Johannes Thon über große und kleine Piraten-Erfolgserlebnisse, die in den Mainstream- und Sensationsmedien gerne unter den Tisch fallen
Was sind für Dich die größten Erfolge der Piraten?
Also meine Erfolge von den Piraten sind verknüpft mit persönlichen Highlights und auch mit dem Überwinden von persönlichen Krisen und Tiefen, die mit der Piratenpartei zu tun haben. Für mich ein ganz persönlicher Erfolg war die vorgezogene Saarland- Wahl im März 2012. Wir haben von Rheinland- Pfalz aus unterstützt, standen mit auf der Straße, haben versucht organisatorisch zu entlasten, denn der saarländische Landesverband ist ja nicht so groß.
Im Saarland haben sich letztes Jahr im Zuge des Wahlkampfes Kreisverbände gegründet. Hat sich so die Struktur verbessert?
Dazu muss man wissen, dass die Saarländer grundsätzlich unaufgeregte Zeitgenossen sind. Bei Unstimmigkeiten hat man sich zusammengesetzt, und überlegt: wie kann man das am besten heilen. Kreisverbände im Saarland sind Wahlbezirke, die mussten sie gründen, weil wegen Wahlrecht Kreislisten beziehungsweise Bezirkslisten vor der Landesliste stehen. Spitzenkandidatin Jasmin Maurer etwa war in der Landesliste auf Platz 1, aber auf ihrer ureigensten Bezirksliste „nur“ Platz 2, obwohl das eigentlich die wichtigere Liste gewesen wäre.
Ich habe festgestellt, das ist jetzt eine ganz subjektive Meinung, dass alle Landesverbände mit Fraktionen sich professionalisiert haben. Da steht eher die Sacharbeit im Vordergrund. Grundsätzlich muss ich sagen: aus meiner Zeit als Beisitzer in Rheinland-Pfalz war eine Kreisverbandsgründung an ein bis zwei Stellen ein Fehler. Da hat das nicht zur Stabilisierung beigetragen, sondern eher, dass Leute vergrault worden sind. Es kann gutgehen, aber auch ganz furchtbar schiefgehen. Zurück ins Saarland.
Siehst du aufgrund der besonderen Sozialstruktur eine bessere Möglichkeit der Zusammenarbeit als in anderen Bundesländern?
Ja natürlich. Zum einen ist das Saarland ja gebietsmäßig relativ klein, da kennt jeder jeden mehr oder weniger. Die Wege sind kürzer. Ich denke, wenn man nicht den Bedarf durch die Wahl hätte, wären da Kreisverbände erstmal nicht gebraucht worden. Die andere Seite ist: Saarländer sind meist sehr sachorientierte Leute. Da gibt‘s zwar auch den einen oder anderen Aufreger, weil es da auch natürlich „Trolle“ gibt (Provokateure, mit der Absicht, Aktiven die Zeit zu stehlen oder so zu entnerven, dass sie aufhören – Anmerkung der Redaktion), aber im Groben und Ganzen ist mit Saarländern zu arbeiten.
Die hören dir zu, die sagen dir aber auch ganz genau, wenn ihnen was nicht passt. Wohl aufgrund ihrer Bergarbeiter-Tradition sind sie auch in ihrem Vereinsleben viel enger zusammen. Das funktioniert da alles schon auf kurzem Wege. Das birgt natürlich auch die Gefahr, dass wenn es mal Zoff und Krach gibt, sich das dann schneller ausbreitet. Aber genauso schnell legt sich das auch wieder. Kleinere geschlossene Strukturen scheinen dann doch besser zu sein.
Strukturen entscheiden
Gegenentwurf ist natürlich Berlin. Berlin ist ein Riesen-Landesverband. Dort haben sie sehr viele Mitglieder (3.760, davon 1.770 stimmberechtigt). Manche Bezirksverbände sind größer als der Landesverband Saarland. In Berlin ist das ein ganz anderes Arbeiten. Da hat sich die Fraktion auch anders aufgestellt. Dadurch, dass die Bezirksverordnetenversammlungen (BVVen) besetzt werden mussten, als sie damals mit 8,9 Prozent ins Abgeordnetenhaus einzogen, wurden plötzlich nahezu alle aktiven Piraten zu Funktionären oder Abgeordneten oder wie auch immer. Das hatte ganz fatale Folgen für die Basis. Wenn plötzlich mehr oder weniger die komplette Basis eines Landesverbandes funktionell eingebunden ist, fehlt die Basis als Regulativ. Da sind wir in einer Lernphase, die wir absolvieren müssen, das sind harte Zerreissproben.
