Heute auf dem Workshop PR-Basics auf der FlauschCon wurde ich unversehens mit dem Ansinnen konfrontiert, eine groß angelegte PR-Kampagne in Sachen Beschneidungsurteil aufzuziehen. Um nicht zu sagen: Ich wurde damit überfallen. Denn im Grunde stand das da nicht auf der Agenda; es sollte um PR-Aktionen als Solche und die Grundlagen der Öffentlichkeitsarbeit im Allgemeinen gehen.
Aber OK. Jedenfalls ließ ich mich da zu der persönlichen Einschätzung hinreißen, dass sich dieser Gegenstand aus meiner Sicht nicht für so was eignet. Ich habe bei der Gelegenheit die These in den Raum gestellt, dass man bei diesem Thema nur verlieren könne. Das war etwas überspitzt, aber in der Gesprächssituation hielt ich das für notwendig, denn für eine differenzierte Betrachtung war das dort nicht der Ort und nicht die Zeit.
Eine differenzierte Betrachtung scheint mir im Nachhinein allerdings lohnend, und zwar weil man daran schön meine PR-These des Tages veranschaulichen kann:
Innerparteilicher Konsens ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Themensetzung unserer PR.
Womöglich gäbe es bei einer Kampagne gegen religiöse Beschneidung tatsächlich was zu gewinnen, aber nicht besonders viel. Dieses Wenige zu gewinnen, wäre sehr schwierig; es würde höchsten Einsatz und maximales Fingerspitzengefühl erfordern. Mit einem Wort: Virtuosen auf der Klaviatur des gesamten Marketing-Arsenals.
Die sind wir – noch – nicht. Wir können es uns auch nicht leisten, welche anzuheuern; und selbst wenn wir die Mittel hätten, muss man sich die Frage stellen, ob und warum man sie dafür einsetzen will und nicht lieber für was anderes.
Wir hätten aber jede Menge zu verlieren. Und das geht viel einfacher. Dafür müssten wir nur einfach genau solche Piraten-PR machen, wie sie, nicht ausschließlich, aber vielfach, seit Jahren läuft. Mit dem an entscheidenden Stellen zu geringen Maß an Sachkenntnis und Fingerspitzengefühl, das noch kaum je einen Piraten gehindert hat, seinen Senf zu irgend etwas beizusteuern. Mit den unreflektierten Ego-Trips, den unzulässigen Verallgemeinerungen, der Doppelmoral, den saudummen Fehltritten, und in diesen Tagen auch mit dem mehr oder weniger dürftig verschleierten Streben nach Profilierung im Vorfeld etwaiger Bundestagskandidaturen. (Und damit meine ich ausdrücklich nicht die Verfasser der entsprechenden Initiative im Liquid Feedback – aber bei einer Kampagne läge all das nicht mehr allein in deren Hand.)
Mit derlei PR würden wir bei diesem Gegenstand dann aber nicht nur auf der Meinung anderer Leute herumtrampeln – das wär OK, das ist politischer Diskurs – sondern zugleich auf deren religiösen Gefühlen. Und damit auf einem knallroten Knopf, der rational nicht fassbare Prozesse auslöst.
Denn es macht einen Unterschied, ob man nur eine Position einnimmt oder aber mit einer Kampagne für diese Position kämpft.
Selbst das kann immer noch legitim sein. Aber es braucht guuute Gründe.
Bin ich gegen rituelle Beschneidung?
Selbstverständlich. Kämen irgendwelche Eltern auf die Idee, im Rahmen einer kleinen Familienfeier ihr entblößtes Neugeborenes jemandem hinzuhalten, damit der ihm in aller Öffentlichkeit ohne Betäubung und ohne medizinische Indikation ein Stück Haut aus dem Genitalbereich schnippelt, kämen die alle drei vor Gericht. Und die Gäste womöglich dazu, wegen unterlassener Hilfeleistung. Ein atavistisches Ritual als Begründung hingegen macht den entscheidenden Unterschied. Da wäre es mal interessant, mit welchen rechtlichen Hilfskonstruktionen andere Länder sich aus dem Dilemma heraus winden. Wahrscheinlich bringt man so was in Italien oder Frankreich einfach gar nicht erst aufs Tapet – aus dem unausgesprochenen Konsens heraus, dass aus einer solchen Diskussion sowieso nichts Gutes resultieren könne.
Oder man hat schlicht andere Sorgen.
Aber es geht hier nicht um meines oder sonst irgend jemandes persönliche Meinung zu der Sache. Es geht noch nicht einmal um den Konsens in der Piratenpartei. Soweit ich das einschätzen kann, scheint da eine sehr breite Mehrheit hinter dem Kölner Urteil zu stehen.
Worum geht es dann?
Es geht um eine Kampagne zu dem Gegenstand. Und da muss man sich schon noch ein paar weitere Fragen stellen. Etwa: Welches Ziel verfolgen wir damit? Ist das Ziel auf diesem Weg zu erreichen oder gibt es bessere Wege? Oder gibt es womöglich sogar bessere Ziele? Sind wir in der Lage dazu, die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um das Ziel zu erreichen? Oder ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass wir unversehens was ganz anderes erreichen, als wir je erreichen wollten?
Und das stellt sich aus meiner Sicht wie folgt dar: Sobald wir uns nicht nur unverbindlich hinter das Kölner Urteil stellen, sondern dazu Kampagnen fahren, definieren wir die ganze Partei ein Stück weit über diesen Gegenstand. Völlig gleichgültig, wie differenziert unsere Position dazu sein mag und was für geniale Lösungsvorschläge wir uns dazu einfallen lassen: Wir würden uns aktiv gegen die religiöse Beschneidung positionieren und damit aktiv gegen alle Juden und Moslems, die dafür sind. Das sind nicht wenige, und darunter sind zahlreiche einflussreiche religiöse Führungsfiguren.
