Kompass – Zeitung für Piraten

NRW-Direktkandidaten treffen sich zur Bundestagswahlkampf-Nachlese in Dortmund

FreiheitstattAngst2013 BilderbogenEin gutes Dutzend Direktkandidaten traf sich am Samstag zur Wahlkampfnachbesprechung
im Piratenbüro Dortmund, um nun, mit etwas zeitlichem Abstand zur Bundestagswahl am 22. September 2013, das enttäuschende Wahlergebnis zu reflektieren. Hier einige Notizen aus der Feedback-Runde.

IMAGE “Wir waren nichts besonderes mehr, eine Wischiwaschi-Partei. Keiner hat von oben herab kommuniziert, warum man Piraten wählen soll. Und dann kamen wir auch noch zerstritten rüber,” so ein Teilnehmer zu den tieferen Ursachen. Doch es gab neben diesem Handicap weitere Probleme, mit der ein auf dem Stimmzettel in linker Spalte stehender PIRATEN-Kandidat zu kämpfen hatte. Oft genug holten NRW-Direktkandidaten mehr Erst-Stimmen als dann an Zweit-Stimmen im Wahlkreis realisiert wurde.

viel zu tun: Landtagswahl in Hessen war ja auch noch (Foto CC ZERO stm)
Viel zu tun: Landtagswahl in Hessen war ja auch noch (Foto CC ZERO stm)

BETREUUNG Gut war die NRW Direktkandiatenbetreuung. Weniger gut war die Überflutung mit Infos von allen Seiten an Direktkandidaten. Das war nicht koordiniert und lief oft ins leere. „Irgendwann machte ich mal mein eigenes Ding.“ Kontakt mit der NRW-Wahlkampfzentrale “Berti” in Düsseldorf und den NRW-weit verteilten Dezentrallagern, wo Plakate und anderes Material wahlkämpfernah herausgegeben wurde, wurde eher schwierig empfunden. War mit Sicherheit vom ersten Tag an begründet. Material für die Infostände, grade die kurzen und knappen “Battlecards” gab es lange Zeit nicht.

STRUKTUREN In der Berti hat jeder viel gearbeitet, wurde gesagt. Doch auch: “Es steht und fällt mit einer vernünftigen Wahlkampfkoordination. Wahlprüfsteine gingen relativ fix. In der Gesamtkoordination fehlte einiges”. Da lief was aus dem Ruder. “Der Vorstand hätte mal eingreifen müssen.“, hieß es. Fehlende Strukturen sind da besonders schlecht.

KAMPAGNE Eine gezielte “Kampagne” fehlte beziehungsweise kam zu spät an den Start, sollte also konzipiert und länger im Vorfeld angekündigt sein. Kampagnenfähigkeit herstellen statt blinde Vielarbeit: viele haben bis ans Limit geackert – doch letzten Endes ohne große Wirkung. Andererseits: Ganz viele sassen rum und wussten nicht, wo sie helfen konnten.

Briefkästen flyern (Foto CC ZERO stm)
Briefkästen flyern (Foto CC ZERO stm)

LEUTE Es fehlte überall an Manpower. Eine Idee: Ressourcen von mehreren Kreisen zusammenfassen. Und allgemein mehr Arbeitstechnik und Zeitmanagement wurde gewünscht, auch wenn dieses Wörter so nicht fielen: Nicht mehr Aufwand in Dinge reinstecken, keine unnütze Arbeit.

Ich verweise hier gerne auf das “Pareto-Prinzip”: viele Aufgaben sind schon mit 20 Prozent Arbeitszeiteinsatz gut genug, nämlich 80 Prozent perfekt gelöst, die letzten 20 Prozent zur vollen hundertprozentigen Perfektion kosten dann eben die gigantischen 80 Prozent der Gesamtarbeitszeit: http://de.wikipedia.org/wiki/Paretoprinzip und http://www.zeitzuleben.de/832-das-8020-prinzip/

Der Direktkandidat sollte sich einzig und alleine auf seine Kandidatur stürzen. Sonst kann man nichts anderes machen. Keine anderen Aufgaben wie Parteiämter, Pressetexte selber schreiben oder Schulungen.

MEDIEN Pressearbeit auf Kreisebene ist ein grosses Thema, da fehlt es uns. Pressepiraten vor Ort schulen ist gewünscht.

Ein Kopfplakat. Sieht so meine Direktkandidatin aus?
Ein Kopfplakat. Sieht so meine Direktkandidatin aus?

Grosse Verwirrung herrschte aus Direktkandidatensicht unter der Wählerschaft wegen den vielen Kopfplakaten. Die Leute wussten nicht, wer Direktkandidaten sind. denn auf allen Piratenplakaten waren irgendwelche Köpfe zu sehen, da gingen die Direktkandidatenköpfe wahrnehmungstechnisch unter.

“Themen mit Köpfen” zu vermitteln, habe ich als allgemeinen Konsens in dieser Runde wahrgenommen.