Und dazu kommt natürlich auch, dass wir an einer bestimmten Stelle mit politischen Kräften zu tun bekamen, die neu in die Partei geflossen sind. Vor allem aus anderen Parteien; aus Enttäuschung oder warum auch immer. Da ist der piratige Kern, wie ich ihn immer empfunden habe, dass die Piraten doch eher ein Tool oder eine Plattform als eine Ideologie sind, übervölkert worden. Das war dann diese Neu-/Alt-Piraten-Diskussion. Neu-Piraten wollten mit ihrer bestehenden politischen Ideologie andocken, weil sie den entsprechenden politischen Hintergrund hatten. Sie haben aber dann keinen Punkt zum Anknüpfen gefunden.
Kommen wir nun zu den politischen Themen der Piraten. Es sind ja jetzt gerade zum Jahresende 2012 einige Themen aus Piratensicht erfolgreich abgearbeitet. ACTA an sich ist endgültig weg, die neuen GEMA-Tarife sind gestoppt, die ganze Urheberrechtsdiskussion wurde durch das Wirken der Piraten überhaupt erst in die Öffentlichkeit gezogen. Wie hat sich die Sache mit den Themen über das letzte Jahr entwickelt?
Also ACTA und alle seine Geschwister und Brüderchen stehen ja mittlerweile als Synonym für Bemühungen von Regierungen und auch der Europäischen Union, das freie, unzensierte, unreglementierte Internet in irgendeiner Art und Weise zu fassen. Das war ein verbitterter Kampf. Wir haben oft aus dem Stand Demos organisiert. Hier in Koblenz haben wir innerhalb von drei Tagen eine Demo organisiert, wo sich weit über 500 Leute auf die Straße gestellt haben. Das zeigt ja, wie tief dieses Thema in der Bevölkerung angekommen ist. Durchaus ein Verdienst der Piratenpartei. Als die größte außerbundesparlamentarische Organisation können wir andere Politiker bewegen, sich mit dem Thema überhaupt erst mal zu befassen. Für die ist Internet vielleicht „YouPorn“ und „Spiegel Online“ und das wars.
Aber die Problematik des freien Wissens- und Meinungsaustausches sehen diese Leute einfach überhaupt nicht. Immer nur die Gefahren. Dann wurden Dinge thematisch mißbraucht und instrumentalisiert. Wir erinnern uns alle noch an diese „Kinderpornographie“- Geschichte. Natürlich ist Kinderpornographie sehr verachtungswürdig, das geht gar nicht. Dies aber als Argument zu nehmen, das Internet als solches zu reglementieren, zu zensieren, finde ich sehr verwerflich. Das Internet ist nur ein Abbild des echten Lebens, die wirklichen Sauereien passieren nach wie vor dort. Das Internet macht alles nur schneller.
Da ist es uns durchaus gelungen, das Bewusstsein dafür zu schärfen und die Leute darauf zu bringen: Hier geht es um eure grundlegenden demokratischen Bedürfnisse und Rechte. Da bin ich ein bißchen stolz drauf. Und auf einmal ist ACTA vom Tisch. Da haben wir politisch gewirkt, ohne im Bundestag zu sein. Ohne großartig strukturiert und organisiert zu sein. Wir haben es aus unserer Überzeugung heraus motiviert gemacht und wir haben was erreicht. Ein ganz wichtiger Punkt, auf den man immer wieder schauen sollte, wenn es wieder mal schwer ist, Pirat zu sein.
2013 wird sich die GEMA ganz schön wundern
Das gleiche mit den Urheberrechtsdialogen, bei denen wir mit vielen Menschen gesprochen haben und das auch noch tun. Dann verlagerte sich die Diskussion, da ja die GEMA-Tarifreform vor der Tür stand. Wir sind arg Sturm gelaufen, haben die GEMA bei der einen oder anderen Lüge erwischt. Die haben schlicht die Leute auf ihren Infoveranstaltungen belogen. Ich habe es selbst persönlich erlebt. Da wurde mit Zahlen jongliert, die kein Mensch nachvollziehen kann, der Datenschutz wurde mit Füßen getreten. Die Diskothekenbesitzer müssen ihre Umsätze einer Drittorganisation mitteilen, um in eine sogenannte „Gnadenregelung“ zu kommen, wenn die Veranstaltung doch nicht so gut war.
