Europakandidatenwahlen der Piratenpartei Deutschland 2014
Kandidateninterviews
Der Kompass-Europa-Kandidatengrill:
KOMPASS:
Bei den Wahlen zum Europaparlament im Jahr 2009 gelang es zwei Kandidaten der Piratenpartei in die europäische Volksvertretung einzuziehen.
Amelia Andersdotter und Christian Engström aus Schweden wurden Mitglieder des Gremiums und vertreten seitdem die Interessen der Piraten im Verbund mit der Fraktion der Europäischen Grünen / EFA.
Am fünfundzwanzigsten Mai 2014 stellen sich die Abgeordneten für das EU-Parlament unter anderem auch in Deutschland erneut dem Votum der Wähler.
Auf dem Bundesparteitag am 04. und 05. Januar 2014 werden die deutschen Kandidaten der Piratenpartei gewählt.
Damit wir uns ein Bild von Ihnen machen können, befragen wir sie in einer Interviewserie.
KOMPASS:
Es treten neben Dir noch einige weitere Kandidaten zur Wahl auf diesem Parteitag an.
Wir möchten Dich bitten, unseren Lesern ein paar persönliche Informationen über Dich zu geben, damit sie einen Eindruck davon gewinnen können, wen sie wählen, wenn sie Deinen Namen ankreuzen.
FRITHJOF BINDER:
Ich bin 1958 in Duisburg (NRW) geboren lebe seit 1977 in Berlin. Ausbildung zum Elektroanlageninstallateur, Studium an der TU Berlin. Seit 1996 freiberufliche Tätigkeit in der IT-Branche. Schon immer bin ich als politischer Mensch parteilos engagiert (Anti-Akw-Bewegung, Mikrozensus, Volkszählung, Häuserkampf und Stadterneuerung, Nicaragua/Cuba, BGE, „Europäisches Haus“ usw.).
Seit 2006 bin ich Mitglied der PP. Als Mitglied der Piratenpartei ist es für mich selbstverständlich, Entscheidungen mit der Parteibasis abzustimmen.
KOMPASS:
Zuerst möchten wir ein paar Fragen zu Deiner Person an Dich richten:
1) Was sind Deine politischen Schwerpunkte / Themen?
FRITHJOF BINDER:
Im Vordergrund stehen die umwälzenden Reformthemen:
- 1. Die Entwicklung des europäischen bzw. globalen Binnenmarktes.
Ich bin der Ansicht, dass wir heute an die Grenzen der nationalstaatlichen Organisation der Gesellschaft gelangt sind. Die nationalstaatliche Konkurrenz „Staaten haben keine Freunde, sie haben nur Interessen“, muss durch den Aufbau demokratisch legitimierter, transparenter supranationaler bzw. globaler Institutionen in Kooperation gewandelt werden.
Also Kooperation statt Konfrontation.
- 2. Transparenz und Bürgerbeteiligung.
Eine Politik, die sich jenseits des Lobbyismus entfalten soll, muss interessierten und betroffenen Bürgern Einblick in die Entscheidungsfindung gewähren und Mitsprache einräumen.
Ziel ist m.E. eine direkte Vernetzung des Einzelnen mit den Entscheidungsebenen. Das kann heutzutage durch
Systeme wie LQFB und Open-Antrag problemlos realisiert werden
- 3. BGE.
Für mich verbirgt sich dahinter keine bessere Sozialhilfe! Das BGE steht für eine revolutionäre Neugestaltung der Gesellschaft.
Arbeitslose sind keine Sozialfälle, denn ihnen fehlt nichts außer Erwerbsarbeit.
Die Ursache der Arbeitslosigkeit findet sich m.E. nicht in der Analyse der Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen, sondern in der Analyse der globalgesellschaftlichen Wirtschaftsstrukturen.
Glücklicherweise führt die permanente technische Weiterentwicklung der Produktionsanlagen dazu, dass immer weniger Menschen den stofflichen Reichtum für alle herstellen.
Damit löst das BGE keineswegs die individuellen „sozialen“ Probleme, die durch individuelle Handicaps verursacht wurden, sondern gibt die Antwort auf die wirtschaftliche Frage unserer Zeit.
Andere Interessenschwerpunkte bilden u.a die notwendige Reform von Urheber- und Patentrecht. Eine moderne Definition der Familie, eine Reform der der Gesundheits- und Suchtpolitik, eine Umkehr in der Drogenpolitik.
