Ein Gastbeitrag von David Ehl
Die USA sind gespalten – deshalb wurde Donald Trump ihr Präsident. Diese 3 Gräben muss die Gesellschaft überwinden, mit oder ohne Trump.
»Wenn man dieses Land wirklich ändern will, dann muss jemand an die Macht, der es keinen einzigen Tag regiert hat.« Das sagt ein armer Familienvater im Buch »The Unwinding« – aber er hat noch keine konkrete Vorstellung, wer so ein Präsident werden könnte. Der Satz stammt bereits aus dem Jahr 2012, in dem Trump noch nichts weiter war als ein steinreicher Familienvater. 4 Jahre später hörten viele Reporter von Wählern Antworten wie die oben. Teile der US-Gesellschaft wünschten sich einen politischen Quereinsteiger – und bekamen Donald Trump, der zuvor keinen einzigen Tag lang ein politisches Amt innehatte.
Ein Jahr nach der Wahl scheinen sich diese Teile der Gesellschaft noch weiter von ihren Gegenpolen entfernt zu haben. Was ist aus Amerika geworden, seit es am 8. November 2016 Trump zu seinem Anführer machte?
Die Entwicklungen im ersten Trump-Jahr
Seit der Wahl ist nicht unbedingt die Welt untergegangen, sie ist aber auch nicht einfacher oder berechenbarer geworden. Yascha Mounk, Publizist aus Harvard, schrieb kürzlich:
Trump tut es, das Verrückte. Rote Linien werden erst orange, dann gelb und dann grün. In beängstigendem Tempo wird so etwas zur politischen Normalität, was vor kurzem noch unvorstellbar war. Aber wir glauben trotzdem beim nächsten Mal: Diese rote Linie wird er in keinem Fall überschreiten! Oder doch? – Yascha Mounk
In den vergangenen 12 Monaten sind neue Konfliktlinien in der US-amerikanischen Gesellschaft hinzugekommen. Diese Entwicklungen tragen daran einen Anteil:
- Klimapolitik
- Südstaaten-Geschichte
- Einwanderung
Wie zufrieden sind US-Amerikaner mit Präsident Trump?
Das Meinungsforschungsinstitut Gallup fragt täglich 1.500 US-Amerikaner am Telefon, ob sie mit ihrem Präsidenten zufrieden oder unzufrieden sind.
====zufrieden ==== unzufrieden
Quelle: Gallup
Nur fürs Protokoll sei gesagt, dass sich in den USA auch an Trump selbst die Geister scheiden; 12 Monate nach seiner Wahl gibt es nach wie vor glühende Verehrer genauso wie engagierte Gegner. In repräsentativen Umfragen entwickeln sich die Zustimmungswerte so schlecht wie bei keinem anderen Präsidenten der jüngeren Vergangenheit. Aber letztlich sind sie irreführend – gewählt ist gewählt, und aus ein paar Prozentpunkten mehr oder weniger ergibt sich noch lange keine Dynamik, die Trumps Herrschaft infrage stellen könnte. Entscheidender ist, wohin sich die Gesellschaft bewegt, für die er im Weißen Haus sitzt.
Ein Riss klafft … oder viele Risse?
Die US-Gesellschaft reißt immer weiter auseinander – das ist eine gängige Ansicht, die aber auch von Daten gestützt wird. Dieses Fazit ziehen im Oktober auch die Meinungsforscher des Pew-Recherchezentrums aus der Auswertung einer großen repräsentativen Umfrage. Ähnliche Umfragen führt das Institut seit 1994 durch und kommt zum Ergebnis, dass die politische Mitte der Gesellschaft seitdem stark geschrumpft ist, während sich die Bürger immer weiter rechts oder links positionieren. Unter den politisch engagierten Mitgliedern der Gesellschaft ist dieser Trend noch einmal extremer.
Erst im Zeitraffer zeigt sich, wie sich die Gesellschaft der Vereinigten Staaten über die Jahre polarisiert hat: 1994 gab es noch eine große bürgerliche Mitte und wenige Extrempositionen. Im weiteren Verlauf dünnte diese Mitte immer weiter aus und die Mediane der beiden Parteien, also die gewichteten durchschnittlichen Positionen, drifteten zunehmend auseinander.
Längst nicht alle Daten lassen sich auf einer politischen Links-Rechts-Skala einsortieren, dafür ist eine Gesellschaft von 323 Millionen Einwohnern einfach zu kompliziert. Trotzdem ist es erstaunlich, wie viele gesellschaftliche Fragen sich in rot und blau aufteilen. Zum Beispiel wollen Republikaner tendenziell lieber in einem freistehenden Haus auf weiter Fläche leben und dafür lange Wege zur Infrastruktur in Kauf nehmen. Demokraten hingegen legen häufiger mehr Wert auf fußläufig erreichbare Läden und machen dafür eher Kompromisse bei der eigenen Wohnfläche.
