Kompass – Zeitung für Piraten

Der Kompass-Europa-Kandidatengrill: Jens Stomber

Europakandidatenwahlen der Piratenpartei Deutschland 2014

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JENS STOMBER – FOTO PRIVAT – CC-BY NC ND

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

KOMPASS:

 

Bei den Wahlen zum Europaparlament im Jahr 2009 gelang es zwei Kandidaten der Piratenpartei in die europäische Volksvertretung einzuziehen.

Amelia Andersdotter und Christian Engström aus Schweden wurden Mitglieder des Gremiums und vertreten seitdem die Interessen der Piraten im Verbund mit der Fraktion der Europäischen Grünen / EFA.

 

Am fünfundzwanzigsten Mai 2014 stellen sich die Abgeordneten für das EU-Parlament unter anderem auch in Deutschland erneut dem Votum der Wähler.

 

Auf dem Bundesparteitag am 04. und 05. Januar 2014 werden die deutschen Kandidaten der Piratenpartei gewählt.

 

Damit wir uns ein Bild von Ihnen machen können, befragen wir sie in einer Interviewserie.

 

KOMPASS:     

Es treten neben Dir noch einige weitere Kandidaten zur Wahl auf diesem Parteitag an. 

Wir möchten Dich bitten, unseren Lesern ein paar persönliche Informationen über Dich zu geben, damit sie einen Eindruck davon gewinnen können, wen sie wählen, wenn sie Deinen Namen ankreuzen.

  

Jens Stomber. 

 

KOMPASS:     

Zuerst möchten wir ein paar Fragen zu Deiner Person an Dich richten:

 

1)  Was sind Deine politischen Schwerpunkte / Themen?

 

JENS STOMBER:

 

Netzpolitik und Datenschutz, insbesondere Überwachung der Privatsphäre mit nachrichtendienstlichen Mitteln

 

 

2)  Welche europäischen Bezüge siehst Du in diesen Themenfeldern?

 

JENS STOMBER:

 

EU-Datenschutzgrundverordnung, SWIFT-Abkommen, No-Spy-Abkommen, EU Regelungen zur Netzneutralität, Diskussion um Softwarepatente

 

3)  Was sind Deine politischen Ziele?

 

JENS STOMBER:

 

Europa demokratisieren, TTIP verhindern, keine Vorratsdatenspeicherung, Safe Harbour beenden und EU‑Datenschutzgrundverordnung einführen.

Europäisches Silicon Valley schaffen, keine Softwarepatente, freie Software fördern, europäische Cryptoforschung und -standardisierung fördern.

Europäische Cloud Dienste züchten, Anreize und Schutz für Whistleblower, No-Spy-Abkommen zwischen Europa und USA aushandeln, echte Netzneutralität auf EU-Ebene verankern.

 

4) Welche Eigenschaften machen Dich zum geeigneten Kandidaten für das Europäische Parlament?

 

JENS STOMBER:

 

  • Starkes Interesse an den netzpolitischen Themen auf europäischer Ebene,
  • Fähigkeit mich schnell in komplexe Aufgabenstellungen einzuarbeiten,
  • seit über 10 Jahren arbeite ich als Projektleiter bei einem großen deutschen Automobilhersteller, dabei steht die Vereinheitlichung bzw. Abstimmung von Marken- bzw. Länderübergreifenden Konzepten und Prozessen im Vordergrund
  • Vernetzung mit anderen europäischen Piraten, Aktivisten und NGOs

 

5) Hast Du bereits Erfahrung in Parteiämtern oder politischen Mandaten sammeln können?

 

JENS STOMBER:

 

Ja

 

6) Wenn ja, welche(s)?

 

 

JENS STOMBER:

 

  • stellvertretender Vorsitzender KV Ingolstadt 2011 – 2012
  • Schatzmeister KV Ingolstadt 2012 – 2013
  • Koordinator AG Datenschutz
  • Beauftragter für den NSA-Skandal

 

7) Bist Du vor Deiner Mitgliedschaft in der Piratenpartei bereits in einer anderen Partei gewesen?

 

JENS STOMBER:

 

Nein

 

8) Wie stellst Du Dir die Kommunikation mit Presse, Funk und Fernsehen in Deiner Eigenschaft als Abgeordneter des Europäischen Parlamentes vor?

