Kompass – Zeitung für Piraten

Tag der Deutschen Einheit? / Gastbeitrag von @HuWutze

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REICHSTAG BESUCHERTERRASSE – FOTO be-him CC BY NC ND – IMG_1359 – BLOG

Insbesondere dann, wenn sich wichtige Daten rund um den Fall der Mauer jähren, vervielfacht sich der „Schwurbelindex“ in den Blogposts, Pressemitteilungen und Nachrichten. Es wird plötzlich jeder zum Kenner der DDR. Es weiss plötzlich jeder genau Bescheid über die damalige Politik der BRD, dabei stochern gut 95% aller Beiträge mehr oder minder nur im Trüben herum. In mir keimt dann immer wieder die Frage auf:

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Wozu das Ganze?

Aktuell hat Gregor Gysi eine Debatte losgetreten, wie sie halt nur von einem „Zoni“ kommen kann. „Die DDR war kein Unrechtsstaat!“, behauptet er und fordert so natürlich reihenweise wichtige und weniger wichtige Leute mit dieser Aussage heraus.

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EAST SIDE GALLERY – BERLINER MAUER – FOTO be-him CC BY NC ND – IMG_0940 – BLOG

Die Gründung der DDR war zum damaligen Zeitpunkt zu Recht die Antwort auf die vorausgegangene Gründung der BRD durch die westlichen Alliierten. Die DDR hatte zudem ein anderes „Staats- und Gesellschaftssystem“, an dem eben nicht das Etikett „Demokratie nach westlichem Maßstab!“ klebte. Wobei hier die Betonung auf „nach westlichem Vorbild“ liegt. Wer hat zu definieren, was Unrecht ist?

Nur weil an diesem Staat „BRD“ jetzt das Etikett „Staat mit Demokratie nach westlichem Maßstab“ klebt, ist beispielsweise die anlasslose Überwachung von Menschen (welche eigentlich nur in Freiheit leben wollen) eines Rechtsstaates würdig?

Wer der damaligen DDR heute bezeugt, sie habe niemals Unrecht walten lassen, nun, dem ist nicht mehr zu helfen. Wer jedoch der Überzeugung ist, im jetzigen Staat sei alles in Ordnung, der hat aus der Vergangenheit nichts gelernt! Schlimmer noch, er deutet Geschichte ein weiteres Mal zu seinen Gunsten um!

In Kürze und einfach erklärt:

Wenn ein politisches System und dessen Politiker einen anderen souveränen Staat zu einem „Unrechtsstaat“ deklarieren, brauchen diese Politiker ab sofort nicht mehr auf Augenhöhe mit diesem  – zuvor zum „Unrechtsstaat“ erklärten –  Staat zu diskutieren, nicht einmal mehr zu verhandeln. Es genügt dann, diesem „Unrechtsstaat“ das Mäntelchen der Demokratie umzuhängen und die eigene Ideologie zu implantieren, damit man ihm das Label „Demokratie nach westlichem Vorbild“ verleihen kann. Diese sogenannten westlichen Demokratien haben damit ein weiteres Mal ein ganzes Volk „gerettet“!

Es bliebe abzuwägen, zu wessen hauptsächlichem Nutzen…

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Ja, was denn nun?

Der Einwurf mag jetzt lauten: „Aber in der DDR waren Zehntausende von Überwachung betroffen!“. Natürlich! Jedoch, wie viel Unrecht ist nötig, um einen ganzen Staat gleich zu einem „Unrechtsstaat“ deklarieren zu können?

Und ja, verdammt noch mal, es ist viel Unrecht geschehen! Was aber weniger mit dem System, als mit den Menschen zu tun hatte! Wer das von Menschen gemachte Unrecht jetzt dem System an die Backe kleben mag, der sollte so langsam mal anfangen sein eigenes Wertesystem zu überdenken!

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EAST SIDE GALLERY – BERLINER MAUER – FOTO be-him CC BY NC ND – IMG_0949 – BLOG

Der Sieger schreibt die Geschichte, heißt es immer. Dieser Satz ist auch in diesem Fall zutreffend. Der Sieg über den „Kommunismus“ wurde mit dem Fall der Mauer manifestiert. Mit dem Zusammenbruch des ganzen „Ostblocks“ waren die Menschen nicht plötzlich freier geworden in ihren Entscheidungen! Es gab lediglich viele Millionen Konsumenten mehr, die den Profit einiger Weniger maximieren halfen. Das Reich der Überflussgesellschaft konnte endlich ausgedehnt werden.