Liberales Aushängeschild: Die Anwohner dieses Vorgartens in Washington, D. C. heißen mit einem Aufsteller jeden willkommen. – Quelle: David Ehl copyright
Das führt auch dazu, dass die großen Metropolen an Ost- und Westküste vor allem junge, urbane Menschen anziehen, die tendenziell den Demokraten näherstehen. In den ländlichen Bundesstaaten des Kernlands bleiben vor allem Anhänger der Republikaner zurück. So wird die Stadtbevölkerung immer liberaler, während die Landbevölkerung immer konservativer wird – und beide entfremden sich zunehmend voneinander. Die Folgen, wenn zum Beispiel aus dem ländlich geprägten Mittleren Westen viele Akademiker wegziehen, liegen auf der Hand: Wo nur noch eine Bevölkerungsgruppe bleibt, werden Orte immer homogener – und nicht nur im Fall der USA immer konservativer. Unter den Heimatverwurzelten können sich – übrigens genauso wie in den Städten – weltanschauliche Echokammern bilden.
Eine ganz andere Entwicklung verstärkt diesen Effekt noch: Die US-Amerikaner ziehen immer seltener um. Im Jahr 2016 packten nur noch 6,9% der Bürger die Umzugskartons, so wenige wie noch nie. Dieser Trend kommt jedoch vor allem deshalb zustande, weil Menschen aus niedrigeren Bildungsschichten immer seltener den Ortswechsel wagen. Bei den am besten gebildeten US-Amerikanern hingegen – also denen, die die Städte immer liberaler machen – steigt die Umzugsrate sogar. Manche sprechen bereits von einem »Mobilitäts-Graben«, der zwischen Arbeitern und Akademikern aufreißt.
Einwanderer und Trump-Befürworter: In Miami leben viele Kubaner wie dieser ältere Herr, die Donald Trump gewählt haben, weil er für eine härtere Politik gegenüber dem Regime steht, vor dem sie einst geflüchtet sind. – Quelle: David Ehl copyright
Von der Freiheit, eine Seite zu wählen
Ein weiterer Graben verläuft in Amerika zwischen den Menschen, die mehr staatliche Regulierung wollen, und denjenigen, die weniger davon wollen. Letzterem liegt der libertäre Gedankengang zugrunde, dass jedes Gesetz eine Einmischung des Staates sei, die die persönlichen Freiheiten einschränkt. Aus deutscher Perspektive betrachtet, ist es schwer vorstellbar, wie viel Misstrauen viele Amerikaner gegenüber den eigenen Institutionen hegen: »Ein Konzept, das sich nicht in amerikanisches Englisch übersetzen lässt, ist Vater Staat.« Das sagt Jackson Janes, Präsident des Deutschland-Instituts der Johns-Hopkins-Universität in Washington. Ein Thema, an dem diese Trennlinie sehr deutlich zutage tritt, ist die Gesundheitspolitik: Viele Republikaner betrachten Obamas »Affordable Care Act«, der Millionen Amerikanern erstmals die Chance auf eine Krankenversicherung eröffnet, als Bevormundung. Ironischerweise teilen diese Ansicht auch Menschen, die von »Obamacare« profitieren. Noch ist ungewiss, ob es Trump gelingen wird, das Vermächtnis seines Vorgängers zu zerstören. Zurzeit hat Trump noch wenige Erfolge vorzuweisen, aber bei meinem Washington-Aufenthalt im August stellte Jackson Janes klar: »Manche Trump-Wähler sagen ›es läuft nicht gerade toll, aber mit [Hillary Clinton] wäre es schlimmer gewesen‹. Das ist der Kleber, der es zusammenhält.«
Schießereien in den USA
Auf MassShootingTracker.org dokumentieren Internetnutzer fortlaufend Schießereien in den USA. (Anmerkung: für November und Dezember 2017 fehlen die Werte noch. Die blutigsten einzelnen Vorfälle waren im Juni 2016 in einem Nachtclub in Orlando und im Oktober 2017 bei einem Country-Festival in Las Vegas.)
====Tote 2016 ====Verletzte 2016 ====Tote 2017 ====Verletzte 2017
Quelle: MassShootingTracker.org
Wahrscheinlich verläuft die entscheidende Trennlinie der Gesellschaft ohnehin nicht zwischen den Trump-Befürwortern und -Gegnern. Entscheidender ist, wer nach vorne schaut und wer zurück: Ist man als aktiver Teil des »neuen Amerikas« an Bord und gestaltet es mit? Oder steht man abseits und sieht dem Zug nur beim Davonfahren zu? Anders gesagt – ist man selbst in die Entwicklungen eingebunden und fühlt sich in Entscheidungen repräsentiert oder muss erst von außen jemand kommen und versprechen, Amerika wieder groß zu machen?