 

JENS STOMBER:

 

Hier habe ich bisher noch keine konkreten Vorstellungen entwickelt. Dies wird dann ein Thema sein, wenn die Anderen und ich gewählt sind. Grundsätzlich denke ich sollte es ein gemeinsames Vorgehen in der Fraktion geben.

 

9) Hast Du in diesem Bereich bereits Erfahrung sammeln können?

 

JENS STOMBER:

 

Ja, als Beauftragter für den NSA-Skandal habe ich an diversen Pressemitteilungen mitgewirkt, mehrere Fernseh- und Radiointerviews gegeben und hatte zuletzt einen Auftritt beim Jahresrückblick 2013 auf Family.tv mit Jörg Draeger.

 

KOMPASS:     

 Wir möchten Dich jetzt bitten uns ein paar Fragen zu unterschiedlichen          politischen Themenbereichen zu beantworten.

 

A)     Währung und Finanzen:

 

12) Wie ist Deine Position bezüglich der gemeinsamen Europäischen Währung Euro?

 

JENS STOMBER:

 

Die aktuelle Krise des Euro ist durch die mangelnde Haushaltsdisziplin einzelner Mitgliedsstaaten entstanden. Diese wiederum ist auf die Reduzierung der europäischen Gemeinschaft auf einen Wirtschaftsraum zurückzuführen.

 

Die Politik ist aufgerufen ein gemeinsames europäisches Bewusstsein zu fördern. Ohne das wird eine gemeinsame Währung nicht funktionieren.

 

13)  Bist Du für einen zwischenstaatlichen Finanzausgleich?

 

JENS STOMBER:

 

Ja, und zwar zur gezielten Entwicklung einzelner Regionen, Industriezweigen sowie Unternehmens- und Forschungsnetzwerken

 

14)  Welche Entscheidungen im Bereich der innereuropäischen Steuersysteme sollten Deiner Ansicht nach getroffen werden?

 

JENS STOMBER:

 

Die europaweite Vereinheitlichung der Quellensteuer durch die Richtlinie 2003/48/EG ist vernünftig, jedoch sehe ich die damit verbundene Aufhebung des Bankgeheimnisses sehr kritisch. Totale Überwachung kann auch in diesem Bereich keine Lösung sein. Hier würde ich mir eine Entscheidung für mehr Datenschutz und für ein wirksames Bankgeheimnis wünschen.

 

15) Welche Maßnahmen sollte die EU in Bezug auf die Frage der Bankenregulierung ergreifen?

 

JENS STOMBER:

 

Ab 2014 tritt der europäische „Bankenaufsichts­mechanismus“ in Kraft. Hier gilt es zunächst abzuwarten inwiefern sich die bereits beschlossenen Maßnahmen bewähren werden.

Grundsätzlich bin ich jedoch für eine strikte Trennung von Staat und privatem Finanzsektor. Der Staat sollte keine unter­nehme­rische Verantwortung im Finanzmarkt übernehmen. Eine staatliche „Rettung“ von „systemrelevanten“ Privatbanken lehne ich ab.

 

B)     Arbeit und Sozialpolitik:

 

16) Wie stehst Du zur Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt innerhalb der Europäischen Union?

 

JENS STOMBER:

 

Das ist besonders zu begrüßen, denn die Migration auf dem Arbeitsmarkt bedeutet auch einen freien Austausch von Ideen, Wissen und Kulturen stärkt das Bewusstsein für Europa.

 

17)  Welche Maßnahmen sollte das Parlament in Bezug auf die Löhne und Gehälter (Mindestlöhne) oder das Bedingungslose Grundeinkommen treffen?

 

JENS STOMBER:

 

keine (jedenfalls nicht das Europaparlament)

 

18)  Was kann zum Schutz der Arbeitnehmer unternommen werden?

 

JENS STOMBER:

 

Eine Harmonisierung der Ausbildungssysteme und Studiengänge in Europa begünstigt die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und wirkt Verzerrungen durch unterschiedliche Ausbildungsstandards und Gehaltsklassen entgegen.

 

19)  Wie sollte die Flüchtlingspolitik Europas aussehen?

 

JENS STOMBER:

 

Nach meinem Verständnis gibt es hier aktuell berechtigte Kritik, weil nicht der Schutz von Flüchtlingen sondern der Schutz vor Flüchtlingen im Vordergrund steht. In diesem Zusammenhang ist bei mir der Begriff „FRONTEX“ hängen geblieben.