Unsere Positionierung würde spätestens mit einer Kampagne automatisch dazu führen, dass diese Leute uns Piraten ab sofort als ihre aktiv zu bekämpfenden Gegner abstempeln. Auch auf jedem anderen Politikfeld, und ganz gleich, was wir ansonsten noch fordern. Und mit allen Reflexen: Verteidigungshaltung, sich als Opfer hinstellen, die Nazikeule rausholen. Fairness, differenzierte Auseinandersetzung und dergleichen sind keine Parameter in einem Kampf um die Stammtisch-Lufthoheit. Schon gar nicht, sobald religiös und rassistisch gefärbte Untertöne auch nur leise mitschwingen. Es wäre geradezu eine Einladung für Trittbrettfahrer vom rechten Rand.
Selbst zahlreiche gemäßigte Juden und Moslems, die womöglich unter anderen Umständen aufgeschlossen für das rechtsstaatliche Anliegen des Schutzes von Grundrechten wären, würden wir im Laufe dieser Kampagne den konservativeren Kräften ihres religiös-kulturellen Lagers zutreiben. Andere Anliegen würden hinter diesen Gegenstand zurücktreten. Das liegt in der Natur dieser Sache. Das könnte sich zu unserem Dosenpfand entwickeln.
Es besteht die große Gefahr, dass wir uns unversehens in einer religiösen Auseinandersetzung wiederfänden. Hier müssten wir uns unter massivem Einsatz knapper Ressourcen erklären und wieder erklären. Uns verausgaben, um unsere Position einigermaßen sachlich und differenziert zu verteidigen. Und es würden uns womöglich Spielregeln diktiert, die mit unserem Selbstverständnis nur schwer in Einklang zu bringen wären. Sobald wir unter Feuer stehen, würde es beispielsweise verlockend erscheinen, zu versuchen, unsere dann-auf-einmal-aktiven-Gegner, die Moslems und Juden, zu zersplittern. Einen Keil zwischen deren Fundis und deren aufgeklärtere Schichten zu treiben; dort Alliierte zu gewinnen; sie zu spalten und gegeneinander auszuspielen.
Eine Kampagne, mit einem Wort, würde nicht zuletzt zu einer Einmischung unsererseits in die Willensbildung religiöser Gemeinschaften führen. Da habe ich Zweifel, ob uns das ansteht.
Aber selbst wenn man über all das hinwegsehen wollte, müsste man sich fragen lassen: Mit welchem Ziel? Wofür dieser ganze Aufwand? Was wollen wir damit erreichen? Haben wir nichts dringenderes zu tun? Hat Deutschland, hat Europa keine drängenderen Probleme?
Und da sage ich: Bei aller Liebe – diese Leute haben ihre Jungs seit Jahrtausenden beschnitten. In Ländern wie den USA wird der besagte Eingriff nach wie vor sogar routinemäßig auf breiter Ebene durchgeführt. Ob weiter beschnitten wird oder ab sofort nicht mehr, oder erst in zwei oder zwanzig Jahren, ist für die Zukunft Deutschlands und Europas weitgehend unerheblich, verglichen beispielsweise mit Dingen wie dem ESM-Vertrag, dem Euro, der vorgeblichen Schuldenkrise, der Energiewende, der Bildung, den Fragen des Arbeitsmarkts und der Rente. Ob wir dagegen kämpfen oder nicht, ist auch in soweit unerheblich, als es nichts an der Kompromisslösung ändern wird, die letztlich gefunden werden wird.
Es geht auch nicht um die Unterdrückung weiter Teile der Bevölkerung wie beim Paragraph 218. Gesundheitspolitik? Das ich nicht lache! Da wimmelt es von Pharmaunternehmen, die die Kassen und Patienten nach Strich und Faden ausnehmen! Übermüdete Assistenzärzte und ausgebeutete Pflegekräfte, die drei Schichten am Stück fahren, während gewisse andere Mediziner im Luxus schwelgen! Ein korruptes Minenfeld des Lobbyismus! Krasseste Intransparenz, wohin man schaut! Krankenhäuser auf dem Land, die aus Rentabilitätserwägungen reihenweise dicht gemacht werden! Und wir haben keine wichtigeren Themen für aufreibende Kampagnen, als uns mit Juden und Moslems um Vorhäute zu zoffen? Nicht wirklich, oder?
Eine Kampagne kostet in etwa den gleichen Ressourceneinsatz – ob es um Grundsicherung geht, Datenschutz, Afghanistan, den Überwachungsstaat, Bildungsinvestitionen, Krankenkassen oder Schniepelchen. Wir haben aber kaum Ressourcen. Wir müssen uns sehr gut überlegen, wofür wir sie einsetzen wollen.
Wir können den Etablierten keinen größeren Gefallen tun, als uns auf derlei Nebenkriegsschauplätzen ohne Not selbst zu zerreiben. Und da hat man noch nicht einmal von all dem Porzellan gesprochen, das man mit so was im Hinblick auf eine künftige deutsche Außenpolitik im Nahen Osten zerschlagen könnte.
Ich sage nicht: Lasst uns keine heißen Eisen anpacken.
Aber bitte, bitte: Sucht euch die richtigen, wichtigen aus. Und denkt vorher ausführlich nach.
Religiöses ist stets ein heißes Eisen.