Viele Medien drücken Piraten runter, wenn sie können, berichtete ein Kandidat. Presse hat negiert, also auf Anweisung von oben durften örtliche Redaktionen nichts oder höchstens wenig über PIRATEN und andere Kleinparteien berichten. Da muss der Kandidat alternative Wege finden, in die Berichterstattung zu kommen. Zum Beispiel mit Leserbriefen oder Vernetzung vor Ort.

Eine Cryptoparty in Dortmund mit Dieter McDevitt (Foto CC ZERO stm)
Eine Cryptoparty in Dortmund mit Dieter McDevitt (Foto CC ZERO stm)

Vernetzung mit anderen Parteien und Organisationen bringt Infos. Die erzählen einem, wo die Podiumsdiskussionen sind, denn auch da wurde nicht immer der Pirat eingeladen. Ein Tipp: Zeitungsredakteure fragen, die wissen von Veranstaltungen. Keine Angst vor Redaktionen. Präsenz zeigen auf örtlichen Veranstaltungen. Sich da auch mal zu Wort melden, war der Tipp von einem Direktkandidaten.

Bunter Infostand in Schwerte (Foto CC ZERO stm)
Bunter Infostand in Schwerte (Foto CC ZERO stm)

INFOSTAND Schließlich ein paar Diskussionen zum Infostand. Da sollte manchenorts an den Basics gearbeitet werden: sich nicht hinter dem Stand verstecken, sondern vor dem Infotisch stehen. Ansprechbar sein, statt mit dem Smartphone spielen. Wenn, dann 10 Meter vom Stand weg. Andererseits gibts Probleme des hohen Mitteilungsbedürfnis mancher Piraten. Ein Infostandgespräch bei hohem Betrieb sollte längstens 3 bis 5 Minuten dauern.

SABOTAGE Zu manchen Ständen kamen Parteigänger der anderen und legten den Infostand lahm, indem sie ellenlange Piratenmonologe und langatmige Programm-Erklärungen provozierten. (Ob es überhaupt Sinn macht, Leute mit sowas am Stand zuzutexten, sei dahingestellt.) Wenn der schlaue Pirat ein vorgeschobenes Interesse wittert, sollte man das Gespräch nett abbrechen, zum Beispiel mit einer Einladung zum Stammtisch oder anderen Veranstaltungen, um da “weiterzusprechen”. Man spart so auch Energie für die Menschen, die man überzeugen kann.

KNOWHOW In NRW werden Schulungen zu Pressearbeit, Infostand und vieles mehr von der neuen PIKO, ein piratennaher Bildungsverein, angeboten. Es wurde aufgerufen, diese Schulungen zu buchen. http://www.piko-nrw.de/

Soweit die rund zweistündige Feedbackrunde. Sie lief engagiert und produktiv, ich habe viele interessante Anregungen mitgenommen. Anschließend wurde in Kleingruppen an Lösungen gearbeitet. Den Link zu den Arbeitsergebnissen trage ich hier nach, sobald mir das vorliegt.

4 Kommentare

  1. Dass Wahlkämpfer am Stand interne Gespräche führen, ist
    auch in anderen Parteien ein altes Problem. Es sollten immer zwei
    Leute da sein, die freundlich auf die Passanten zugehen. Ist ein
    vom Aussehen her unbekannter Kandidat anwesend, sollte einer (nur
    einer!) mit ihm ’spazieren gehen‘. Als Eisbrecher: das ist unser
    Kandidat Herr/Frau Sowieso. Sich selbst vorstellen führt nämlich
    oft zu unangenehmen, gehemmten Situationen. Danach soll der
    Begleiter sich still beiseite begeben und den Kandidaten mit dem
    Passanten reden lassen. (Bin alter Wahlkämpfer, das Verfahren hat
    sich sehr bewährt.) Nicht nur andere Parteien legen gezielt Stände
    mit Dauergesprächen lahm. Es gibt auch sehr diskussionsfreudige
    Bürger. Da muss man abwägen: erscheinen solche Bürger wie
    Multiplikatoren, sollte man das Gespräch zur Not fast endlos
    führen, denn es lohnt sich. Aber nur mit einem Wahlkämpfer, der
    andere muss weiter machen! Sieht es hingegen eher danach aus, dass
    man einen Einzelnen mit hohem Mitteilungsbedürfnis vor sich hat,
    vielleicht jemanden mit psychischen oder sozialen Problemen, muss
    man, wenn anderes nicht hilft, ihn so lange reden lassen, bis er
    selber merkt, dass ihm das nichts bringt. Hier sollte man Stände
    anderer Parteien im Auge behalten: erfahrene Wahlkämpfer kennen
    nämlich die Leute, die so zu jeder Wahl bei jedem Stand auftauchen
    und reagieren entsprechend.

  2. Das war mir gar nicht bewusst, dass die anderen Parteien das gezielte Stören im Wahlkampfarsenal haben. Stimmt aber, rückblickend sind mir da besonders die Junge Union und die FDP aufgefallen, obwohl unsere Wähler mit ihren nicht deckungsgleich sind.

    1. Bei uns gabs nur nette Besuche. In Großstädten soll das aber durchaus anders sein. Gerade die Jugendorganisationen machen sich da „verdient“.

      Wers nötig hat…

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