Kompass – Zeitung für Piraten

KOMPASS – BuVo – Kandidatengrill 2014.2: F. Jentsch

Bundesvorstandswahlen der Piratenpartei Deutschland 2014

FRANZISKA JENTSCH - SELFIE - BLOG
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Kandidateninterviews

 

KOMPASS – BuVo – Kandidatengrill 2014.2:

 

KOMPASS:  

Ende November 2013 fand auf dem Bundesparteitag in Bremen die Wahl des aktuellen Bundesvorstandes statt. 

Der Wahl folgten in kurzen Abständen, verschiedene innerparteiliche Verwerfungen, hervorgerufen durch #Flaggenstreit, #Bombergate, #Orgastreik, sowie der daraus resultierende „Flügelstreit“ der „linken“ und der „sozial-liberalen“ Piraten. 

Aufgrund der erfolgten Eskalation, traten am 16-03-2014, dem Abend der bayerischen Kommunalwahl, der politische Geschäftsführer Björn Semrau, Generalsekretärin Stefanie Schmiedke und Schatzmeister Stefan Bartels zurück.

 

Ihr Rücktritt hinterlässt einen amtierenden, handlungsunfähigen Bundesvorstand.

Das führt zur Notwendigkeit eines außerordentlichen Bundesparteitages (aBPT),

mit dem alleinigen Ziel, einen neuen Bundesvorstand (BuVo) zu wählen. 

 

Mit dieser Interviewserie möchte die KOMPASS-Redaktion allen wahlberechtigten Piraten die Möglichkeit geben, ihre BuVo-Kandidaten vorher genau kennen zu lernen. 

Da sich in den Entwicklungen der letzten Monate gezeigt hat, dass es in der Piratenpartei keine „prinzipiell“ unpolitischen Bundesvorstands-Ämter gibt, bekommen alle Kandidaten die gleichen Fragen gestellt, egal für welchen Posten sie sich bewerben.

 

KOMPASS:

Es treten neben Dir noch einige weitere Kandidaten an, die ebenfalls einen Platz in diesem Gremium erringen wollen.

Wir möchten Dich bitten, unseren Lesern ein paar persönliche Informationen über Dich zu geben, damit sie einen Eindruck davon gewinnen können, wen sie wählen, wenn sie Deinen Namen ankreuzen.

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Franziska Jentsch, 32 Jahre, wohnhaft in Berlin Neukölln @entdinglichung

 

KOMPASS:    Kommen wir nun zum Fragenkatalog:

 

1) Für welchen Posten im Bundesvorstand kandidierst Du?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Wenn schon, denn schon! Ich kandidierte als Bundesvorsitzende!

 

2) Aus welchem Grund kandidierst Du?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Ich denke, dass mein Leben und mein politischer Werdegang ein ganz anderes Licht auf den sogenannten Richtungsstreit wirft. Der Shitstorm rund um das Bombergate war der erste Shitstorm, der mich persönlich getroffen hat. Auch in mir hat im Februar etwas getobt, ich habe viel geschrieben in dieser Zeit. Jedoch hat mich das Bombergate aus ganz anderen Gründen aufgeregt. Ich fand die Aktion halt elitär, denn jeder der Bomber Harris nicht kannte wurde zunächst ausgeschlossen. Auch ich habe trotz meines umfangreichen Wissens über den Zweiten Weltkrieg zunächst einiges gelesen,  bevor ich verstanden habe, dass die Bomber Harris Aktion letztendlich extrem pazifistisch war. Für mich ist das Thema schon seit Wochen abgeschlossen. Eine aktive Piratin hat einen Fehler gemacht, aber sie hat was gemacht.

 

3) Was sind Deine politischen Ziele?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Das Wort BürgerbeTEILigung trifft es recht gut! Denn schließlich geht es darum, dass sich Menschen wieder als TEIL einer Gruppe, Gemeinschaft oder der Gesellschaft fühlen, AnTEILnahme erfahren und dadurch auch Lust auf BeTEILigung bekommen.

