Kompass – Zeitung für Piraten

Zensur-Netz nein danke: keine Spezialdienste gegen diskriminierungsfreies Internet

Internet_CC-BY-NC-SA_Marcela_Palma - BLOGNetzaktivisten fordern: alle Informationen sollen gleichberechtigt durch das weltweite Internet fließen, egal ob sie von Google, Apple, Spotify, Netflix, ganz neuen, unbekannten Startups, Privatmenschen oder sozial/ehrenamtlich tätigen Organisationen kommen. Internet-Provider wollen dagegen ein Internet der gestaffelten Geschwindigkeiten: mit eingebauter Überholspur für alle, die extra zahlen.

Im Dezember 2014 hat die Bundesregierung ihr „Netzneutralitäts“-Konzept vorgestellt, das sie in die EU-Verhandlungen einbringen will. In diesem versucht sie den Spagat: den Erhalt des offenen, gleichen Internets für alle (Netzneutralität) verknüpft mit Ermöglichung einer Überholspur für Spezialdienste (Managed Services) gegen Gebühr. Die Definition vom Spezialdienst ist allerdings so weit gefasst, dass jeder Dienst zu einem Spezialdienst erklärt werden kann. Das lässt befürchten, das es in der Folge zur weitgehenden Aushebelung des Prinzips der Netzneutralität führen würde.

Ein erster Vorgeschmack auf die Welt von morgen: letzte Woche, als Mobilfunkprovider netzseitige Werbeblocker fürs Handy-Internet ins Gespräch brachten. Hiermit werden die Transporteure in die Lage versetzt, den Fluß der Informationen zu steuern. Dinge, die sie noch nicht so tun können.

Mit Vorratsdatenspeicherung-Infrastruktur-Doppelnutzung und der Spezialdienste-Novelle können die Provider ihre Kunden systematisch bespitzeln, um in der Folge die entsprechenden Daten-Filter ins Netz einzupflanzen und neue Gebühren zu erfinden. Ein europäischer Netzbetreiber hat bereits die Software in seinen Rechenzentren und wolle sie bis Ende 2015 scharfschalten, meldete die „Financial Times“ vergangene Woche.

Heute also Hauptversammlung der Deutschen Telekom AG in der Lanxess-Arena in Köln unter dem Motto ‚Architektur der digitalen Zukunft‘.

Die Piraten wollen vor Ort demonstrieren. Patrick Schiffer, Vorsitzender der PIRATEN NRW:

PATRICK SCHIFFER -  FOTO by BARTJEZ  - CC-BY-SA
PATRICK SCHIFFER – FOTO by BARTJEZ – CC-BY-SA

„Wir stellen uns gegen diese ‚Architektur der Kriechspuren‘ und fordern ‚Gleiches Internet für alle‘. Das Netz muss neutral bleiben! Wir fordern weiterhin eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität auf nationaler und europäischer Ebene. Wir lehnen alle Methoden ab, die Daten diskriminieren und damit das Prinzip der Netzneutralität aushebeln. Wir fordern ein Verbot des Betrachtens der Transportschicht der durchgeleiteten Daten, der sogenannten Deep Packet Inspection.“

Die Diskussion um Netzneutralität

Nutzer: Ein anbieterneutrales Netz ist für sie wichtig, damit alle Teilnehmer die gleichen Spielregeln haben. Wenn erst einmal unterschiedliche Geschwindigkeiten für Youtube oder Facebook, oder Spezialpreise für gängige Internet-Services wie Webmail, Suchmaschinenzugang oder anderes legal möglich werden, kehrt die Welt der Onlinedienste aus dem letzten Jahrtausend zurück.

Betreiber: Der Telekom stößt es auf, dass Internet-Firmen viel Geld über ihre Netze verdienen, ohne sich an den hohen Infrastruktur-Kosten zu beteiligen. Ein bundesweiter Glasfaserausbau etwa schlägt mit rund 80 Milliarden Euro zu Buche, eine gewaltige Summe, die üblicherweise durch die Telekom-Unternehmen vorfinanziert und in den Jahrzehnten der Nutzung auf Kunden umgelegt wird.

Politik: Das Europaparlament sprach sich im Februar 2015 für ein freies und offenes Internet aus. Es verlangte die Gleichbehandlung aller Internetanbieter in Form von Netzneutralität. Die Straßburger Abgeordneten unterstützten dazu das 2006 gegründete UNO Internet Governance Forum.

Drosselkom-Verbot

Die PIRATEN forderten bereits 2013 anläßlich entsprechender Telekompläne das neutrale Internet. Die Telekom hatte geplant, ihre DSL-Zugänge künftig ab einem bestimmten Datenverbrauch zu drosseln, eigene Dienste wie „Entertain“ jedoch von der Drosselung auszunehmen. Das untersagte im Oktober 2013 schließlich ein Gericht. Im Mobilfunkbereich übt die Telekom diese Geschäftspraxis schon seit einiger Zeit aus.

Datenschutz-Fachmann Markus Drenger sagte seinerzeit:  „Netzneutralität gewährleistet einen freien Wettbewerb zwischen den Anbietern im Internet und sorgt so für Innovation und wirtschaftliche Entwicklung. Das Netz dient vielen Menschen als Informationsquelle. Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Informationsfreiheit müssen auch im Netz gelten.

Dazu gehört auch, dass eine Vielzahl von Menschen und Medien Informationen und Meinungen ohne Benachteiligung seitens der Telekom verbreiten können. Die hochrangige Gruppe zu Medienfreiheit und Medienvielfalt der Europäischen Union hat daher auch in ihrem Abschlussbericht die EU aufgefordert, Netzneutralität europaweit gesetzlich zu verankern.“

Doch beim jetzigen Zustand der großen, grundrechte-freien Koalition unter Angela „Vollkasko“ Merkel ist wie bei der neuen, stasi-artigen Vorratsdatenspeicherung nur das Schlimmste anzunehmen.

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