2) Welche europäischen Bezüge siehst Du in diesen Themenfeldern?
FRITHJOF BINDER:
Es sind zwei gänzlich unterschiedliche Stränge zu verfolgen.
- 1. Auf der einen Seite steht das tägliche Geschäft der parlamentarischen Arbeit, d.h. die Beschäftigung mit der europäischen Gesetzgebung.
Die meisten Politikfelder, von der Reform des Urheberrechts bis zum Umweltschutz, vom Tierschutz bis zum Menschenrecht, haben mehr oder weniger geopolitische Komponenten.
Ein europäisches BGE löst die sozialen Probleme, die durch die notwendige Umstrukturierung der nationalstaatlichen Ebenen entstehen.
Denn die Verdrängung von Arbeitskräften aus dem primären (Landwirtschaft) und sekundären (Industrie) Sektor kompensierten die einzelnen Nationalstaaten sehr unterschiedlich.
In Griechenland blähte sich der Beamtenapparat enorm auf. Griechenland musste/muss z.B. tausende Mitarbeiterinnen aus dem Staatsdienst entlassen um weitere Hilfen zu erhalten.
- 2. Der zweite Schwerpunkt liegt in der Weiterentwicklung bzw. Demokratisierung der europäischen Strukturen.
Brüssel ist die Stadt mit einer der höchsten Lobbyisten/Einwohner Quote weltweit. Hier muss dringend eine Strukturveränderung durchgesetzt werden, hin zu Transparenz und Partizipation.
3) Was sind Deine politischen Ziele?
FRITHJOF BINDER:
Eine Welt in der es heißt: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“
4) Welche Eigenschaften machen Dich zum geeigneten Kandidaten für das Europäische Parlament?
FRITHJOF BINDER:
Meine geopolitische Auffassung, die die Probleme eher in den Strukturen als in den persönlichen Eigenschaften der Verantwortlichen erblickt.
5) Hast Du bereits Erfahrung in Parteiämtern oder politischen Mandaten sammeln können?
FRITHJOF BINDER:
NEIN
6) Wenn ja, welche(s)?
FRITHJOF BINDER:
—
7) Bist Du vor Deiner Mitgliedschaft in der Piratenpartei bereits in einer anderen Partei gewesen?
FRITHJOF BINDER:
Nein
8) Wie stellst Du Dir die Kommunikation mit Presse, Funk und Fernsehen in Deiner Eigenschaft als Abgeordneter des Europäischen Parlamentes vor?
FRITHJOF BINDER:
Presse, Funk und Fernsehen sind Multiplikatoren. Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit von Transparenz und Werbung für die Position der PP kommt den Medien eine wichtige Rolle für die Sensibilisierung der Bürger zu. Kontinuierlicher Informationsaustausch und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Medien sind unerlässlich. Dies sollte durch eine Pressesprecherin begleitet werden.
Pressekonferenzen oder Interviews zu von mir besetzten Themen scheue ich selbstverständlich nicht.
9) Hast Du in diesem Bereich bereits Erfahrung sammeln können?
FRITHJOF BINDER:
Nein
KOMPASS:
Wir möchten Dich jetzt bitten uns ein paar Fragen zu unterschiedlichen politischen Themenbereichen zu beantworten.
A) Währung und Finanzen:
12) Wie ist Deine Position bezüglich der gemeinsamen Europäischen Währung Euro?
FRITHJOF BINDER:
Sie wird erhalten bleiben.
Der europäische Binnenmarkt ist heute Realität.
Ältere Menschen erinnern sich sicher an die Vereinigung von DDR und BRD. Wie lange hätte die Mark der DDR neben der DM bestehen können?
Nein, unterschiedliche Währungen innerhalb eines Binnenmarktes haben keine Überlebenschance. Eher noch können unterschiedliche Binnenmärkte die gleiche Währung nutzen. So ist der US-Dollar offizielles Zahlungsmittel in USA und in East Timor, Ecuador, El Salvador und Panama.
Die Position z.B. des AFD, den Euro rückabzuwickeln, erzwingt die Renationalisierung des Europäischen Binnenmarkts.
Das eigentliche Ziel dieser Eurokritiker, die Zerschlagung des Europäischen Binnenmarktes, könnte unter Beibehaltung des Euros umgesetzt werden.
