Vor neun Jahren, an einem Samstag, 10. September 2006 um 10 Uhr früh, gründete sich hübsch/chaotisch in dem cbase-Hackerspace-Berlin eine Partei für die „digitale Revolution“: die PIRATEN.
2011 dann der große Durchbruch mit dem Einzug ins Abgeordnetenhaus Berlin, in der Folge in weitere drei Landesparlamente und ungezählte kommunale Vertretungen. Mit dem Riesenhype und zehntausendfachen Mitgliederzuwachs kam die Partei irgendwie nicht zurecht, weder organisatorisch, noch politisch.
2012 der Anfang vom Abstieg mit einem eher seltsamen Parteitag in Neumünster. Das Profil verwässerte, Menschen traten ein, die dachten, ihre sehr bizarren Lieblingsthemen könnten jetzt endlich mit dem Druck einer Partei verwirklicht werden. Das führte zu massiven Konflikten, öffentlich und medial lustvoll ausgebreiteter Selbstzerlegung, Streit und Shitstorms. Als Belohnung gingen Umfragen und Wahlergebnisse zügig in den Keller.
Überhaupt dominierte Wählen und Wahlen vorbereiten das Parteileben. Doch die Bundestagswahl in 2013 konnte so nicht gewonnen werden, geschweige denn Landtage. Einzig ins Europaparlament schafften es die PIRATEN mit Julia Reda im Mai 2014 und dies vor allem, weil die Piratenpartei vor dem Verfassungsgericht erfolgreich die Stimmhürde für Deutschland wegklagte. Zu dem Zeitpunkt war die innerparteiliche Stimmung kurz vor dem Siedepunkt.
Ein „kommissarischer Bundesvorstand“ führte auf seine ausgrenzende, intransparente und geldverschwendende Art und Weise die Geschäfte. Von ihm befreite sich die Partei auf einem eigens einberufenen Sonderparteitag in Halle Ende Juni 2014 und wählte den Vorstand komplett neu: seitdem ist Stefan Körner, langjähriger Landesvorsitzender aus Bayern, am Steuerruder des nunmehr noch rund 5.308 zahlende Mitglieder zählenden Piratenschiffes.
Körner hat 40.000 Kilometer auf den Autobahnen dieses Landes abgerissen, auf den langen, einsamen Wochenendfahrten zum nächsten Landesparteitag im Osten, der Webdesign-Arbeitsgruppe bei Kassel oder der Bürgermeister-Wahlveranstaltung in der Ruhrgebietsstadt Witten. So, wie er in Bayern während seiner langjährigen Amtszeit auch den hinterletzten Stammtisch besuchte.
Und nun, September 2015? Es ist ruhig geworden. Vielleicht etwas zu ruhig. Die Medien greifen zwar noch das eine oder andere Piraten-Thema auf. Doch davon gibt es nicht soviel selbst organisierte. Der Parteitag in Würzburg schaffte ein sehr gutes Presseecho für eine kleine Partei, Tagesschau und Tagesthemen sendeten ausführliche Beiträge aus der wenig glamourösen Vierfachturnhalle am Stadtrand. Doch sonst: Der Versuch, 100.000 Stimmen gegen die Vorratsdatenspeicherung (VDS) zu sammeln, brachte aktuell nur wenige hundert Unterschriften in die Bundesgeschäftsstelle, in fünf Tagen ist Einsendeschluß. An einem Aktionstag gegen die VDS fehlte jeglicher Hinweis auf der Partei-Webseite.
Die PIRATEN sehen sich nach neun Jahren in einem anderen Umfeld. Netzpolitik.org, die Webseite des politischen Unternehmers Markus Beckedahl war damals ein Nebenbei-Projekt. Heute bekommt sie geheime Dokumente aus dem Bundestag zugesteckt und fördert als Dank eher grüne und linke Netzpolitiker. In der Netzcommunity haben sich einige Piraten in der Vergangenheit diverse Fuckups geleistet, was nun mühsam und klein/klein geheilt werden muss. Kampagnenplattformen wie Campact sammeln digital Millionen von Unterschriften, und sind nicht so zimperlich wie die Datenschutzpartei, wenn es um das gezielte Aktivieren von Unterstützern, das Online-Mitmachen, oder das Einwerben von Spenden geht.
Die Folge: Geld für politische Arbeit fehlt an allen Ecken und Enden, wozu eine ungerechte Parteienfinanzierung ihren Teil beiträgt. Als würde all das noch nicht reichen, sind die Themen der Digitalen Revolution eher schwer vermittel- und erklärbar. Selbst der beispiellose NSA- und BND-Skandal führt paradoxerweise dazu, dass sich die Bevölkerung immer deutlicher mit der Geheimdienste-Überwachung abfindet, statt dagegen aufzustehen. Die Wahlbeteiligung sinkt stetig, vor allem in den PIRATEN-geneigten jüngeren Zielgruppen. Und jetzt fängt auch noch die Bundesregierung an, mit ihren „Bürgerdialogen“ selbst politische Aktivität anzustoßen. Happy birthday!