Kompass – Zeitung für Piraten

Ergebnisse des Landesparteitages in Bottrop / LPT 2013.2 / Reden von 1. LaVo Patrick Schiffer und pol.GF Jens Ballerstaedt

 

LPT 2013.2 BOTTROP Piratenvorstand_kl FOTO Piratenpartei NRW CC-BY NC SA
LPT 2013.2 BOTTROP Piratenvorstand FOTO Piratenpartei NRW CC-BY NC SA 

 

Für die Piraten in NRW begannen am Samstag, den 19. Oktober zwei arbeitsreiche Tage mit den Reden des Vorsitzenden Patrick Schiffer, des politischen Geschäftsführer Jens Ballerstädt sowie des Fraktionsvorsitzenden Dr. Joachim Paul.

Alle Redner machten deutlich, wo Änderungsbedarf besteht und mit welchen Plänen schon begonnen wurde, um für die Zukunft klarere Strukturen und genauere Vorgaben zur Verbesserung der gemeinsamen Arbeit aufzubauen, beispielsweise schlug Patrick Schiffer mehr Identifikation mit Personen vor:

“Wir haben kein Gesicht – Wir brauchen unsere “Köpfe” und unsere “Köpfe” brauchen uns und unsere volle Unterstützung. Politik ist nicht nur eine Wissenschaft, sondern vor allem eine hochemotionale Angelegenheit.”

An zwei Tagen beschlossen die Piraten NRW auf ihrem Landesparteitag in Bottrop etliche Satzungsänderungsanträge, um Verwaltungsabläufe zu vereinfachen und verschiedene Prozesse in ihrer Bedeutung zu klären und zu verbessern. Ebenfalls wurden neue oder überarbeitete Positionen in verschiedenen Bereichen verabschiedet.

Eine Präambel zur Bildungspolitik wurde in das Grundsatzprogramm der Piratenpatei NRW aufgenommen, außerdem wurden Wahlprogrammanträge abgestimmt und ein Landesschiedsrichter und ein Ersatzrichter nachgewählt. Es wird in absehbarer Zeit eine zentrale Landesgeschäftsstelle für NRW geben und auch das Meinungsbild zum Manifest der europäischen Piratenpartei in Gründung war mit großer Mehrheit positiv. Desweiteren unterstützen die Piraten in NRW das Bürgerbegehren zur Novellierung des Nichtraucherschutzgesetzes.

Der letzte Antrag war ein Positionspapier zur Einführung einer Förderabgabe auf Braunkohle, welches erfolgreich abgestimmt wurde. Das Live-Protokoll zum Landesparteitag findet sich hier: Protokoll Samstag und Protokoll Sonntag. Das Ende des Parteitages war im Vorfeld für 19:00 Uhr angesagt, und pünktlich um 19:00 Uhr waren alle Punkte der Tagesordnung für beide Tage abgearbeitet. Ein Novum in der Parteitagsgeschichte.

Rede von Patrick Schiffer:

Liebe Piraten, liebe Gäste, liebe Eichhörnchen!

ich heiße euch alle herzlich willkommen zum 17. Landesparteitag der Piratenpartei Nordrhein-Westfalen hier in Bottrop.

Wir kennen diese Räumlichkeiten bereits vom letzten Landesparteitag, der von den Bottroper Piraten perfekt organisiert war und ich freue mich darauf, auch dieses Mal wieder euere Gastfreundschaft und organisatorische Erfahrung zu genießen. Dafür jetzt schon mal herzlichen Dank!

Für alle, die ein iPhone mit sich führen: es gibt neuerdings eine Parteitags-App mit dem Namen “Parteitag” im Apple Store, die Stephan Bien entwickelt hat. Eine passende Android -App ist auch bereits in Planung. Dafür vielen Dank!

Ich freue mich auf einen erfolgreichen Parteitag mit vielen Inspirationen, tiefschürfenden Diskussionen, nachdenklichen Redebeiträgen und witzigen Momenten! Danke schön!

Da ich nicht so häufig die Gelegenheit bekomme, Reden zu halten, ohne dass mich jemand davon abhält, habe ich eine ca. zweistündige Rede vorbereitet, damit ihr euch schon mal in Ruhe alle Anträge durchlesen könnt. Dafür habe ich natürlich ein wenig recherchiert.

Ich fasse mich kurz.

Fakt ist:
der Name der Stadt Bottrop leitet sich aus dem mittelalterlichen Namen Borthorpe her, was soviel wie „Dorf am Hügel“ bedeutet. Eine erste Erwähnung des Namens einer Siedlung fand erstmals 1092 in den Besitzregistern des Klosters Werden statt. Damit ihr das nicht ausrechnen müsst: die Stadt ist 921 Jahre alt.

