Am 4. Juli verabschiedete der Bundestag das Gesetz zum flächendeckenden Mindestlohn.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ist stolz auf ihren Erfolg: „Wir geben der Arbeit ihren Wert zurück“, jubelt sie selbstverliebt bei der Vorstellung ihres Gesetzesentwurfs.[1]
Im Jahre 2015 werden davon 3,7 Millionen Menschen profitieren. Ab 2018 soll der Mindestlohn sogar jährlich angepasst werden. Abweichungen sind nur bis zum 31.12.2016 durch Tarifverträge auf Branchenebene erlaubt und gesetzlich streng geregelt.
Diese müssen über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) allgemeinverbindlich gemacht werden.
Streng kontrolliert wird die Einhaltung des Mindestlohns von den Zollbehörden; denn Verstöße sollen mit saftigen Geldbußen geahndet werden.[2] Alles lief nach dem durchdachten Plan der Frau Nahles:
Am 3. Juli 2014 verabschiedete das Parlament das Gesetz, und der Bundesrat wird dann nach wenigen Monaten ebenfalls seine Zustimmung erteilen – eigentlich nur noch eine Formsache.
Die Wirtschaftslobbyisten dagegen zetern und jammern.
So befürchtet DIHK-Präsident Eric Schweitzer 100.000 bis 300.000 zusätzliche Arbeitslose, deren Arbeitsplätze durch den Mindestlohn schlicht vernichtet werden – vor allem in Ostdeutschland, denn dort seien die Löhne niedriger.
Der Schaden für Unternehmen und für die Verbraucher, die die gestiegenen Kosten für alles Mögliche mittragen müssten, wäre kaum abzusehen. So viel Schelte aus der Wirtschaft spricht eigentlich dafür, dass Ministerin Nahles der große Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit geglückt ist.[3]
Nachdem die SPD seit Einführung der Agenda 2010 tüchtig geholfen hat, den Sozialstaat auszuhöhlen, findet die gebeutelte Partei endlich zu ihren Wurzeln zurück und macht seit Langem mal wieder etwas „Soziales“. Alle könnten so glücklich sein, wären da nicht diese diskriminierenden Ausnahmen, über die sich Gewerkschaften, Verbände und auch linke Politiker so gar nicht freuen mögen.
Sind das etwa alles notorische Nörgler und Miesmacher?
„Der Mindestlohn ist eine gute Nachricht für Menschen, die hart arbeiten, aber davon nicht leben können“, erklärt Frau Nahles vollmundig.[4]
Da soll endlich mit Hungerlöhnen Schluss sein, wie sie im Folgenden geschildert werden:
„An vier Tagen der Woche arbeite ich acht Stunden im Salon, donnerstags gehe ich zur Berufsschule. Dafür bekomme ich 265 Euro brutto im Monat. Richtig shoppen gehen kann man davon nicht, und ich muss auch immer noch zu Hause wohnen, denn ein WG-Zimmer kann ich mir nicht leisten. Im Salon mache ich Maniküre und färbe Wimpern und Augenbrauen. Dafür bekomme ich gut 1,50 Euro pro Stunde, das ist schon knapp. Darüber darf man nicht so oft nachdenken.“, beschreibt eine Friseurauszubildende ihren Alltag.[5]
Das Beispiel zeigt wie ungerecht Menschen zu Dumpinglöhnen ausgenutzt werden.
Wie wichtig die Einführung des rettenden Mindestlohns ist, wird kaum jemand bestreiten.
Doch genau für diese Menschen klingt Andrea Nahles Zitat wie der blanke Hohn, denn für die 17jährige wird sich nichts ändern – wie auch für andere Auszubildende nicht. Sie sind nämlich vom Mindestlohngesetz ausgeschlossen. Warum?
Eine Vielzahl von CDU-Politikern glaubt, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro für Jugendliche so verlockend sei, dass sie von den Verdienstmöglichkeiten berauscht, keine Ausbildung mehr beginnen würden, in der sie ja auch keinen Anspruch auf Mindestlohn haben.
Deshalb sind Jugendliche unter 18 Jahren zum Dumpinglohn verurteilt, und so soll es bleiben.
Die 8,50 Euro ab dem 18. Geburtstag seien schon ein Anreiz „die Schule ganz zu schmeißen, und auf eine ordentlich Ausbildung zu verzichten“, so verteidigt Generalsekretär Peter Tauber (CDU) die Position seiner Partei. (6) Die Wirtschaft fordert sogar, dass die Grenze auf 25 Jahre angehoben wird.[7]
Dabei finden bereits jetzt schon 15 Prozent der Jugendlichen keinen Ausbildungsplatz –Mindestlohn hin oder her.[8]
Es gibt Branchen, die mit Minderjährigen hervorragend verdienen, da Minderjährigen kein Mindestlohn bezahlt werden muss.