 

4) Welche Eigenschaften machen Dich zum geeignetsten Kandidaten für den Vorstand?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Ich habe schon im Alleingang Schlägereien zwischen polnischen – und deutschen Obdachlosen verhindert:)

 

5) Hast Du Erfahrung in Menschenführung? Hast Du bereits Menschen angestellt, beauftragt oder entlassen?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Nein, aber ich habe schon Menschen angeleitet.

 

6) Mit wem besprichst Du Dich, und wer gibt Dir Ratschläge in politischen und organisatorischen Fragen?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Freunde und Familie!

 

7) Kannst Du privates und Amtsbezogenes trennen?/  Wärst Du in der Lage auch Freunden eine Ordnungsmaßnahme zu erteilen?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Ja und Ja!

 

8) Aus welchen Personen würde sich Dein Lieblingsvorstand zusammensetzen?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Ich habe an den bisherigen Vorständen nichts auszusetzen. Ich fände es gut, wenn der Bundesvorstand die verschiedenen Bundespiraten so gut wie möglich abbildet!

 

9) Wie groß sollte Deiner Meinung nach der Bundesvorstand sein?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Weiß nicht!

 

10) Siehst Du den BuVo als ein administratives (verwaltender Vorstand), oder als ein politisches Amt?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Da der BuVo (ständig) Rede und Antwort stehen muss, wäre es gut, wenn er selbstbestimmt denken und fühlen darf.

 

11) Wie stehst Du zur Bezahlung von Vorständen oder Mitarbeitern?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Jemand hat sich darüber lustig gemacht, dass die Halbwertszeit unserer Vorstände sehr gering ist. Die Vorstufe von Burn Out ist Empathiemüdigkeit. Da man bei den den derzeitigen Konflikten schon lang nicht mehr nur von Empathiemüdigkeit sprechen kann, befinden wir uns also im „Burn Out“. Ich denke, es wird echt höchste Zeit, dass wir die nervenaufreibende Arbeit im BuVo nicht nur anerkennen, sondern sogar be- bzw. entlohnen.

 

12) Hast Du bereits Erfahrung in Parteiämtern sammeln können?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

 

13) Wenn ja, welche hast Du bisher ausgeübt?

 

FRANZISKA JENTSCH:

 

14) Bist Du vor Deiner Mitgliedschaft in der Piratenpartei bereits in einer anderen Partei gewesen?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

 –

15) Bist Du aktives Mitglied, oder Sympathisant von außerparlamentarischen Gruppen, oder NGOs?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Ich war aktiv bei autonomen Gruppen in meinem Neuköllner Kiez, welche sich gegen Gentrifizierung engagieren und auch das Bündnis gegen Zwangsräumung unterstützen. Ich sympathisiere nach wie vor mit diesen Gruppen. Zudem bin ich Mitglied bei der Berliner Mietergemeinschaft (BMG). Ich war von Februar 2001 bis September 2002 Freiwillige bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V. (ASF), ich habe mich auch nach Ablauf meines freiwilligen sozialen Jahres bei der NGO ASF engagiert.

 

16) Wie verortest Du Dich politisch? / Welchem Flügel der Piratenpartei fühlst Du Dich zugehörig?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Letztendlich zu beiden, denn ich bin sowohl links, als auch sozial-liberal! Ich bin in einem kleinen Dorf in Südthüringen aufgewachsen. Es ist dort „normal“, dass jemand auf`m Geburtstag sagt: „Die Neger, die stinken doch!“, es ist „normal“, dass man Asylbewerber – „Assilanten“ nennt, es ist „normal“, dass ältere Mitbürger Sprüche, wie: „Lieber ein stinkender Bauer als ein besoffener Jüd!“ von sich geben.

Wenn man das nicht „normal“ findet und eventuell seine Haare lila färbt und auch noch kifft – ist man links. Auch wenn ich mir meine Haare inzwischen nicht mehr färbe, war und bin ich (in meinem Heimatdorf) irgendwie links.