Ich persönlich finde, die Beschreibung “Dorf am Hügel” passt gut zu uns als Piratenpartei. Wir sind eine sehr kleine Partei, also quasi ein Dorf. Und als Hügel würde ich die Arbeit beschreiben, die vor uns liegt. Sie ist kein Berg und auch kein Gebirge, denn wir sind ja nicht größenwahnsinnig. Wir wollen nicht die Weltherrschaft, wir wollen wirken. Einstiger Wahlspruch von vielen Piraten war und ist weiterhin “Politik aus Notwehr” und nicht “Wir machen Politik für die größten Autohersteller der Welt”!

Wir haben eine winzige Parteikultur, die wir pflegen und weiterentwickeln müssen. Dazu gehört, in der Partei aufeinander zuzugehen. Politisch und in der Kommunikation. Unsere Aufgabe in den nächsten Jahren wird es sein, diesen kleinen Hügel neben unserem kleinen Dorf zu kultivieren. Und ich fordere euch auf, schnellstens damit anzufangen!

Ich stelle drei Punkte auf, die auch durch viele Blogposts geistern, die nach der Bundestagswahl überall aufploppten. Dabei wurde viel geschrieben, aber noch wenig getan. Und es kam in jedem Blogpost mindestens einmal “Wir müssen” vor.

Der erste Punkt: Wir haben kein Gesicht.

Wir brauchen unsere “Köpfe” und unsere “Köpfe” brauchen uns und unsere volle Unterstützung. Ist es euch aufgefallen? In den letzten anderthalb Jahren war es oft ein “Wir hier und die Fraktion dort” oder ein “Wir hier und die Basis dort” oder ein “Wir hier und der Lavo dort”, je nach Blickwinkel.

Können wir damit bitte wieder aufhören?
Danke!

Wir drehen uns um uns selbst, wenn wir das nicht begreifen. Unsere Ideen und unsere Fragen stehen im Mittelpunkt! Und eben genau die Piraten, die dazu bereit sind, sie in der Öffentlichkeit zu vertreten und zu stellen, gehören zu uns. Sie sind unter uns. Sie sind Proxys und keine Blitzableiter!

Die meisten Menschen wählen eine Partei aufgrund von Sympathien und Antipathien, und diese werden durch die mediale Präsenz einer kleinen Zahl von Repräsentanten und den Transport durch Journalisten vermittelt. Politik ist nicht nur eine Wissenschaft, sondern vor allem eine hochemotionale Angelegenheit.

Diese Emotionen gilt es zu wecken!
Bitte!

Der zweite Punkt: Wir haben kein Konzept.

Erst wenn unsere Themen so knapp formuliert sind, dass es uns physisch weh tut, verstehen die Leute uns.

Ich habe 2 Monate vor der Wahl in völliger Betriebsblindheit gemeinsam mit Britta Stephan und Jens Ballerstädt die 13 (ja, dreizehn. Eine unglaubliche Zahl…) Bundesthemenflyer korrekturgelesen, lektoriert und redaktionell überarbeitet. Unter einem enormen Zeitdruck. In diesem Bild steckt alles das drin, was unser Problem ist: Betriebsblindheit.

Können wir bitte damit aufhören?

Danke!

Wir wollen es allen recht machen, vergessen aber den Wähler und seine gezwungenermaßen medial und informell überladene Welt. Der hat keinen BOCK, Quadrillionen Positionen der Piratenpartei zu lesen! Drei klare Ansagen, zack! Kurzfassen!

Mal davon abgesehen, dass wir einige Wahlversprechen noch nicht eingelöst haben. Das mit dem Hügel und dem Dorf von vorhin. Ihr wisst schon.

Können wir das in Zukunft bitte bedenken?

Danke!

Der dritte Punkt: Wir haben keine Macht.

In der Politik geht es aber um Macht und ihre Verteilung. Politik lebt von Mehrheiten und der Beschaffung von Mehrheiten. Und wenn es nur 2 Stimmen sind. Dann hat man alles richtig gemacht. Erst wenn wir aufhören, Politik zu spielen, werden wir anfangen, Politik zu machen. Dazu gehören zum Beispiel auch politische Vorstände, weniger Paranoia untereinander, mehr Vertrauen ineinander und ein beherztes Eingreifen an den Stellen, wo es nötig ist. Macht bitte alle mehr die Klappe auf und mischt euch POLITISCH ein. Bei all dem können wir nämlich trotzdem weiterhin Piraten sein. Denn für diese Politik lohnt es sich zu kämpfen.

Kämpft mit. Ich danke euch.


Euer pakki

 

Rede des politischen Geschäftsführers Jens Ballerstädt:

Hallo,

Die letzen 2 Jahre waren für uns Piraten eine heftige Achterbahnfahrt. Einzug in 4 Landtage, Vervielfachung der Mitgliederzahlen, Aufstieg in den Umfragen und dann auch wieder der Absturz.

Und mitten in einem der Loopings wird uns auch noch zugerufen dass alle unsere Befürchtungen zum Überwachungsstaat längst real geworden sind. Und noch schlimmer, die Realität die Alpträume der meisten von uns auch noch bei weitem übersteigt.

