Gastbeitrag von Joffrey
Die Gesellschaft steht vor der Spaltung: Diese Befürchtung ist immer öfter zu hören und geht Hand in Hand mit den immer verzweifelter und dramatischer werdenden Versuchen bestimmter Gruppen, den Diskurs zu beherrschen. Dies führt zu einem immer schärferen Ton der Zivilgesellschaft einerseits und der kommunikativen Hilflosigkeit politischer Eliten und Medien andererseits.
Während sich Diskussionen in sozialen Netzwerken immer weiter aufschaukeln, versuchen Medien und Politik ein gewisses Maß an Anstand zu wahren. Dies fällt allerdings zunehmend schwer, wo Einzelne diese Art des Tabubruchs nutzen, um sich besonders im rechten Spektrum zu profilieren – frei nach dem berüchtigten Satz: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ Die Eskalation der Rhetorik führt damit zu einer Radikalisierung der politischen Spektrumsränder und gleichzeitig zu einer Apathie der Mitte, besonders im Hinblick auf die aktuelle Regierung und die Flüchtlingsfrage.
Zugleich laufen jedoch viele Appelle zur Mäßigung von Seiten der Medien und der Politik schon alleine deshalb ins Leere, weil man ja nicht auf die „Lügenpresse“ oder die „Volkszertreter“ hören möchte. Hier ist für mich der eigentliche Auslöser der Spaltungstendenzen der Gesellschaft zu erkennen, die eigentlich nur eine größere, heterogene Gruppe ist, die durch das zufällige Kriterium der Geburt im selben Land/Staat nun politisch miteinander auskommen muss: Es ist das Fehlen gemeinsamer Medien und Diskussionsarenen.
Um zu verstehen, was ich damit meine, möchte ich ein bisschen in die Geschichte blicken.
Auseinanderstrebende Kräfte in der Gesellschaft sind nichts Neues. Das periodische Abwechseln von liberalen und konservativen, linken und rechten, fortschrittlichen und zumindest konservativeren Phasen in einer Gesellschaft lässt sich schon immer feststellen und hat ebenso viele Ausprägungsformen wie mögliche Ursachen.
Was sich geändert hat, ist die Diskussions- und Wahrnehmungskultur. Diese hängt natürlich extrem stark von den Medien einer Gesellschaft ab. In vergangenen Jahrzehnten war die Art und Weise der Informationsbeschaffung sehr beschränkt. Selbst unter Einbeziehung verschiedener internationaler Tageszeitungen kam man nicht über eine Bandbreite von maximal fünf Zeitungen hinaus, und auch die Anzahl und Bandbreite an Fachmagazinen hielt sich stark in Grenzen.
Zudem existierten noch sogenannte Leitmedien. Der Begriff Leitmedium, der gerade in den letzten Jahren (wohl nicht zufällig) in Verrruf geraten ist, bezeichnet für mich eine Art der Berichterstattung und eine Information, die unbewusst und oft auch bewusst als Vergleichspunkt für andere Medien herangezogen wird, wenn es um ausgewogene Berichterstattung oder um die Wichtigkeit einer Nachricht geht („Aber in der Tagesschau haben sie davon gar nichts gesagt“). Besonders die Schlagzeilen der größten Tageszeitungen und eben die Tagesschau hatten diese Art der Leitmedialität, die natürlich auch ein großes Thematisierungspotential mit sich brachte.
Diese Art der Leitmedialität war jedoch nur durch eine gewisse Alternativlosigkeit der entsprechenden Medien möglich: Ob man nun die Weltanschauung, die Abends um 20.00 Uhr gesendet wurde, richtig und wünschenswert fand oder nicht, man kam nicht umhin, sie anschauen zu müssen, aus dem schlichten Grund, dass es kein vergleichbares Format gab. Und wenn man mit der – wahlweise nazi- oder gutmenschenversifften – Regierungsversion nichts anfangen konnte, so musste man sie trotzdem sehen und seine Meinung in Referenz zu den dort gesendeten Nachrichten ausdrücken.
Das Netz, die Entstehung sozialer Netzwerke und die Möglichkeit, seine eigene Weltanschauung im Web 2.0 aktiv und für alle Welt sichtbar darzustellen, führten zur Abkehr von Leitmedien. Dies hatte in medialer Hinsicht zweierlei Auswirkungen:
Zum einen entstanden diverse Subkulturen, die sich verstärkt untereinander austauschten.
Zum anderen gab es damit auch die Möglichkeit der kritischen Betrachtung von journalistischer Arbeit und dem, was die Journalisten als subjektive oder objektive Wahrheit darstellen.
Man liest Nachrichten, um seine eigene Meinung zu bestätigen, nicht um sich weiterzubilden. Das ist eine menschliche und altbekannte Tendenz. Der Unterschied zu früher ist, dass monothematische oder politsch eindeutig ausgerichtete Medien – die zugleich für sich selbst natürlich die Objektivität und Richtigkeit ihrer Darstellung in Anspruch nehmen – dieses Bedürfnis deutlich reibungsloser ermöglichen. Auch die Möglichkeit der Bildung digitaler Communities wird im politischen Bereich eher bedenklich. Während es für Sammler von Münzen aus dem vierten Jahrhundert eine angenehme und bereichernde Erfahrung sein kann, Gleichgesinnte kennenzulernen, führt die Tendenz der Community-Bildung im politischen Bereich allgemein zu einer Verödung des Diskurses. Es findet keine Diskussion mehr statt, wenn diese vermieden werden kann.