Ich bin mit 19, im September 2001 für ein freiwilliges soziales Jahr nach Amsterdam. Nach Ablauf des sozialen Jahres und auch weil es in den Niederlanden keinen NC gab, habe ich beschlossen, in Amsterdam zu studieren. Seit 2008/2009 versuche ich wieder in Deutschland Fuß zu fassen. Politisch habe ich zunächst da angedockt, wo ich mich eben seit meiner Jugend verortet habe, außerdem kann man bei „den Autonomen“ recht günstig essen (bei Voküs) und trinken. Dennoch hatte ich zunehmend Zweifel an der außerparlamentarischen Herangehensweise…

Nachdem ich letztes Jahr durch Thailand gereist bin ist mir klar geworden, dass ich sozial-liberal bin oder mit anderen Worten ein selbstbestimmtes Individuum in einem sozialen Gefüge sein kann. Ich nutze so demokratische Solidaritätssysteme, wie zum Beispiel Kranken-, Arbeitslosen und Rentenversicherung, habe einen Urlaubsanspruch und kann mich zudem noch frei äußern.

Ich möchte, dass diese Solidaritätssysteme, welche individuelle Freiheit ermöglichen, erhalten bleiben und verbessert werden und, dass eventuell irgendwann mal auch der Barmann auf Koh Phi Phi in den Genuss von solchen demokratischen Solidaritätssystemen kommt.

 

17) Inwiefern würdest Du einen Einfluss nicht rechtsstaatlicher, und nicht gewaltfreier Gruppen, auf die Piratenpartei verhindern, obwohl Du eventuell mit ihren Zielen sympathisierst?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Ich bin als Piratin bei „den Autonomen“ ganz schön angeeckt. Mir wurde immer gesagt, dass unser parlamentarischer Weg nicht der ihre sei. Aufgrund meiner Erfahrungen, kann ich mir persönlich nicht vorstellen, dass solche Gruppen tatsächlich so großen Einfluss auf die Piratenpartei ausüben. Ich glaube es handelt sich bei diesen Unterstellungen vor allem um sehr unterhaltsame Verschwörungstheorien (Don Alphonso lässt grüßen!)

 

18) Inwieweit kann die Piratenpartei verlangen, dass ihre Kandidaten, Amts-, oder Mandatsträger-, persönliche politische Ansichten oder Aktionen, die nicht dem allgemeinen Piratenkonsens entsprechen, unterlassen?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Gar nicht. Da war doch was mit Recht auf freie Meinungsäußerung oder?

 

19) Wie sollte der BuVo auf eine innerparteiliche Krise reagieren?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Besonnen.

 

20) Wie kannst Du als Bundesvorstand, zur Verbesserung der allgemeinen Streitkultur der Piraten beitragen, damit es nicht zu Beleidigungsexzessen unterschiedlicher Strömungen kommt, und eine gemeinsame Arbeit, trotz verschiedener Ansichten möglich bleibt?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Ich kann Menschen nicht daran hindern, ihren Selbsthass auf andere zu projektieren. Ich kann nur versuchen mich selber zu schützen, so dass ich leistungsfähig bleibe. Ich habe bisher noch nie jemanden auf Twitter geblockt. Falls ich dennoch unter Beschuss geraten sollte, werde ich trotzdem niemanden persönlich blocken. Sondern werde dann eine oder mehrere Piratinnen*, denen ich vertraue, beauftragen, meine Accounts zu filtern. Somit werde ich dann nicht mehr direkt erreichbar sein. Ich bin nämlich nicht „Shitstorm-resistent“, niemand ist das!

 

21) Wie stehst Du zu Quotierungen bei Ämterbesetzungen?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Solange der Vorstand ehrenamtlich agiert, halte ich nichts von einer Quotierung.Übrigens immer wenn mich jemand nach der Quote fragt, erkläre ich, dass ich mir eine Männerquote von 50 Prozent bis 2015 bei Hebammen, in Kitas, in Grundschulen und auch im Pflegebereich wünsche. Ich bin überzeugt, dass viel mehr Frauen öffentliche Positionen bekleiden würden, wenn sie das Vertrauen darin hätten, dass er das Kind oder die Oma schaukeln wird.

 

22) Wie stellst Du Dir diese quantitativ vor?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Bei einen siebenköpfigen Vorstand schwer umsetzbar. Eine Quotierung müsste neben Frauen, ja auch Menschen mit Behinderung oder auch Menschen mit Migrationserfahrung berücksichtigen.

