihnen durch allerlei Quellen rund um den Bundestag durchgesteckt.

da_muss_sie_ranInformierte Kreise vermuten: meist aus dem Umfeld wohlgesonnener Grünen- und Linken-Abgeordneten, die teilweise auch Auftraggeber der angeschlossenen Agentur sind. „New Thinking“ leistete sich laut Medienberichten im Berlin-Wahlkampf 2011 ein besonders peinliches Fail mit Fakes in einer Online-Bürgerbeteiligungs-Kampagne für die gescheiterte GRÜNEN-Kandidatin Renate Künast.

Beckedahl ist in der Berlin-Szene sehr gut vernetzt. Seit einiger Zeit holt er vielversprechende Jung-Aktivisten aus ganz Europa in seinen Blogverlag, besorgt ihnen Jobs in Berlin. Der „Chaos Computer Club“ entschied vor wenigen Jahren, sich in sein Blog mit einer relativ gewaltigen Finanzspritze quasi einzukaufen. Diverse CCC-Sprecher publizieren dort regelmäßig Original-Content.

Beckedahl und Meister müssen sich nicht allzuviel Sorgen machen. Sie haben nun ihren Moment in der Massenöffentlichkeit, das Thema läuft in den Nachrichten rauf und runter.

Durch das Netz tobt seit Donnerstag nachmittag eine gewaltige Solidarisierungswelle, die Blogger-Kontonummer wurde zum trendenden Hashtag #DE62430609671149278400 im sozialen Kurznachrichtendienst Twitter.

Netzfreiheitsdemos wie die Stationen der „Freiheit-statt-Angst“-Tour haben nun neben Vorratsdaten und BND/NSA-Selektoren einen weiteren Aufreger, den „#Landesverrat“, zur Mobilisierung.

Und im großen Ganzen: das alles vermutlich ein kleiner sommerlicher Warnschuß aus dem Kanzleramt: eben, was so passiert, wenn man Geheimnisse leakt. Unvorstellbar, dass ein subalterner Beamter die Landesverrats-Anzeige stellt, ohne Kanzleramtschef Peter Altmaier oder Kanzlerin Angela Merkel um Freigabe zu ersuchen. Oder war es ein sommerlicher Ausfall der Urlaubsvertretung? Jedenfalls wurde die für heute angesetzte Regierungspressekonferenz hektisch abgesagt.

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