Trump ist ein Symptom, nicht die Ursache. Es geht um ökonomische Gründe und darum, ob Menschen ihren Platz in der Gesellschaft haben. – Jackson Janes, Präsident des Deutschland-Instituts der Johns-Hopkins-Universität
Amerika braucht keinen Anti-Trump
Ein Jahr nach der Wahl hat Donald Trump noch nicht den Eindruck erweckt, dass er für diese gesellschaftlichen Konfliktlinien sensibilisiert sein könnte – geschweige denn, dass er Ideen hätte, um sie zu kitten. Im Gegenteil; er hat schon mehr als einmal die Gesellschaft weiter aufgewiegelt. Zum Beispiel im Oktober, als ein US-Soldat in Niger gefallen war und Trump den Kondolenz-Anruf bei dessen Witwe derart versemmelte, dass ihm hinterher Rassismus vorgeworfen wurde. Oder als der Präsident kurz nach dem Anschlag von New York politisches Kapital schlug, indem er die Abschaffung der zufälligen Vergabe von Greencards forderte. (Ihr Übriges zur Spaltung tun auch Trumps Gegner, wenn sie seine Entgleisungen überlebensgroß aufblasen.)
Hymnische Geste: Diese Football-Spieler der San Francisco 49ers gehen während der Nationalhymne auf die Knie, um gegen Polizeigewalt zu demonstrieren – und gegen Trumps Äußerungen. – Quelle: Wikimedia Commons / Keith Allison CC BY-SA
Immerhin hat er sich als ein nicht ganz so großer Spalthammer erwiesen, wie es seine ärgsten Kritiker und Weltuntergangs-Rhetoriker prophezeit hatten. Nach den Hurrikans in Texas, Louisiana und Florida wurde Trump zwar nicht zum großen Kümmerer wie Obama, aber auch nicht zum entrückten Mitleidsverweigerer wie sein Vor-Vorgänger Bush.
Auch wenn Trumps Bilanz bisher durchwachsen ist, seine Zustimmungswerte miserabel und der Schatten der Russland-Affäre immer größer wird: Im Moment deutet nichts darauf hin, dass es vor der nächsten Wahl im November 2020 einen Wechsel im Weißen Haus geben wird. Allerdings stehen in genau einem Jahr die »Midterms« an – dann werden alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses sowie 33 der 100 Senatoren neu gewählt. Genau wie künftige Präsidenten müssen sich die Kandidaten erst parteiinternen Vorwahlen stellen – deshalb hat für manche der Wahlkampf-Marathon längst begonnen.
Bei den Republikanern wird es spannend werden, wer sich auf Trumps Seite stellt – noch mehr aber, wer nicht. Bob Young, der eine demokratische Senatorin aus Michigan herausfordern will, stand schon früh auf Trumps Seite: Er organisierte für ihn Wahlkampf-Auftritte in Michigan, im Gegenzug nahm Trump ihn vor einem Jahr in die engere Auswahl, um einen vakanten Sitz im Obersten Gerichtshof zu besetzen.
Wahlkämpfer: Bob Young auf einer Veranstaltung der Jungen Republikaner in Detroit. – Quelle: David Ehl copyright
Als Young im August vor einer Handvoll junger Republikaner in Detroit auftritt, ruft er einige trumpeske Formulierungen ins Halbdunkel hinein: »Lassen wir die öffentlichen Schulen implodieren und hören wir auf, sie zu finanzieren. Sie sind sehr gefährlich.« Er wettert gegen öffentliche Gesundheitsversorgung, das komplizierte Steuersystem und sagt, er verstehe nicht, »warum wir an unseren Grenzen nicht viel wachsamer sind«. Aber Young spricht auch eine Erkenntnis aus, an der politische Hardliner wie er selbst letztlich nicht unschuldig sind: »Als ich jung war, konnte man noch in der Mitte stehen. Man konnte als Republikaner zu manchen Themen liberale Positionen vertreten und gleichzeitig bei Steuerfragen konservativ sein.«
Die »Midterm«-Wahlen in einem Jahr werden zeigen, wie viele Amerikaner sich weiterhin für die Vertreter der Extrempositionen entscheiden. In den USA schwingt über die Gräben in der Gesellschaft hinweg ein Pendel, das von Präsident zu Präsident immer extremer ausschlägt: vom liberalen Clinton herüber zum unerbittlichen Bush – zum fast schon Popstar-haften Obama in die Gegenrichtung zu Trump, der Amerika wieder groß machen will. Das Pendel wird kein turboliberaler Anti-Trump aufhalten können, sondern nur ein Amerika, das seine Gräben überwindet.