Es war einen Monat vor der Bundestagswahl 2013. Täglich lieferte NSA-Whistleblower Edward Snowden neue Enthüllungen über das Ausmaß der Spionage- und Überwachungsaktivitäten. Die Bundesregierung bemühte sich intensiv, die Amerikaner um Verzicht auf Spionageaktivitäten in Deutschland zu bewegen.
Zuerst einmal ging es um das NSA-Programm PRISM, dass die komplette digitale Kommunikation über beliebte Anbieter wie Google, Facebook etc. ausspionierte. Da war Schadensbegrenzung gefragt.
Ronald Pofalla (CDU), damals Kanzleramtschef, jetzt bei der Bahn, verkündete am 12. August 2013: Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung in Deutschland sei vom Tisch. „Die US-Seite hat uns den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten.“
Eine glatte Lüge, wie jetzt bekannt wurde. Das Angebot gibt es bis heute nicht. Es ging nie um gegenseitigen Spionage-Verzicht, wie ihn bereits die Länder der „Five Eyes“-Allianz genießen. Die Verhandlungen darüber, so Pofalla damals, sollten noch im August 2013 beginnen. Sind sie aber nicht.
Wie wir heute wissen, war das alles Regierungs-Wunschdenken und, was noch viel schlimmer ist, komplett gelogen. Recherchen von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung zeichnen dieses Bild:
Viel deutet daraufhin, dass Pofalla damals die Öffentlichkeit in die Irre geführt hat. Das zeigt eine geheime Regierungskorrespondenz zwischen Kanzleramt und Weißem Haus, die kurz zuvor, im Juli 2013, beginnt und die NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ vorliegt. Es handelt sich um Emails, die Merkels ranghöchster außenpolitischer Berater Christoph Heusgen und Obamas Beraterin Karen Donfried, teilweise auch ihre Mitarbeiter, austauschten.
Aus den vagen Antworten der Amerikaner machte die Merkel-Regierung dann den Einstieg in No-Spy-Verhandlungen. Eine glatte Lüge, wie jetzt bekannt wurde. Nie gab es auch nur den Hauch einer solchen Zusage von US-Seite.
Verzweiflung in der Industrie
Tatsächlich war vor allem die Wirtschaft über NSA-Industriespionage entsetzt. Aus einem KOMPASS-Interview mit Udo Vetter, damals Bundestagskandidat für die PIRATEN:
Kompass: Udo, Du hast in einem Gespräch vor kurzem gesagt: „PRISM ist Dein Arbeitsplatz“! Was genau meinst Du damit?
Udo Vetter: Die Empörung über PRISM richtet sich derzeit gegen die Auswirkungen, welche die laufende Totalüberwachung auf das Privatleben der Menschen hat. Völlig zu Recht, denn ein überwachter Mensch ist nicht frei. Neben den Bürger- und Freiheitsrechten stehen jedoch auch Arbeitsplätze auf dem Spiel. Ein Motiv für Spionage ist es seit jeher, an Betriebsgeheimnisse ausländischer Unternehmen zu kommen.
Totale Wirtschafts-Spionage.
Es wäre lebensfremd zu glauben, die US-Regierung interessiere sich nicht für Daten aus deutschen Unternehmen. Wer den kompletten Internetverkehr abschnorchelt, kriegt logischerweise auch kompletten Zugriff auf sensible Firmendaten, von der einfachen Kundenliste bis zu den Plänen für ganze Industrieanlagen.
All das landet in den USA und findet seinen Weg. Um das zu sehen, muss man kein Verschwörungstheoretiker sein. Der deutsche Mittelstand und darunter besonders die Maschinenbauer, die uns Exportweltmeistern machen, tun sich schwer damit, ihre elektronische Kommunikation auf NSA-Niveau zu sichern. Ich glaube nicht mal, dass dies den großen deutschen Konzernen gelingt. Selbst dort ist mittlerweile die Verzweiflung groß, wie ich von unterschiedlichen Bekannten in Führungspositionen weiß.
So verteidigt sich die Bundesregierung: Auf eine Anfrage von NDR, WDR und SZ zu dem Mailverkehr schreibt ein Regierungssprecher laut tagesschau.de: Die Bundesregierung kommentiere „vermeintliche Äußerungen der US-Regierung grundsätzlich nicht öffentlich“.
Grundlage der damaligen Einschätzung zum No-Spy-Abkommen sei „ein Angebot der US-Seite, damals bereits bestehende Vereinbarungen für gemeinsame Projekte zu verallgemeinern und auf ganz Deutschland anzuwenden“ gewesen. Christoph Heusgen will zu der Anfrage keine Stellung nehmen. Denn „die Verhandlungen zwischen BND und NSA für eine Kooperationsvereinbarung“ dauerten weiter an. Seit August 2013.
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