 

Surreale Welten

Der 3. Oktober 1990, der erste Tag der Deutschen Einheit, ist mir seltsamerweise gut im Gedächtnis geblieben. Ich war damals mit dem Auto nach Hause unterwegs, von Freunden aus dem Süden kommend, über Bayreuth und Hof, Landstrassen fahrend. Überall feierten Menschen diesen Tag bis tief in die Nacht hinein. Das, was die DDR-Bürger 1989 mit ihrem ersten Grenzübertritt in der ihnen fremden Bundesrepublik erlebten, erlebte ich mit meinem Wartburg damals in jedem Dorf. Der Leser sollte wissen, man hörte damals einen „Ossi“ am Klang seines Zweitakters im Auto zuallererst kommen, bevor man ihn einige Sekunden später dann auch erblicken konnte. Die Menschen taumelten mir wirklich in jedem Dorf freudestrahlend entgegen. Dorffeste der Deutschen Einheit wegen?! Komplett surreal war das Ganze für mich.

Ich empfand es damals so, als feiere man meinen ganz persönlichen Untergang. Kein Witz, ich war auf jedes einzelne Dorf, tief im Westen, wütend! Leider erkannte ich erst viele Jahre später, dass diese Freude tatsächlich ernst gemeint war. Heute ist diese Freude in den Dörfern schon längst verflogen und zumeist wieder in Hass, bestenfalls in Gleichgütligkeit umgeschlagen.

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REICHSTAG – KUPPELAUFGANG – be-him CC BY NC ND – IMG_1392 – BLOG

 

Verraten und verkauft

Heute, 24 Jahre später, liest man dann von den mutigen DDR-Bürgern, die ihr System einfach so gestürzt haben. Nirgends ein Wort davon, dass man ausnahmslos alle wiedervereinten Bürger mit uneinlösbaren Versprechen geködert hatte. Dem Osten verprach man blühende Landschaften, dem Westen, dass nun endlich – nach 40 Jahren zweigeteilter Deutschlandpolitik – die Trennung dieser Teile rückgängig gemacht würde. Der, ach so arme Osten, da gab es ja nichts. „Mangelwaren“ und „Mangelwirtschaft“ lautete es aus der unkritischen Systempresse viele Jahre im Westen.

Ich erinnere mich noch genau, wie SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine öffentlich Bundeskanzler Kohl widersprach, und allen Deutschen sinngemäß prognostizierte – „Es wird hart werden, für alle!“. Und so, wie heute auch, der Überbringer der schlechten Botschaft wird bestraft. Lafontaine, bis zur Wende eigentlich in den Umfragen zur kommenden Bundestagswahl weit vor der CDU, verlor mit seiner SPD zusehends an Boden. Kohl konnte sich durchs Land lügen, der bis dahin „dumme Ossi“ (wegen seiner Unerfahrenheit mit „echten“ Politikern) glaubte einfach alles! Naja, „der Ossi“ hatte ja auch endlich wieder einen Leithammel. Dieses Mal nur etwas dicker halt …

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REICHSTAG – PLENARSAAL – FOTO be-him CC BY NC ND – IMG_1341 – BLOG

Für den wirklich Interessierten

Wer sich wirklich mal intensiver mit der DDR befassen möchte und wissen will, welche schreiende Ungerechtigkeit mit dem Wiedervereinigungsprozess für beide Seiten(!) – Westdeutschen(!) wie Ostdeutschen(!) – einher ging, dem sei eine Frontal21 Dokumentation aus dem Jahr 2010 – „Beutezug Ost“ – ans Herz gelegt.http://www.dailymotion.com/video/xt2olx_frontal21-dokumentation-beutezug-ost-zdf_news

Dieser Film erklärt nicht nur Prozesse der Vergangenheit, er erklärt auch nachhaltig die Gier der Banken, die damals bemerkt haben, wie leicht sich dieser Staat und damit einhergehend jeder Bürger abzocken ließ!

Wer wirklich daran interessiert ist, Zusammenhänge des größten, je durch eine Regierung getätigten, Betrugs seit dem 2. Weltkrieg zu ergründen, der sollte hin und wieder mal denen zuhören, die viele Jahre damit verbracht haben, sich selbst, ihr Leben in der DDR und viel mehr auf den Prüfstand zu stellen.

Die Medien liefern hier leider sehr wenig Konstruktives ab. Kritische Stimmen beziehen sich höchstenfalls auf einzelne Dinge, nicht jedoch auf die komplexen Zusammenhänge, deren Nachbeben bis heute spürbar sind – für jeden Einzelnen!

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