Kompass – Zeitung für Piraten

Netzneutralität: Heftige Presse-Reaktionen zur Aufweichung im Europarlament

piraten netzneutralität
Foto: PM Cheung Creative Commons Attribution License

Das scheinbare Nerd-Thema „Netzneutralität“ beschäftigt die Medien in Deutschland. Der gestrige Europarl-Beschluss erntet recht viel Kritik.

Zum Thema: Die neue EU-Verordnung erlaubt Internet-Konzernen privilegierte Behandlung von Spezialdiensten und könnte so – mit kreativer Gesetzesauslegung – die bisherige Gleichbehandlung und Meinungsfreiheit im Netz einschränken. Mit einer übergroßen Mehrheit von Sozialdemokraten, Konservativen und Liberalen kam das durch. Auch die von der Netzcommunity erhofften Änderungsanträge wurden durch das Parlament komplett verworfen, und der Kommissionstext 1 zu 1 durchgewunken. Auch dies ein bedenklicher Trend.

Die sozialdemokratisch ausgerichtete „Zeit“ meint, das EU-Parlament bekräftige, was aus dem Internet geworden ist: ein durch und durch kommerzialisierter Raum. „Kollaboration und Innovation werden ausgebremst von Konkurrenzkampf und Besitzstandswahrung, wie in allen anderen Wirtschaftszweigen auch. Die Entscheidung des EU-Parlaments, das Prinzip der Netzneutralität weiter aufzuweichen, passt deshalb in diese Zeit“, heißt es in dem Kommentar von Patrick Beuth.

In der linksalternativen „tageszeitung“ aus Berlin findet sich der wirtschaftliche Aspekt: „Finanziell gut gerüstete Konzerne – von Facebook bis Apple – können es sich leisten, den Providern ein bisschen was zu zahlen, damit ihre Inhalte im nichtneutralen Netz schneller zum Nutzer kommen. Junge Unternehmen jedoch nicht. Von einer Entscheidung für ein strikt neutrales Netz würden also gerade kleine Unternehmen profitieren. Von Verbrauchern und anderen nichtkommerziellen Anbietern ganz zu schweigen, aber die sind für die EU traditionell eher sekundär interessant“.

Die linksliberale „Frankfurter Rundschau“ meint: „Politisch zahlt der Verbraucher einen hohen Preis. Im zweiten Teil der Roaming-Verordnung opfert die EU die Netzneutralität, also den demokratischen Grundsatz, dass sich im Internet alle gleich schnell bewegen. Das Netz ist künftig nicht mehr neutral. Eine fatale Entscheidung. Zunächst für die Struktur des Internets. Dort zählt ein Konzern künftig mehr als ein privater Nutzer: Ein Netz, zwei Klassen, null Neutralität.“

Die eher konservative „Rhein-Zeitung“ aus Koblenz übt sich in Fatalismus. „Die Internetgemeinde reagiert mit Protest. Das ist gut und richtig, wird aber nichts bringen. Das Datennetz hat seine Unschuld längst verloren und ist zum Medium geworden, auf dem Großunternehmen um die Herrschaft buhlen. Zwar gibt es sie noch, die kleinen Freiräume, über die sich Nutzer ohne politische Einmischung austauschen können. Aber dass sie auch dort Kunden bleiben, die ökonomische Interessen erfüllen, wird niemand mehr leugnen können.“

Die marktliberal/sozialkonservative Tageszeitung „Die Welt“ freut sich, dass es mit der Gleichheit nun vorbei ist. „In der Praxis funktioniert das aber nicht, weil die Menschen, sprich: die Internetnutzer ebenso wie die Internetdienstanbieter, nicht alle gleich sind. Es kann also bei der Regelung der Netzneutralität immer nur um einen Kompromiss zwischen dem Ideal totaler Gleichheit und den Beschränkungen durch die technischen Gegebenheiten gehen.“ – Als ob die Gegebenheiten so beschränkt wären, wie es der transatlantisch gleichgeschaltete, ewige Axel-Springer-Verlustbringer „Welt“ seinen Lesern suggerieren möchte.