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Es gibt mehrere Möglichkeiten unser Ergebnis bei der Bundestagswahl zu deuten:
„Wir haben nicht so viele Wähler gewonnen, wie wir beabsichtigt hatten.“
„Man kann behaupten, dass dies die erfolgreichste Piratenpartei bei einer Bundestagswahl in der Geschichte der Bundesrepublik war.“
Auch das ist richtig.
Die erreichten 2,2 % liegen exakt 0,2 % über den Ergebnissen der letzten Bundestagswahl, bei der die Piraten eine absolute Newcomer-Partei von lauter „Nobodies“ gestartet war.
Das liegt sogar unter der Zahl unseres Stammwählerpotentials.
Jetzt könnten wir uns an dieser Stelle damit beschäftigen, welche äußeren Einflüsse ein besseres Wahlergebnis verhindert haben.
Wir möchten in dieser Interviewserie aber eher die internen Gründe ansprechen mit der Zielrichtung, es für die Kommunal-, und Europawahlen besser zu machen.
KOMPASS: Komplex 1: Wahlprogramm
Da wir ein sehr umfangreiches Wahlprogramm erarbeitet hatten, mit Bürgerthemen wie dem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE), hätten wir einen großen Themenkanon präsentieren können.
Haben wir zu sehr auf die falschen Themen (wie die NSA-Affäre) gesetzt?
Fulleren:
Im diesem Wahlkampf, wie eigentlich in jedem Wahlkampf geht es vor allem um Personen und Gefühle. Der Wähler schaut nach sympathischen und glaubwürdigen Personen, die für emotional positive besetzte Ziele stehen oder die sich gegen emotional negativ Wahrgenommenes stellen. CDU,CSU und AfD haben die Angst vor dem finanziellen Untergang jedes Einzelnen angesprochen. CDU/CSU haben Frau Merkel als erprobten Garant für den Status Quo beworben, die AfD mit der Angst, von Anderen mit herunter gezogen zu werden.
Sicher kennt ihr das folgende Zitat:
„Als sie die ersten Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; denn ich war kein Kommunist. Als sie die ersten Juden holten, habe ich geschwiegen; denn ich war kein Jude. Als sie die ersten Katholiken holten, habe ich geschwiegen; denn ich war kein Katholik. Als sie mich holten, war niemand mehr da, der seine Stimme hätte erheben können.“
Martin Niemöller
deutscher evangelischer Theologe (1892 – 1984)
Die NSA-Affäre ist leicht zu verdrängen, denn man ist ja kein Terrorist. Andere Themen (Arbeitsplätze, Renten, …) waren von existenzieller Bedeutung.
KOMPASS: Komplex 2: Kommunikation mit dem Wähler
Gab es Deiner Ansicht nach auch Schwächen in der Kommunikation unserer Themen?
Wären nicht weniger Flyer mit klarerer Sprache zielführender gewesen?
Hättest Du andere Schwerpunkte gesetzt?
Fulleren:
Die Wähler wollen wissen:
- WER sind diese Piraten und
- WOFÜR stehen sie
Dafür reichen ihnen zunächst einmal Stichworte, bei Interesse braucht man sicher Details.
Dabei wollen sie Geschlossenheit sehen. Streit in einer Partei schreckt sie ab. Fraktionen die zum Teil für oder gegen etwas stimmen, vermitteln dem Wähler das Gefühl „Die wissen selber nicht was sie wollen!“.
„Themen statt Köpfe“, die transparente innerparteilichen Meinungsbildung (öffentlich und zum Teil in rüdem Ton), das freie Mandat und die Ablehnung des Fraktionszwangs mit uneinheitlichem Abstimmverhalten der Abgeordneten, all dies sehen Piraten als positiv. Es entspricht aber nicht den üblichen Spielregeln und wird vom Wähler nicht honoriert.