Diese Branchen werden auch zukünftig vom Gesetzgeber belohnt. Benachteiligt werden die sozial Schwächsten mittels einer makaberen Logik weltfremder Politiker. Aber dies ist nicht die einzige Ausnahme: Noch härter trifft es Langzeitarbeitslose.
Auch sie sind vom Mindestlohn ausgeschlossen.
Zukünftig wird es für Firmen sogar lukrativ sein, Langzeitarbeitslose anzustellen und während der Probezeit zu kündigen. Diese werden durch das Gesetz besonders diskriminiert: Ihnen wird nicht nur im ersten halben Jahr ihrer Anstellung kein Mindestlohn zugestanden – der Arbeitgeber wird durch zusätzliche Aufwendungen für das Beschäftigen eines Langzeitarbeitslosen sogar „entschädigt“.[9]
Frau Nahles spricht hier beschönigend von „einer Brücke in den ersten Arbeitsmarkt.“
Und dann wären da noch die Saisonkräfte und Praktikanten, die auch keinen Mindestlohn erhalten sollen. Das geplante Gesetz hat also Schlupflöcher, die nahe legen, dass der Mindestlohn keineswegs als „flächendeckend“ bezeichnet werden kann.
Insgesamt werden – laut Verdi- knapp 2 Millionen Menschen vom Mindestlohnbezug geplanterweise ausgeschlossen.
Etliche Branchen werden weiterhin dafür kämpfen eine Sonderregelung zu behalten:
So betonen z.B. große Verlagshäuser, dass der Mindestlohn die Pressefreiheit bedrohe, da keine Zeitungsausträger mehr zu Hungerlöhnen zur Verfügung stünden – als wäre die Printausgabe einer Zeitung nicht schon seit Jahren ein bedrohtes Auslaufmodell. Die Verlagshäuser haben ihr Ziel übrigens schon erreicht, denn auch Zeitungsausträger erhalten bis 2017 keinen Mindestlohn.[10]
Das Mindestlohngesetz: Ein großer Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit? Nein, eher nicht, es ist eine verlogene Mogelpackung selbstverliebter Politiker.
Abgesehen davon, dass der Mindestlohn ein Hoffnungsschimmer in besonders betroffenen Branchen sein wird (z.B. Pflege- und Gastronomiebetriebe), ist der Mindestlohn nicht einmal existenzsichernd.
Wer 8,50 Euro verdient, dem bleibt der Gang zum Jobcenter als sogenannter „Aufstocker“ nicht erspart. Eine Tatsache, die selbst linke Politiker lieber unerwähnt lassen – frei nach dem Motto: „Lieber der Spatz in der Hand als keine Taube auf dem Dach.“
Wir Piraten setzen uns für einen Mindestlohn ein, der Menschen eine gesicherte Existenz und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Dumpinglöhne lehnen wir ab. Langfristig wollen wir durch das Bedingungslose Grundeinkommen BGE ein ganz neues System zur umfassenden Existenzsicherung und Teilhabe aller etablieren.
So könnten wir endlich selbst entscheiden, was wir tun wollen: ehrenamtlich arbeiten, Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder für einen geringen Lohn arbeiten, weil uns genau der Job Spaß macht.
Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) gibt jeder Arbeit „ihren Wert zurück“.
http://wiki.piratenpartei.de/Wahlen/Bund/2013/Wahlprogramm
[1] SPD Bundestagsfraktion: „Wir geben der Arbeit ihren Wert zurück“
http://www.spdfraktion.de/themen/wir-geben-der-arbeit-ihren-wert-zurück
[2] Bundesregierung: „Kabinett beschließt Mindestlohn“
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2014/04/2014-04-02-mindestlohn-kabinett.html
[3] finanzen.net: „Wirtschaft dringt auf Änderung beim Mindestlohn und bei der Rente“
[4] (erneut) Bundesregierung: „Kabinett beschließt Mindestlohn“
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2014/04/2014-04-02-mindestlohn-kabinett.html
[5] SPIEGEL: „Jugendliche und Mindestlohn: Das haben wir uns verdient“
(6)
[7] WELT: „Firmen wollen Mindestlohn erst ab 25 Jahren zahlen“
[8] taz: „Viele Jugendliche drehen Schleifen“
http://www.taz.de/!82006/
[9] SPIEGEL: „Mindestlohn: Ver.di-Chef Bsirske kritisiert Ausnahmen für Langzeitarbeitslose“
[10] SPIEGEL: „Verdi-Chef Bsirske gegen Mindestlohn-Ausnahmen: „Willkür von Hungerlöhnen““
[allgemein] ZEIT: „MindestlohnFast ein Fünftel arbeitet für weniger als 8,50 Euro“