 

Eine europäische Asylpolitik muss sich daran messen lassen, ob sie den hohen Anforderungen der vereinten Nationen gerecht wird und sollte über Kriegsflüchtlinge und traditionelle Dissidenten hinaus auch „Whistleblower“  wie Edward Snowden als politisch Verfolgte anerkennen.

 

C)      Internationale Beziehungen:

 

20)  Wie stehst Du zu TTIP /  „TAFTA“ (Trans-Atlantic Free Trade Agreement), dem geplanten Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und welche Bedingungen sollten die USA Deiner Ansicht nach erfüllen?

 

JENS STOMBER:

 

Ich möchte mich dafür aussprechen, die Verhandlungen  für das Freihandelsabkommen mit den USA bis auf weiteres auf Eis zu legen. Ein harmonisierter Verbraucherschutz als Basis für einen freien Handel bedingt gegenseitiges Vertrauen, dass jedoch durch die NSA Affäre nachhaltig gestört ist. Somit fehlt aktuell jegliche Grundlage für irgendein Abkommen.

 

Die Verhandlungen zu TAFTA bzw. TTIP rufen bei mir auch Erinnerungen an ACTA wach. Weiterhin ist mir aktuell nicht klar, wer eigentlich in den Verhandlungen unsere Interessen vertritt.

 

21) Was sollten EU und die USA zur Sicherung der Bürger-, und Freiheitsrechte der europäischen Bürger beschließen?

 

JENS STOMBER:

 

  • keine Vorratsdatenspeicherung
  • Aussetzung des SWIFT-Abkommens
  • Aussetzen des Safe-Harbour-Abkommens
  • kein Austausch von Flugpassagierdaten
  • No-Spy-Abkommen nicht nur für Deutschland sondern für alle 27 Mitgliedsstaaten der EU
  • (Export-) Kontrolle von Überwachungs- und Dual-Use-Software (siehe auch WP033)
  • anonymes E-Geld (siehe auch WP034)
  • Schutz von Whistleblowern sowie Belohnung bei aufgedeckten Datenschutzverstößen (siehe auch WP043)
  • EU-Datenschutzgrundverordnung mit hohen Datenschutzstandards für Europa aushandeln (siehe auch WP045)
  • Förderung von freier Software, insb. freier Verschlüsselungs­anwendungen sowie europäischer Kryptographiestandards

 

22) Wie ist Deine Position in Bezug auf die Bereiche NSA-, GCHQ – Spähaffäre und die Vorratsdatenspeicherung? 

 

JENS STOMBER:

 

Ich lehne die Vorratsdatenspeicherung ab. Bzgl. Spähaffäre habe ich in meiner Funktion als internationaler Koordinator einen gemeinsamen Forderungskatalog mit allen europäischen Piraten ausgearbeitet und abgestimmt (siehe http://antiprism.eu/de/ ).

 

23)  Sollten NATO und EU militärische Operationen außerhalb ihrer Staatsterritorien durchführen?

 

JENS STOMBER:

 

Nein

 

D)     Bildung:

 

24) Welche Ansätze sollten hier verfolgt werden, mehr wirtschaftsorientierte oder persönlichkeitsbildende Ausbildungsgänge?

 

JENS STOMBER:

 

Ich sehe nicht, warum sich beides ausschließen sollte.

 

25) Welche Konzepte sollten bezüglich des Handwerks und der Universitäten verfolgt werden?

 

JENS STOMBER:

 

Einheitliche Studiengänge und Ausbildungsstandards in Europa sorgen für Chancengleichheit und Kompatibilität. In allen  Ausbildungs- und Studiengängen sollte es dann ein sog. Wanderjahr geben, in dem die Ausbildung bzw. das Studium im europäischen Ausland fortgeführt wird, um das Bewusstsein für Europa und für andere Kulturen zu fördern.

 

E)      Verkehr:

 

26) Wie stellst Du Dir in Zukunft die Verkehrssysteme innerhalb der Europäischen Union vor?

 

JENS STOMBER:

 

Ich bin für den fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehr.

 

Im Rahmen der PPEU Verhandlungen ist mir das eng getaktete und sehr pünktliche Bus und U-Bahn Netz mit flächendeckendem UMTS Empfang in Barcelona sehr positiv in Erinnerung geblieben.