Wir stellen keine Piraten in den Vordergrund, die Beispielhaft für uns sind und offiziell für die Partei sprechen, und wundern uns dann, dass aus der Menge der Piraten von der Öffentlichkeit die wahrgenommen werden die am lautesten schreien.
KOMPASS: Komplex 3: Wahlplakate
War unsere Plakatserie Deiner Meinung nach treffend, oder hättest Du hier andere Schwerpunkte gesetzt?
Fulleren:
Seit Mai 2012 sind die Umfragewerte gesunken und haben Anfang 2013 2% erreicht. Zu diesem Zeitpunkt haben 98% der Wähler kein Interesse mehr an der Piratenpartei gehabt. Die Wähler haben aufgehört uns zuzuhören und die Medien haben aufgehört über uns zu berichten.
Auf unseren Wahlplakaten waren Köpfe. Das passt nicht zu „Themen statt Köpfe“ und die Köpfe waren zum Teil nicht mal unsere Kandidaten. Für den Laien war nicht klar, dass wir mal wieder Basismitglieder für ihre Lieblingspunkte sprechen lassen.
KOMPASS: Komplex 4: Allgemeine Strategie / „Themen statt Köpfe“
In einem Wahlkampf, der sehr stark auf Personen fixiert war:
Kann man sagen, dass diese Strategie beim Wähler nicht angekommen ist?
Hätte die Piratenpartei besser „Themen mit Köpfen“ in den Vordergrund stellen, oder gleich einen Spitzenkandidaten / ein Spitzenduo präsentieren sollen?
Fulleren:
Die Bundestagswahl 2013 wurde im Sommer 2012 verloren. Wir haben uns mit der Eintrittswelle übernommen. Wir haben um eine neue Identität gerungen, da pro Mitglied mehr als 2 Neumitglieder dazugekommen sind. Wir konnten den Nutzen von Piraten in den Parlamenten nur unzureichend deutlich machen. Wir haben unser Kandidaten nicht langfristig bekannt gemacht.
KOMPASS: Komplex 5; Wahlkampforganisation
Glaubst Du, dass es eine gute Entscheidung gewesen ist, eine Wahlkampfzentrale in Berlin und eine WK-Zentrale in NRW zu betreiben?
Wurden diese Zentralen, Deiner Ansicht nach, kontinuierlich und gut gemanagt:
Hatten Kandidaten und Presse den bestmöglichen Support?
Fulleren:
Wahlkampfmanager einer Partei ist mehr als ein Vollzeitjob. Natürlich machen lokale Wahlkampfzentralen Sinn, aber sie brauchen eine Vielzahl von freiwilligen Helfern.
Mein Eindruck ist, dass viele Piraten bereits vor dem Wahlkampf aufgegeben haben, und sich daher nicht genug Manpower gefunden hat.
KOMPASS: Veränderungen / Verbesserungen:
Was können / müssen wir für den Kommunalwahlkampf und die Europawahl im Mai besser machen?
Was schlägst Du für organisatorische Änderungen vor?
Welche inhaltlichen Themenschwerpunkte würdest Du setzen?
Welche Kommunikationsformen sollten wir wählen? Pressemitteilungen, Infostände, Kandidatentermine, Wahlplakate etc?
Fulleren:
Die Kommunalwahlen sind die Gelegenheit, den Kontakt zum Bürger zu verbessern. Wir wollen mehr Bürgerbeteiligung, haben das aber bisher nicht genug verwirklicht. Grundformen der Partizipation haben uns bereits die etablierten Parteien abgeschaut. Plötzlich sprechen alle Parteien von Basisentscheiden. Wir brauchen Konzepte für die kommunale Bürgerbeteiligung. Kennen die Bürger erstmal ihre Piraten vor Ort, dann werden sie sich auch wieder bei Europa-, Landtags- und Bundestagswahlen für Piraten entscheiden.
KOMPASS:
Fulleren, vielen Dank für das Gespräch.
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KOMPASS- BLOG-Interview zur Nachbetrachtung der Bundestagswahl 2013