 

23) Wie stellst Du Dir eine Kommunikation zwischen Basis und Vorstand vor?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Nicht über Twitter! Kann mir gut vorstellen in Ruhe schriftlich Fragen zu beantworten oder in einer respektvollen Atmosphäre im „Mumble“, auf Skype oder im Real Live miteinander zu reden.

 

24) Was sind SMV, BEO und Liquid Feedback für Dich?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

technikaffine Versuche oder pirateninterne Modelle welche mit mehr BürgerbeTEILigung experimentieren

 

25) Wie stellst Du Dir in Deinem Vorstandsamt die Kommunikation mit Presse, Funk und Fernsehen vor?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Vorsichtig!

 

26) Hast Du in diesem Bereich bereits Erfahrung sammeln können?

 

FRANZISKA JENTSCH:

Ein bisschen.

 

27) Bist Du für zentrale, oder dezentrale Organisationseinheiten (Medienvielfalt), in der Öffentlichkeitsarbeit der Piraten?

 

FRANZISKA JENTSCH:

Beides.

 

28) Was sind Deiner Meinung nach die drei „Essentials“ der Piratenpartei?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Für mich sind es fünf „Essentials“ und zwar: größtmögliche Transparenz (Nachvollziehbarkeit) bei politischen Entscheidungen, größtmögliche Selbstbestimmung von Betroffenen, größtmögliche Dezentralisierung (lokale Unabhängigkeit), größtmögliche Nachhaltigkeit, größtmögliche Bürgerbeteiligung.

 

29) Welche sind Deine drei wichtigsten politischen Ziele der Piratenpartei?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

  1. Gegen Überwachung oder für mehr Vertrauen (konkret zum Beispiel gegen Kameras       im öffentlichen Raum, aber für gutbezahlte Street Worker! )
  2. Gegen Grundgesetzabbau oder für Bürgerrechte bzw. für mündige Bürger, bei denen      die Unschuldsvermutung gilt und die nicht wie Terroristen behandelt werden
  3. Gegen Ausbeutung sprich für ein bedingungsloses Grundeinkommen (und für den           Mindestlohn als Brückentechnologie)

 

30) Die drei  größten Strukturprobleme in der Piratenpartei sind für Dich….

 

FRANZISKA JENTSCH:

  1. Wir kennen uns kaum!
  2. Wir haben nicht das Recht einander zu verurteilen!
  3. Wir sollten eher einen Weg finden, wie wir uns gegenseitig den Rücken stärken!

 

31) Was macht die Partei Deiner Ansicht nach „richtig“ oder „falsch“?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Ich bin mal in die Piratenpartei eingetreten, weil ich für etwas sein wollte. Seit dem Absturz nach dem Anfangshype, hat sich dieses „dafür“ mehr und mehr in ein „dagegen“ verwandelt.

 

Ich habe das Gefühl, dass die Piraten einen großen Schritt nach vorne und dann wieder zwei Schritte zurück (hinter die Twitterwall) gemacht haben. Es wäre gut  wenn wir wieder kleine Schritte aufeinander und auf jene, die wir als Wähler gewinnen wollen, zugehen würden. Und vor allem wenn die mit den Fragen, tatsächlich mal fragen würden!

 

32) Wie stehst Du zum „Bedingungslosen Grundeinkommen“?

 

FRANZISKA JENTSCH: 

Eine Vision, die ich gerne vertrete. Ich glaube, dass die wenigsten Menschen 45 Jahre voll erwerbsfähig sein können und wollen. Meiner Meinung nach, sollten Menschen so frei wie möglich darüber entscheiden ob sie Geld verdienen, Kinder erziehen, Angehörige pflegen, eine Umschulung machen, eine Auszeit nehmen, sich selbst verwirklichen oder sich engagieren wollen.

 

33) Wo siehst Du die Piratenpartei in einem Jahr?

 

FRANZISKA JENTSCH:

Im günstigsten Fall: gesammelt und in der Nähe der Fünfprozenthürde!

 

 

Interview mit Franziska Jentsch zur Kandidatur BuVo 2014.2

Kompass:       Franziska Jentsch, vielen Dank für das Gespräch.

 

Timecodex CC BY NC ND

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