 

Zukunftsweisend finde ich das „integrierte Transportnetz“ der brasilianischen Stadt Curitiba sowie das kombinierte U-Straßenbahnnetz in Hannover. In Tokio konnte ich mit der Monorail- bzw. Einschienenbahn einen der interessantesten Verkehrsträger für Metropolen kennenlernen, der obzwar in Deutschland erfunden, hierzulande leider kaum zum Einsatz kommt. Dieses Konzept erlaubt sehr enge Kurvenradien bei hohen Geschwindigkeiten und kann gleichzeitig große Steigungen überwinden.

 

„Damit schwebst du gewissermaßen einmal quer durch die Großstadt, es ist fast wie ein Rundflug aber nicht teurer als eine Busfahrkarte“.

Dieses Konzept wäre meiner Meinung nach auch geeignet, um den Flughafen München direkt an die Innenstadt anzubinden und sicher viel günstiger als der Transrapid.

Ich möchte mich weiterhin gegen Sicherheitskontrollen an regionalen Flughäfen aussprechen und gegen flächendeckende, ideologische Tempolimits auf Autobahnen.

 

27)  Wie stehst Du zu einer europaweiten Maut?

 

JENS STOMBER:

 

Eine europaweite Maut für PKW lehne ich ab. Die Einnahmen aus der KFZ – Steuer und der Mineralölsteuer sind ausreichend, um den Straßenbau zu finanzieren.

Das Konzept der Autobahnmaut in Deutschland, bei dem jedes Fahrzeug mit mehr als zwei Rädern erfasst wird, lehne ich aus Datenschutzgründen ab.

 

F)      Fraktion, Parlament und Regierung:

 

28)  Wie stehst Du zum sogenannten „Fraktionszwang“?

 

JENS STOMBER:

 

Meiner Meinung nach untergräbt der Fraktionszwang die Demokratie, weil dadurch die Meinungen von einzelnen Abgeordneten unterdrückt werden. Das funktioniert, weil es viele Abgeordnete gibt, die außer Politik nichts gelernt haben und daher auf Ihr Mandat bzw. ihren Listenplatz angewiesen sind.

 

Ich glaube daher, unser politisches System muss offen und durchlässig für Quereinsteiger sein, die nicht von der Politik als Beruf abhängig sind.

Meine berufliche Situation würde die lückenlose Rückkehr in meinen Beruf nach einer Legislatur­periode zulassen, sonst würde ich nicht kandidieren.

 

29)  Sollte am Ende des Europäischen Prozesses eine gewählte Europäische Regierung stehen, welche durch das Europaparlament kontrolliert wird?

 

JENS STOMBER:

 

Das ist eine Frage, die ich dann beantworten kann, wenn ich konkrete Erfahrungen im Europaparlament gesammelt habe. Grundsätzlich ist das die Frage, wie weit parlamentarische Demokratie skaliert. Ich sehe das Problem, dass die Distanz zwischen politischen Entscheidern und Betroffenen eventuell zu groß ist. Damit meine ich nicht die räumliche Distanz, sondern die kulturelle und politische.

 

Angenommen der Präsident der EU wäre ein Portugiese, würden wir uns dann von Ihm ausreichend verstanden und repräsentiert fühlen? Aktuell glaube ich nicht, dass das ein stabiler Regelkreis wäre. Das was für mich heute den Reiz in Europa ausmacht ist seine Vielfalt. Die möchte ich auf keinen Fall einer zentralistischen Gleichschaltung opfern.

 

Einzelne Regionen und Länder müssen ihre kulturelle Identität wahren können und auch die Möglichkeit haben selbst zu denken, und etwas anders zu machen, von dem andere wiederum lernen können.

 

Andernfalls erzeugen wir Stillstand und können uns nicht weiterentwickeln.

 

30) Was wünscht Du Dir für die Zukunft in Europa?

 

JENS STOMBER:

 

Ich wünsche mir, dass wir zukünftig als internationale Bewegung genauso erfolgreich zusammenarbeiten wie in der Vergangenheit (Softwarepatente, ACTA, etc.). Die Europäische Piratenpartei (PPEU) stellt dazu den idealen Rahmen dar.

 

Konkret zur Europawahl: Aktuell haben wir in Europa mit Amelia Andersdotter und Christian Engström zwei Piraten im Europaparlament. Nach der Europawahl sollten es mindestens drei sein.

 

 

Interview mit Jens Stomber zur Kandidatur für das Europaparlament 2014

Kompass:        Jens Stomber, vielen Dank für das Gespräch.

 

Timecodex CC-BY NC ND