Kompass – Zeitung für Piraten

Das politische Gespräch: Wahlaufbereitung Bundestagswahl 2013 / Interview mit Hollarius

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Es gibt mehrere Möglichkeiten unser Ergebnis bei der Bundestagswahl zu deuten:

„Wir haben nicht so viele Wähler gewonnen, wie wir beabsichtigt hatten.“„Man kann behaupten, dass dies die erfolgreichste Piratenpartei bei einer Bundestagswahl in der Geschichte der Bundesrepublik war.“

Auch das ist richtig.

Die erreichten 2,2 % liegen exakt 0,2 % über den Ergebnissen der letzten Bundestagswahl, bei der die Piraten eine absolute Newcomer-Partei von lauter „Nobodies“ gestartet war.

Das liegt sogar unter der Zahl unseres Stammwählerpotentials.

Jetzt könnten wir uns an dieser Stelle damit beschäftigen, welche äußeren Einflüsse ein besseres Wahlergebnis verhindert haben.

Wir möchten in dieser Interviewserie aber eher die internen Gründe ansprechen mit der Zielrichtung, es für die Kommunal-, und Europawahlen besser zu machen.

KOMPASS: Komplex 1: Wahlprogramm

Da wir ein sehr umfangreiches Wahlprogramm erarbeitet hatten, mit Bürgerthemen wie dem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE), hätten wir einen großen Themenkanon präsentieren können.

Haben wir zu sehr auf die falschen Themen (wie die NSA-Affäre) gesetzt?

HOLLARIUS:

Ich glaube nicht, dass es falsche Themen gibt. Wir sind eine breit aufgestellte Partei und haben zu vielen Themen gute Ideen. Meiner Meinung nach haben wir sogar die besten Ideen zu den meisten Themen. Auch war die NSA-Affäre sicherlich ein Punkt, den wir besetzen mussten. Aber eine Beschränkung auf einige Themen halte ich immer für sinnlos. Schließlich haben viele Millionen Wähler auch sehr verschiedene Schwerpunkte. Dass wir Themen, die wir mit radikalen Positionen besetzen, wie das von dir zitierte BGE oder unsere definitiv fortschrittlichste Drogenpolitik nicht auch breit plakatieren und voran bringen, ist für mich unverständlich. Ich halte das auch für einen der größten Fehler, die gemacht wurden.

KOMPASS: Komplex 2: Kommunikation mit dem Wähler

Gab es Deiner Ansicht nach auch Schwächen in der Kommunikation unserer Themen?

Wären nicht weniger Flyer mit klarerer Sprache zielführender gewesen?

Hättest Du andere Schwerpunkte gesetzt?

HOLLARIUS:

Wir sind eine Partei von Technokraten und wir schreiben auch viel zu oft genauso. Wir sollten es sein, die Politik mit einfacher und gern auch mal plakativer Sprache erklären. Das tun wir viel zu selten. Für mich ist das eigentlich der Schwerpunkt, den unsere Fraktionen auch in ihrer täglichen Arbeit setzen sollten. Aber die ergehen sich auch lieber in Politsprech und entschuldigen sich damit, dass sie keine Zeit haben, die Bürger mitzunehmen. Da stimmen die Prioritäten nicht.

KOMPASS: Komplex 3: Wahlplakate

War unsere Plakatserie Deiner Meinung nach treffend, oder hättest Du hier andere Schwerpunkte gesetzt?

HOLLARIUS:

Schwieriges Thema. Ich fand einige Plakate sehr sympathisch und einige Sprüche auch sehr gut gewählt. Aber insgesamt war mir das alles zu brav. Die Linke plakatiert groß „Revolution“ und wir wiederholen brav die Sprüche von 2011. Da fehlt mir einfach der Wille zu polarisieren. Man muss eben immer wieder bedenken, dass wir eine kleine Partei sind, die gerne fünf Prozent hätte. Die muss auch polarisieren und darf auch siebzig Prozent abschrecken, wenn dreißig amüsiert oder interessiert sind und zehn uns dann wählen.

Wir haben oft sehr gute Motive, die ein bis drei Tage lang in den Social Networks kursieren, viele davon sind im Wortsinne deutlich plakativer als das, was wir dann plakatiert haben.

KOMPASS: Komplex 4: Allgemeine Strategie / „Themen statt Köpfe“

In einem Wahlkampf, der sehr stark auf Personen fixiert war:

Kann man sagen, dass diese Strategie beim Wähler nicht angekommen ist?

Hätte die Piratenpartei besser „Themen mit Köpfen“ in den Vordergrund stellen, oder gleich einen Spitzenkandidaten / ein Spitzenduo präsentieren sollen?

HOLLARIUS:

Du setzt voraus, dass es möglich ist, Köpfe in den Vordergrund zu stellen. Das ist eigentlich nicht so. Zu einem Kopf im politischen Geschäft wird man, weil man die Sachen mitbringt, die dafür wichtig sind. Weil man gut reden kann, weil man Kompetenz mitbringt, Schlagfertigkeit und so weiter. Wenn man auf unseren bekanntesten Kopf schaut, also Marina, dann merkt man eben, dass bei ihr vieles zusammenpasst, was Johannes oder Katta in der gleichen Position nicht in dem Maß mitbringen. Eine ähnliche Qualität bringt dann noch Christopher Lauer mit und dann war es das mit den wirklich charismatischen Köpfen – es gibt noch einige Gute, aber die beiden haben halt schon eine gewisse mediale Strahlkraft.

So was kann man nicht verordnen. Man kann in dieser Hinsicht einige lernen, einiges muss man einfach mitbringen, aber das ist dann eben gerade in unserer Partei nicht daran gebunden, ob die dann auch gewählt werden. Ich denke, wir sollten das auch nicht unbedingt forcieren, sollten aber auch dringend davon abrücken, Leuten das Maul zu verbieten, es sei denn, sie entfernen sich zu weit von abgestimmten Positionen.

 

KOMPASS: Komplex 5 :Veränderungen / Verbesserungen:

Was können / müssen wir für den Kommunalwahlkampf und die Europawahl im Mai besser machen?

Was schlägst Du für organisatorische Änderungen vor?

Welche inhaltlichen Themenschwerpunkte würdest Du setzen?

Welche Kommunikationsformen sollten wir wählen? Pressemitteilungen, Infostände, Kandidatentermine, Wahlplakate etc?

HOLLARIUS:

Wir sollten uns auf unsere Stärken besinnen und einen Wahlkampf von unten nach oben organisieren. Also lasst die Piraten vor Ort entscheiden, was sie machen wollen, was plakatieren und welche Flyer verteilen! Unterstützt von „oben“ was von „unten“ gewollt und gemacht wird, aber hört bitte mit dieser Scheinprofessionalisierung auf, die wirklich nur noch in Weichspüler-PR mündet. Wir brauchen viel mehr Mut, wir müssen Risiken eingehen, und ich denke, da wir nach dieser BTW auch nicht mehr viel zu verlieren haben, müsste dafür auch der Weg frei sein.

Inhaltlich sehe ich das WIE der Politik im Mittelpunkt der kommunalen Arbeit. Transparenz ist da ein wichtiges Stichwort. Mitspracherechte sind wichtig. Und wie oben schon geschrieben: Wir müssen die Bürger mitnehmen und ihnen erklären, was in der Politik passiert. Aber auch hier: Die Kommunalpiraten vor Ort wissen am besten, was bei ihnen der Schwerpunkt sein sollte. Wir sollten da dringend wieder vom Top-Down weg.

KOMPASS:

HOLLARIUS, vielen Dank für das Gespräch.

 

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