Bald schon, am 6. Juni, gehen wir ins dritte Jahr nach Edward Snowdens Enthüllungen zur NSA-Überwachung. Doch die Nachrichten reißen nicht ab. Jüngstes Thema: der NSA-Zugriff auf deutsche Netzkommunikation via Bundesnachrichtendienst.
Wir sprachen dazu mit Dennis Plagge über seine Eindrücke aus dem NSA-Untersuchungsausschuss.
KOMPASS: Warum gerade jetzt wieder Medien-Aufregung um die NSA und BND?
Dennis Plagge: Das hätte man schon vor ein paar Monaten vermuten können, dass da was ist. Das war klar, wurde im Ausschuß immer wieder angesprochen, und ist halt jetzt durch Altmeier bestätigt worden.
Was ist jetzt rausgekommen?
Dennis Plagge: Dass 2.000 sogenannte Selektoren, also quasi „Suchbegriffe“ für deutsche Telekommunikationsüberwachung, auch zwecks Wirtschaftsspionage dem Bundesnachrichtendienst (BND) untergejubelt wurden, auch Politiker sollen sich darunter befunden haben.
Das ist ein schweres Versäumnis des BND, überhaupt keine Frage, aber der große Skandal liegt eigentlich anderswo, denn der BND hat dort nicht aktiv Leute überwacht, sondern schlicht Fehler gemacht.
Dazu muss man wissen, die Selektoren pflegt der BND täglich ein, er bekam diese aufgrund der Kooperation beider Dienste auch von der NSA. Die Anzahl, die er von der NSA erhält, ist jedoch deutlich größer als die eigenen Selektoren und übersteigt sie nach eigenen Angaben im Untersuchungsausschuss um Längen.
Bisher hieß es, „das wird alles in Pullach geprüft“. Da sind wohl auch Suchbegriffe dabei gewesen, wie zum Beispiel „EADS“. Und davon sind in der schieren Masse einige Suchbegriffe durchgegangen, die der BND eben nicht herausgefiltert hat.
Dass diese nicht — wie der BND behauptet hat — vollständig herausgefiltert wurden und so einige Informationen nun doch abgeflossen sind, die eben nicht hätten abfließen dürfen, führt natürlich zu berechtigter Empörung.
Das ist ein Fehler, den man zu vertuschen versucht hat. Das wurde im Ausschuss bereits schon öfter nachgefragt und angesprochen und ist daher nicht sonderlich überraschend und neu. Neu ist nur, dass sich das nun bestätigt.
Und was leistet der Ausschuss an Aufklärung?
Dennis Plagge: In meinen Augen ist das mit dem Ausschuss eine große politische Theatervorstellung. Das ist meine Kritik, denn vor lauter kleinen Details und Skandälchen werden die wirklich wichtigen Fragen nicht mehr behandelt und aus den Augen verloren. Der Skandal liegt eher woanders, nämlich in der Frage „Wie lange wußte die Bundesregierung von dem Ausspähen der NSA?“.
Und daran schließt sich natürlich die sehr heikle Frage an „Warum wurde das trotz Wissen überhaupt geduldet und führte zu keinen Konsequenzen?“. Da käme man schnell zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen, die der Bundesregierung deutlich unangenehmer wären als die 2.000 Selektoren, die nun für Aufregung sorgen.
Die 2.000 Selektoren sind zwar ärgerlich, aber nicht das ganz große Ding?
Dennis Plagge: Nein, dazu muss man das ins Gesamtverhältnis setzen. Das Agreement, auf dem die Five Eyes beruhen und heute auch das Agreement, das der BND mit der NSA unterhält, ist ja nicht mehr geheim, sondern wurde bereits freigegeben. Die UKUSA-Allianz, heute allgemein als Five Eyes bekannt, stammt aus dem Jahr 1940, also aus einer Allianz, die im Krieg entstanden ist.
Darauf basiert das Selbstverständnis dieser Geheimdienstallianz. Wie Josef Foschepoth es historisch betrachtete: Deutschland war immer auch Ausspähungsziel, obwohl es Bündnispartner in der NATO ist und volle Souveränität erlangt hat.
Bis zum Deutschlandvertrag und den späteren Notstandsgesetzen 1968 konnten sich die Bundesregierungen sicher sein, dass die Amerikaner in Deutschland Aufklärung betreiben, sie hatten das Recht dazu. Allen war das klar.
Man hat sich nicht umsonst darum bemüht, dass die Bundesrepublik ihre Eigenständigkeit zurückerlangt und die Sieger des 2. Weltkrieges auf die Ausübung ihrer Rechte verzichten. Die Frage ist jedoch, was faktisch passierte, obwohl Deutschland irgendwann diese Souveränität erhielt und in der Nato und der EU eingebunden war.
Der Rechercheverbund der SZ kolportierte, dass die Überwachung nicht erst mit Merkel, sondern bereits seit 2001 unter Schröder stattfand. Daraus abzuleiten, dass die Überwachung der NSA erst seit dieser Zeit stattfindet, ist allerdings völliger Quark. Solche Details werden häufig in Medien falsch wiedergegeben, doch setzen sich diese Dinge fest. Die Überwachung hat immer stattgefunden. Das Grundrecht auf Telekommunikationsfreiheit war seitens der Five Eyes faktisch schon immer von wenig Belang.