Dann hat die GEMA über einen amerikanischen Anbieter einen Newsletter geschickt, ich bekam den über eine Mailadresse, die ich nur für meine geschäftliche Korrespondenz benutze. Das fand ich datenschutzrechtlich ausgesprochen bedenklich, man hatte mich dazu nie auch nur um mein Einverständnis gefragt. Nun wurde die Tarifreform ausgesetzt. Das zeigt, dass unsere Bemühungen Früchte tragen. Aber ich bin sicher: da wird noch was kommen, die lassen nicht los. Da werden in 2013 noch Sachen von uns vorgelegt, wo sie sich verwundert die Augen reiben werden.
Beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage sieht es genau so aus. Da sagt der Axel-Springer-Verlag gerne mal in eigener Sache die Unwahrheit (siehe „Die Anderen” auf Seite 9 in diesem Kompass). Und das ist ja dann eine ähnliche Sache, wo Lobbyisten einfach etwas herausnehmen, Dinge in den Raum werfen, mal gucken, was passiert und die Unkenntnis der Parlamentarier ausnutzen, um ihr Spezialgesetz durchzubringen.
Na ja klar. Wir erinnern uns alle an das 57-Sekunden-Meldegesetz zwecks Adressenverkauf. Das ist der Punkt, wo ich unsere Formalfoo-Piraten wirklich mag. Die sind in der Lage, solche Dinge ganz schnell herauszufinden und zu analysieren, und auf den Punkt zu bringen. Das ist, wo die Piraten als Tool wirklich funktionieren. Das müssen wir wieder stärker in den Mittelpunkt rücken.
Themen, Themen, Themen
Über dieses „Themen, Themen, Themen“- Ding haben wir uns letzten Endes nur breit angebiedert. Wir haben damit keine großartigen Neuerungen in die Politik gebracht. Unsere großartige Vision – Bürgerbeteiligung, Basisdemokratie, Transparenz – das hat gefehlt. Wir haben den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Wir müssen erst unsere Strukturen und Möglichkeiten etablieren, dann folgen die ganzen Themen von alleine. Das zeigt sich auch in Stilblüten wie diesem „Frankfurter Kollegium“. Ich kann es nicht verstehen, dass ein Vorstand es nicht schafft, diese Strukturen für ein gutes Arbeitsklima zu etablieren, aber es dann extern macht und Kräfte aus der Partei herauszieht.
Da sind ja auch die „Sozialpiraten“ als internes Organ, die nicht die AG-Struktur nutzen. Es gibt ja sonst die Möglichkeit, in politischen AGs (Arbeitsgemeinschaften) zu arbeiten. Das leite ich dann mal über in die Frage: Kann man als Basispirat heute noch etwas bewegen?
Ganz schwieriges Thema, das mich seit Wochen beschäftigt. Ich bin sehr gut vernetzt. Deshalb habe ich bessere Möglichkeiten, mit meinen Anliegen anzuknüpfen, die andere nicht haben. Aber manchmal muss man, um effektiv etwas umsetzen zu können, Abkürzungen nehmen, aber das ist grundsätzlich ja nicht Sinn der Sache. Da wird Transparenz und Teilhabe teilweise falsch verstanden.
Teilhabe heißt für mich auch „Zulassen“. Wenn ein Basispirat dieses Prinzip verinnerlicht, dann hat der durchaus Möglichkeiten, zu wirken. Was sollte er tun? Er definiert sein Thema für sich. Er arbeitet das aus, sucht sich Primärquellen, Mitstreiter, und versucht dann mit diesen, Mehrheiten zu generieren und das an der richtigen Stelle, denn der Euro zum Beispiel ist kein Thema, welches im Kreisverband zur Entscheidung kommt.
Für mich ist durchaus wichtig: Wer sagt unter Umständen wo wann etwas, wenn ich unsicher bin in meiner Entscheidung. Wenn ich jemanden sehe, dem ich bei dem Thema vertraue, bilde ich mit dem eine „Themenkoalition“. Aber dann stiehlt ein Dauerschwafler diesen Leuten die Redezeit. Dafür muss man dann neue Strukturen und Plattformen schaffen und die Leute aktiv angehen.
Die Demos rund um ACTA waren zwar erfolgreich, aber was kam danach? Wir hatten zwar sehr viele Wahlen in 2012, wird 2013 auch thematisch mehr auf der Straße passieren?
Ich kann grad meine Kristallkugel nicht finden (lacht). In 2013 werden wir ja vier Wahlkämpfe haben, vielleicht noch einen fünften. Wir müssen wieder mehr auf die Straße, das Prinzip vermitteln, wie die Piratenpartei als basisdemokratisches Gesamt-Tool und Plattform funktioniert. Weniger auf die Mailinglisten gucken, mehr auf sich selbst und aufs Umfeld schauen.
CC ZERO Stefan Müller
Dieser Beitrag erschien im Kompass_2013.1