Hinzu kommt, dass jede noch so abstruse Einzelmeinung und Verschwörungstheorie der simplen Wahrscheinlichkeitslogik nach irgendwo im Netz auf Sympathie stoßen werden und sich somit zu einer kleinen, aber sehr von ihrer eigene Wahrheit überzeugten politischen Gruppe ausdifferenziert. Während solche Menschen früher in ihrer Umgebung auf Granit bissen, suchen sie sich nun eben genau die Gesprächspartner, die ihnen zustimmen. Diese Pluralisierungstendenz, deren kleinste Einheit und Ende noch nicht abzusehen ist, atomisiert so den politischen Diskurs.
Diese Barrieren aufzubrechen, wird neben der persönlichen Bequemlichkeit auch durch die eindeutige Konnotation einzelner Medien – auch innerhalb der Gruppen – unmöglich gemacht. Über Nachricht X zu diskutieren, wenn sie nur von einem bestimmten, einer politischen Richtung zugeordneten Medium publiziert wurde, ist kaum möglich, weil der Vorwurf der Erfindung, Falschdarstellung oder (politisch gesteuerten) Lüge nie weit ist – ein Verhalten, das bei Kritikern des Neuen Deutschland, der FAZ, von Russia Today, der Jungen Freiheit oder den zentralen Blogs der Chemtrail-Theoretiker gleichsam allgegenwärtig ist.
Umgekehrt ist innerhalb dieser Blasen ein Vergleich von Darstellungen in unterschiedlichen Medien oder das Einbringen externer Meinungen außerordentlich schwer, denn dieselben Vorwürfe, die man gegen Anhänger einer anderen politischen Gruppe erhebt, erhebt man auch gegen Leute im Inneren. Wer sich auf tabuisierte Medien bezieht, dem droht oft der Ausschluss.
Wer eine bestimmte Publikation liest, wird als ihrer Meinung folgend wahrgenommen, objektive Nachrichtenlektüre nicht unterstellt.
Selbst eine manchmal zustandekommende Diskussion zwischen den Gruppen muss unweigerlich daran scheitern, dass einzelne Blasen komplett unterschiedliche politische Agenden, Zahlen oder Ereignisse zugrunde legen. Und gerade die Unüberbrückbarkeit der Diskrepanz von vermeintlich harten, klaren Fakten ist es, die die Diskussion verhindert. Ob Zuwanderung dem Land nun schadet oder nützt, ob Deutschland nun linksgrünorangeversifft ist oder neurechtes Kaltland, ist ultimativ gar nicht die Frage, denn jede Zahl, jeder Sachverhalt kann in die eine oder andere Richtung verkehrt und interpretiert werden.
Eine politische Diskussion muss sich um Meinungen drehen, nicht um Fakten. Wäre Politik nur eine Folge logischer Folgerungen aus Fakten, wäre sie Wissenschaft und Technokratie.
Eine jede politische Meinung kommt ultimativ aus einem moralischen Empfinden, welches man später zu rechtfertigen und verargumentieren sucht, um es auch anderen besser vermitteln zu können.
Es ist umgekehrt nicht so, dass feste Fakten politische Meinungen vordefinieren, denn man hat immer eine Wahl. Politik ist kein determinierter Ablauf. In dieser Abkehr von Fakten und dem Mut, eine Meinung und moralische Überzeugung als das zu formulieren, was sie ist, und sie nicht als Sachzwang darzustellen, schwingt eine gewisse Unsicherheit mit. Man sollte sich an dieser Stelle auch vom Begriff des Richtig und Falsch verabschieden, der in Moral und Politik wenig tatsächlichen Platz hat. Was dem einen als falsch vorkommt, wird dem anderen zur Erreichung seiner entsprechenden Ziele richtig vorkommen.
Der Begriff der richtigen und falschen Meinung ist vor allem deswegen bedenklich, weil er einen selbst in eine überlegene (und ziemlich arrogante) Position versetzt, in der man sich naturgemäß weniger hinterfragt, weil die eigene Meinung als „richtige“ gilt. Gleichzeitig entwertet er das Gegenüber, denn eine „falsche“ Meinung verdient keinen Respekt. Ultimativ entwertet dies dann auch den entsprechenden Menschen.
Wenn Meinung nicht mehr als legitim, sondern als entweder richtig oder falsch angenommen wird, und zugleich einer „falschen“ Meinung eine Unabänderlichkeit unterstellt wird, muss jegliche politische Auseinandersetzung natürlicherweise enden. Denn es bedeutet, dem Gegenüber das Fehlen eines Moralempfindens zu unterstellen und damit das Fehlen von Menschlichkeit.
Gastbeiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder, sie sind als Beitrag zur Diskussion gedacht.