Zurecht wurde uns vorgeworfen wir hätten nicht angemessen politisch auf den Überwachungsskandal reagiert. Man habe von uns nichts gehört. Schade, da hätten die Bürger mehr erwartet. Die Reaktion der meisten Piraten auf diese Kritik war:

„Aber ich schrei doch schon so laut ich kann. Wir haben doch eine Timeline gemacht. Und eine Demo. Und PMs. Und einen Blogbeitrag hab ich auch geschrieben. Und es gab diese PodCasts im Krähennest. Ausserdem will die Presse auch einfach nicht über uns schreiben. Da kann ich schreien wie ich will.“

Aber genau da liegt eines unserer Kernprobleme. Schon für Parteimitglieder war es nahezu unmöglich einen Überblick über alle Aktionen zu bekommen, die von einzelnen Piratengruppen irgendwo, irgendwann gemacht wurden. Unmengen an Stunden wurden in Youtube-Videos, Flaschenpost- und Kompassartikeln und Paddiskussionen verbraten und zig Piraten haben an tausenden Enden alle das Gleiche gemacht, ohne voneinander zu wissen.

Wie schwer erst muss es für Menschen ausserhalb der Partei sein uns zu  verstehen? Dieser vor sich hin wuselnde, chaotische Haufen von Individualisten. Bürger, Interessensverbände und Presse. Die meisten werden irgendwann aufgeben und dann doch wieder das nachschreiben oder nachplappern was die Menschen vor ihnen schon gesagt haben.Alles was übrig bleibt ist das Bild eines zerstrittenen Sauhaufens.

Als der Landesverband noch 500 MItglieder hatte, hat es prima funktioniert. Jeder kannte jeden, man konnte sich einigen und von aussen war es möglich, sich darüber einen Überblick zu verschaffen. Jetzt sind wir aber 6000 im LV NRW. Und selbst wenn ich passive Mitglieder nicht mitrechne, sind wir immerhin noch potentiell um die 3000 aktive Piraten in NRW.

Mein Team hat mal versucht einen Überblick darüber zu gewinnen wie die Struktur unseres LVs so aussieht momentan.

LV NRW STATUS QUO 2013

LV NRW STATUS QUO 2013
LV NRW STATUS QUO 2013

Wenn man sich dieses Organigramm mal anschaut wird einem relativ schnell bewusst, dass wir so wie bisher nicht weitermachen können. Wenn wir möchten, dass sich Menschen bei uns beteiligen, oder sich auch nur über unsere Arbeit informieren, müssen wir uns am Riemen reissen und gemeinsam Strukturen aufstellen die genau das möglich machen. Mit den derzeitigen Arbeitsstrukturen werden wir unseren Forderungen nach Nachvollziehbarkeit von Politik selber am wenigsten Gerecht. Strukturchaos und die Tatsache das jeder einzeln vor sich hin werkelt verhindert aktiv die Beteiligung.Wohlgemerkt, Strukturen nicht Hierachien.

Die Art wie wir unsere Ergebnisse präsentieren und Menschen Informationen anbieten ist gelinde gesagt eine Katastrophe.

Hier ein Beispiel dafür, was man tun muss um nicht verstanden zu werden:

STRUKTUR HOMEPAGE PIRATENPARTEI NRW

Leider zeigt diese Homepage ganz genau unserer Arbeitsweise. Nur jemand der einen ausgeprägten Hang zum Masochismus und gleichzeitig zu viel Zeit hat kann mit dieser Homepage irgendwas anfangen.

Was will ich euch mit all dieser internen Kritik sagen? Wie einige ja schon mitbekommen haben, plane ich gemeinsam mit meinem Team und auch einigen anderen Helfern die Strukturen unseres Landesverbandes zu überarbeiten. Ziel ist eine sich selbst erklärende Struktur die Aktiven Piraten wie interessierten Neulingen und Bürgern sofort Beteiligung ermöglicht. Wir dürfen nicht nur von Barrierefreiheit und Inklusion quatschen, sondern müssen sie auch selber leben.

VORSCHLAG EINER NEUEN STRUKTUR DES LANDESVERBANDES NRW:

GEPLANTE STRUKTUR LV NRW
VORSCHLAG STRUKTUR LV NRW

WICHTIG: Die aufgezeigte neue Struktur ist aktuell NUR ein Vorschlag!

Eine Reform unserer Strukturen ist aber nur möglich mit eurer Akzeptanz und Unterstützung. Es soll hier niemandem Vorschriften gemacht werden. Ich möchte alle, die sich beteiligen möchten um ihre Meinung bitten.

Das ist kein „Mal-Eben-So„-Projekt und alleine nicht zu bewerkstelligen. Und es ist auch kein Projekt des Vorstandes, sondern ein Projekt für den ganzen LV. NRW ist der größte Landesverband und wir haben die Chance richtig was zu bewegen. Wenn wir das gemeinsam schaffen, dann mache ich mir über die Zukunft unserer Partei keine Sorgen mehr und freue mich schon auf die nächsten Jahre.

Danke