In Hamburg wird Sicherheit seit vorletztem Wochenende ganz groß geschrieben. Das “Supergrundrecht auf Sicherheit” von Ex-Innenminister Friedrich hat ein Zuhause gefunden: im Gefahrengebiet. In Hamburg spricht man schon von einer “Notstandsgesetzgebung light”.
Auch das Ausland wirft einen verwunderten Blick nach Hamburg.
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Das Wort von ukrainischen Verhältnissen macht die Runde. Das war Grund genug für mich, gemeinsam mit meinen beiden Abgeordnetenkollegen Daniel Düngel und Dirk Schatz nach Hamburg zu reisen. Der Fraktionsvorsitzende der PIRATEN Hamburg-Mitte, Andreas Gerhold, hatte neben weiteren Abgeordneten von LINKE und FDP insbesondere Journalisten zu einem Kiezspaziergang eingeladen.
Hier vollzieht sich unter unseren Augen eine weitere Eskalationsstufe in der Aushöhlung unserer Grundrechte. Im Gefahrengebiet haben Grundrechte keine Bedeutung mehr: Die Unschuldsvermutung fällt weg. Jeder Mensch kann dort durchsucht werden und sogar ohne Angabe von Gründen einen Platzverweis erhalten. Einen konkreten Anhaltspunkt oder Verdacht braucht die Polizei nicht. Es soll sogar schon ausreichen, wenn man sich mit Mehreren gemeinsam an einem Ort aufhält.
Besonders misslich ist dies natürlich für die Anwohner. Lästig wird es, wenn sie für ihre Einkäufe weite Umwege gehen müssen, weil den direkten Weg mal wieder eine Straßensperre blockiert. Allein an diesem Wochenende habe ich das mehrfach erlebt. Noch viel Unangenehmeres allerdings auch. Siehe dazu meinen Blogartikel “Brutaler Polizeieinsatz im #Gefahrengebiet Hamburg”
Die Polizei begründete das Gefahrengebiet zunächst mit einer unwahren Behauptung. Bei einem schweren Angriff auf die Davidwache, dem traditionsreichen Polizeirevier an der Reeperbahn, solle ein Polizist durch einen Schlag mit einem Stein schwer am Kopf verletzt worden sein. Merkwürdig: Videobilder von der Überwachungskamera existieren nicht.
Später stellte sich heraus, dass der Polizist weitab von der Wache angegriffen wurde, vor einem Kiosk, der in einer anderen Straße liegt. Scheinbar passte es zu gut ins Konzept, dies in einen »Sturm auf die Davidwache« zu verdrehen. Nur so ließ sich scheinbar genug öffentliche Empörung generieren, um die Einrichtung eines Gefahrengebietes salonfähig zu machen.
Auf der Pressekonferenz wurden schnell die Unterschiede zwischen den Parteien deutlich. Zwar übten auch Frau Schneider von der LINKEN und Frau Canel von der FDP Kritik. Frau Canel kann sich jedoch „bestimmte Umstände“ vorstellen, unter denen sie ein Gefahrengebiet akzeptabel findet. Das finde ich inakzeptabel.
Da hilft es auch nicht viel weiter, wenn Frau Schneider von den LINKEN moniert, dass das Hamburger Polizeigesetz mit seiner Ermächtigung, Gefahrengebiete einzurichten, die Gewaltenteilung aushebelt. Wenn sie im weiteren Verlauf davon spricht, dass es einen Richtervorbehalt geben müsse, dann ist das wesentlich zu kurz gegriffen und hilft niemandem.
Denn auch ein von einem Richter genehmigtes Gefahrengebiet greift unzulässig in die Grundrechte der Anwohner und unschuldiger Bürger ein.
Denn ein konkreter Verdacht liegt ja auch dem Richter nicht vor. Von wem die Grundrechtsverletzung hier ausgeht, ist mir jedoch im Zweifelsfall egal. Sie sollte prinzipiell erst gar nicht möglich sein.
Dass das Instrument überflüssig und damit unnötig ist, sieht man ja auch daran, dass die anderen Bundesländer ohne eine solche Pauschalverurteilung von Unschuldigen auskommen. Allein schon die Tatsache, dass dieses Instrument aus der sonst auch so verpönten Schill-Zeit kommt, sollte jeden aufhorchen lassen. Aber da hat die SPD kein Problem mit. Ihr Innensenator Neumann macht sich da gerne die Finger schmutzig. T-Shirts mit dem Slogan “FCK-SPD” in Anlehnung an “FCK-NZS” sollten also auch weiterhin gute Absatzchancen haben.
Was mich überrascht hat, war die Art des Protests der Hamburger Bevölkerung. Meistens kreativ und friedlich, auch wenn die Eskalationsstrategie des roten Sheriffs von Hamburg offenbar anderes vorsah. Schön war es auch, als Anwohner Transparente während einer nächtlichen Straßensperre aus ihren Fenstern hingen mit: “Gefahrengebiet – Polizei außer Kontrolle” und “Wir fordern Blauhelme”. Und auch viele Menschen, die nicht sofort als der “linken” Szene angehörig zu erkennen waren, schlossen sich dem Protest auf der Straße an, blieben bei Polizeiaktionen stehen, stellten kritische Fragen an die Polizei.
Dies sind für mich alles Freiheits-Halligen in einer Sturmflut von Willkür und Repression. Es bleibt zu hoffen, dass die Sicherheitsfanatiker bald wieder Ebbe haben, damit man wieder trockenen Fußes, ohne Furcht vom Unrecht weg- oder aus dem Leben gerissen zu werden, grundrechtliches Festland in Hamburg betreten kann.
(zuerst veröffentlicht auf piratenpartei.de)
Gastbeitrag von NRW – MdL Nico Kern