Spätestens ab 1991/92 konnte man sich sicher sein, dass die Five-Eyes-Überwachung in Deutschland nach 1968 noch weiterlief. Das wissen die Bundesregierungen spätestestens durch strategische NSA-Dokumente, die das Ministerium für Staatssicherheit in seinem Besitz gebracht hatte und die mit der Wende in bundesdeutschen Besitz gelangten.
Dieser Vorgang ist unter anderem vom Spiegel Mitte der 90er Jahre gut dokumentiert worden. Damit wäre also eigentlich spätestens seit der Wende bei allen Bundesregierungen zweifelsfrei das Bewusstsein vorhanden, dass Deutschland trotz Westeinbindung und NATO nach 1968 immer noch systematisch ausgespäht wurde.
Eine Aufklärung dieses Vorganges findet nicht statt, auch nicht im NSA-Untersuchungsausschuss, dessen Untersuchungsgegenstand ausdrücklich ist, herauszufinden, seit wann die Ausspähung der NSA andauert und die Bundesregierung sich hierüber in Kenntnis befindet.
Es gibt übrigens ein ähnliches Dokument von Edward Snowden, das in einer holländischen Zeitung publiziert wurde und in Deutschland kaum Beachtung erhielt, aber von nicht minderer Brisanz ist. Eine strategische Liste von Überwachungsschwerpunkten der NSA, in der auch Deutschland als klares Ziel aufgeführt ist.
Aus diesem Dokument ergibt sich eindeutig, dass Politik und Technologie in Deutschland als Aufklärungsziel der NSA definiert sind. Deshalb sind die dem BND untergeschobenen NSA-Selektoren logische Folge dieser strategischen Zielsetzung.
Das große Ding, wie Du es nennst, ist die Frage, warum dieses Wissen der Bundesregierungen eben nicht zu Konsequenzen führt und nicht, ob 2.000 Selektoren vom BND übersehen wurden. Und da sind wir dann eben bei außen- und sicherheitspolitischen Fragen, die für die Bundesregierung deutlich unangenehmer wären als ein Versäumnis des BND, das zwar eben sicherlich einen Fehler darstellt, aber im Gesamtverhältnis deutlich weniger Tragweite besitzt.
Was wird denn nun passieren?
Dennis Plagge: Bisher sehe ich es, dass es bei Salamitaktik bleibt. Viele kleine Details werden herauskommen, der Sättigungslevel der Leute ist irgendwann erreicht. Die Menschen sagen: OK, wir wissen, dass wir überwacht werden. Der große Zusammenhang kommt aber nicht mehr heraus. Wenn man sich allein die Ausschussbesetzungen anschaut, spielten die sicherheits- und außenpolitischen Erwägungen der Bundesregierung eine große Rolle. Ziel der Regierung und insbesondere des Kanzleramtes ist, dass möglichst wenig Schaden an den transatlantischen Beziehungen entsteht.
Was wäre denn eine Alternative oder anderer Umgang mit dem Überwachungsskandal?
Dennis Plagge: Die Frage, die sich für uns in Sachen Überwachung lösungsorientiert stellt, ist, wie man die Geheimdienste in Zeiten unbegrenzter digitaler Erfassung und Speicherung so kontrolliert, dass man dabei keine Massenüberwachung der Menschen betreibt und eine geschützte Komunikation im einem immer stärker digital vernetzten Leben faktisch unmöglich wird.
Die Abschaffung der Geheimdienste ist jedenfalls unrealistisch und mit einer solchen Forderung wird man auch nirgendwo ernst genommen. Die Politik hat ein ureigenes Interesse daran, Entscheidungen auf der Basis zuverlässiger Informationen zu treffen. Diese Informationen zu beschaffen, ist die Aufgabe der Nachrichtendienste. Das kann man mögen oder nicht, aber das ist und bleibt ein Faktum.
Und deshalb plädiere ich dafür, dass man in Deutschland wirksamere und stärkere Mechanismen der Kontrolle schafft, um die Privatheit der Kommunikation besser zu schützen. Dass der Bundestag derzeit die Kontrolle über den BND wirksam auszuüben vermag, ist wohl – wie man sieht – eher eine schöne Geschichte als Realität. Das funktioniert schon personell nicht. Wir müssen bei den Lösungen ansetzen und uns nicht mit utopischen Forderungen ins politische Abseits schießen.
Die transparente Aufarbeitung der NSA-Affäre ist jedenfalls, ohne Beteiligung der Piratenpartei und ohne den Willen des Kanzleramtes zur vollständigen Aufklärung, womöglich erst den Historikern wirklich vergönnt. Das zeigt eigentlich, wie nötig Piraten im Bundestag wären.
Dennis Plagge ist Basispirat in Berlin, bei der Zuse-Crew und den sozialliberalen Piraten (Solipa) aktiv. Er begleitet regelmäßig den Bundestags-Untersuchungsausschuß zur NSA-Geheimdienstaffäre.
3rst0r! (Sorry konnte nicht widerstehen)
Ansonsten: Gutes Interview! Weg von oberflächigen Populismus und Polemik hin zu Sachkompetenz und realistischen Lösungen. Um diese aber zu erarbeiten braucht es einen undogmatischen Umgang mit dem Problem und eine ergebnisoffene ehriche Diskussion was möglich und wie man es erreichen kann. Politische Science Fiction hilft nicht und darf gerne den Altparteien überlassen werden.
Undogmatische ergebnisoffene realistische Lösungen und Diskussionen waren doch mal ein Alleinstellungsmerkmal der Piraten….