Kompass – Zeitung für Piraten

„Ich will keinen Aluhut“ von Bundestagskandidat Udo Vetter

 

Rechtsanwalt und Blogger (lawblog)
Rechtsanwalt und Blogger (lawblog) Foto: Tobias M.Eckrich

Ich wage eine Behauptung. Vor keinem gesellschaftlichen Problem hat eine Regierung öffentlich so schnell kapituliert, wie es die Merkel-Administration nun bei Prism und Tempora tut. Wir wissen erst seit ein paar Wochen von der Globalüberwachung unserer Kommunikation, welche sich die USA und England anmaßen. Doch statt etwas zu tun oder wenigstens zu überlegen, was man tun könnte, zelebrieren die Verantwortlichen unverhohlen Unlust und gespielte Resignation.

Gestern war es Innenminister Hans-Peter Friedrich, der nüchtern konstatierte, die Überwachung gebe es nun mal, da können man nichts tun. Heute springt ihm sein Parteikollege Hans-Peter Uhl zur Seite. Der FAZ sagte Uhl:

Wenn die Daten jedoch gar nicht in Deutschland ausgelesen werden, sondern im Ausland, dann kann der Staat hier kaum für Schutz sorgen. Das ist keine Bankrotterklärung, sondern ein Zurkenntnisnehmen der Realität, dass dieser Schutz im Internet technische Grenzen hat. Der Staat darf nicht ein politisches Versprechen abgeben, das er technisch nicht halten kann. Das wäre einfach unseriös.

Dem Bürger bleibt nach beider Auffassung wohl nur, sich selbst zu schützen. Verschlüsselung heißt das neue Zauberwort, das eilig in den Vordergrund geschoben wird. Doch tatsächlich zünden Friedrich und Uhl nur Nebelkerzen. Sie unterschlagen nämlich, dass Verschlüsselung letztlich nur gegen private Datenkraken hilft. Gegenüber schnüffelnden Staaten ist der Bürger weit wehrloser, denn diese haben letztlich das Gewaltmonopol und damit die Kraft, Hürden wie Verschlüsselung so einfach zu überwinden, als seien sie gar nicht da.

Entlarvend ist angesichts dessen gerade Uhls Hinweis, es gebe ja keine totale Datensicherheit. Dem Bürger müsse deswegen “relative Sicherheit” genügen. Was er damit meint, illustriert der Politiker ausgerechnet am Beispiel von De-Mail. Dieser staatlich initiierte Dienst gaukelt dem Nutzer nur vor, seine Nachricht bekomme allenfalls der Empfänger zu Gesicht. Tatsächlich wird auf den De-Mail-Servern erst mal alles durchgehend wieder entschlüsselt und dem staatlichen Zugriff ausgesetzt. Das ist die “relative Sicherheit” Marke Uhl.

So eine Sicherheit ist nicht mehr als eine Beruhigungspille. Sie lindert die Ängste, lässt ihren Grund aber unberührt. Gleiches gilt neben De-Mail auch für die allermeisten Sicherungssysteme, die man als einigermaßen publikumstauglich einschätzen kann. Was hilft etwa bei Skype oder Outlook die Illusion sicherer Übertragung, wenn Behörden wie die NSA den Datenstrom schon vor der Verschlüsselung abgreifen?

Ohnehin ist ja interessant, dass nun ausgerechnet die lautesten Fürsprecher eines Mehr an staatlicher Überwachung wie der Vorratsdatenspeicherung oder der Bestandsdatenauskunft Bürgern zur Selbsthilfe raten. Ratschläge übrigens, die sich ja gerade Kriminelle als erste zu Herzen nehmen werden. Es wird deshalb auch nicht lange dauern, bis sich die neue Begeisterung fürs Recht auf informationelle Selbstbestimmung zügig wieder legt.

Gerade Friedrich hat vor nicht mal zwei Jahren nach dem Massenmord in Norwegen gefordert, die Anonymität im Netz gehöre abgeschafft. Gestern hatte er keine Probleme, zeitglich ein Supergrundrecht auf Sicherheit zu postulieren und das Hohelied der Kryptographie zu singen. Spätestens nach der Wahl wird der gleiche Mann fordern, dass man dafür ins Gefängnis geworfen werden kann, wenn man das Truecrypt-Passwort für den eigenen PC nicht herausgibt oder sich gegenüber Behörden weigert, eigene Mails zu entschlüsseln.

Diese Politiker spielen ein falsches Spiel. Sie springen nur bereitwillig auf den Datenschutz-Zug auf, weil er sie aus der Schusslinie bringt. Ansonsten müssten sie nämlich erklären, warum sich Deutschland wie die EU offenbar weder mit den USA noch mit England über Prism und Tempora auseinandersetzen wollen. Stattdessen belässt es etwa die Kanzlerin im Kern bei einem nicht mal energischen Du-Du in Richtung der USA.

Dabei ist das Instrumentarium doch vorhanden, um den USA und England auf die Füße zu treten. Die NSA arbeitet auch auf deutschem Boden. Müssen wir das akzeptieren, wenn eben diese Bürokratie den amerikanischen Sicherheitswahn über die Grundrechte aller Deutschen stellt? Ließe sich nicht auch mal ein Auge darauf werfen, wie viel – eindeutige strafbare – Wirtschaftsspionage tatsächlich mit Prism verbunden ist? Weitere Sanktionsmöglichkeiten mit Bezug zur Sache gibt es reichlich, wie in diesem Leserkommentar aufgezählt.

Oder wie steht es aktuell mit dem Freihandelsabkommen? Wer sagt, wir Deutschen hätten im Fall eines Scheiterns mehr zu verlieren als die USA? Letztlich geben wir den Kampf um unsere Grundrechte schon verloren, bevor wir ihn überhaupt aufgenommen haben.

Das Europäische Parlament könnte einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Gegen England wäre ein EU-Vertragsverletzungsverfahren möglich. Und es wäre sicher auch nicht falsch, Prism und Tempora zum Thema in der UNO zu machen, wie es nun schon mehrere namhafte Völkerrechtler gefordert haben.

Letztlich wäre es auch eine eindeutige Geste, Edward Snowden eine Aufenthaltserlaubnis anzubieten. Das ist juristisch möglich, denn es obliegt der deutschen Regierung, jedermann aus Gründen des Staatswohls in Deutschland zu gewähren. Mit dem Asylrecht hat das übrigens rein gar nichts zu tun.

Es gibt also Handlungsoptionen. Wir müssen diesen Kampf am Ende nicht unbedingt gewinnen. Aber ihn gar nicht aufzunehmen, kostet uns neben Selbstachtung auf alle Zeit die Freiheit, auch ohne Aluhut unbefangen elektronisch zu kommunizieren. Jedes für sich ist schlimm genug, beides ist eine Katastrophe.

Text stammt aus Udo Vetters : „lawblog