Das Gerede von der Eurokrise geht daher an der Wirklichkeit vorbei. Es ist eine Verwaltungsstrukturkrise. Wir erleben das Ende der nationalstaatlichen Ordnung, was nicht das Ende jeder Ordnung bedeutet, sondern den Ausbau europäischer Ordnungsstrukturen.
Ich tendiere eher zu Forderung nach einer Weltwährung.
13) Bist Du für einen zwischenstaatlichen Finanzausgleich?
FRITHJOF BINDER:
Ein klares „Ja“.
Ein extremes Beispiel soll das verdeutlichen. Zwei Länder, eines eine Wüstenlandschaft auf der kaum was wächst und wo darum das Leben den Level „vegetieren“ nicht verlässt. Das andere ein Paradies, in dem es dem Menschen an nichts mangelt.
Wenn beide Länder sich zusammenschließen gibt es nicht viele Möglichkeiten, genaugenommen zwei. Entweder man bringt den paradiesischen Reichtum in die darbende Region. Oder die Menschen wandern von der unwirtlichen in die üppige Gegend.
Darum ist die Produktivität der deutschen Industrie m.E. kein Hindernis für eine geordnete Entwicklung der gesamteuropäischen Wirtschaft bzw. des gesamteuropäischen Lebens.
Ziel einer zukunftsorientierten Europapolitik muss werden, die positiven Potenziale der einzelnen Regionen konstruktiv für die Gesamtheit einzusetzen, also die nationalstaatliche Konfrontationspolitik durch eine europäische (globale) Kooperation zu ersetzen.
Das wäre m.E. ein Kerninhalt unseres Wahlkampfslogans „Teilen ist das neue Haben.“
An der bundesdeutschen Debatte um den Länderfinanzausgleich ist zu sehen, dass die Verschiebung von „Geldern“ ohne entsprechende Auflagen nicht denkbar ist.
Wenn die Region A die Region B unterstützt, wird ersterer ein Mitspracherecht kaum zu verwehren sein.
Nehmen wir noch mal Griechenland. Der überdimensionierte Beamtenapparat kann langfristig nicht durch Mittel aus EU-Töpfen finanziert werden.
Wenn das Renteneintrittsalter in der einen Region bei 55 liegt, in der anderen bei 65 ist Unfrieden kaum auszuschließen. Wenn letztere erster noch finanzieren soll, dann ist Krach vorprogrammiert.
Also, ein Finanzausgleich alleine reicht nicht aus: Zusätzlich ist die Harmonisierung der Verwaltungssysteme, der Sozialsysteme und selbstverständlich auch der Steuersysteme unumgänglich.
14) Welche Entscheidungen im Bereich der innereuropäischen Steuersysteme sollten Deiner Ansicht nach getroffen werden?
FRITHJOF BINDER:
Kooperation statt Konfrontation
Die EU hat ja bezüglich wettbewerbsverzerrender Staatsausgaben – sogenannten Subventionen – den Daumen auf der nationalen/regionalen Wirtschaftspolitik.
Die Steuereinnahmen sind insbesondere aufgrund der Freizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit, die innerhalb der EU herrscht, ein ähnlich brisantes Thema. Die nationale Steuerkonkurrenz führt zum Steuerdumping und zur Staatsverschuldung. Eine Steuerharmonisierung ist m.E. unabdingbar.
Als Instrument wirtschaftspolitischer Steuerung, um z.B. Entwicklungsschübe in bestimmten Regionen zu erzeugen, ist ein europäischer Einfluss auf das nationale Steuerrecht zu begrüßen.
Perspektivisch muss die EU das Recht erhalten, Steuern und Abgaben zu erheben.
15)Welche Maßnahmen sollte die EU in Bezug auf die Frage der Bankenregulierung ergreifen?
FRITHJOF BINDER:
Gerade haben sich die Finanzminister der EU-Staaten zusammengesetzt, um europäische Regulierungsmaßnahmen zu beschließen.
Daran ist zweierlei zu erkennen. Die Probleme hängen mit der Öffnung der nationalen Märkte zusammen. Dadurch wird der regelnde und ordnende Einfluss der nationalen Politik geschwächt bzw. geht gänzlich verloren.
Eine Einigung auf einer höheren Ebene ist notwendig.
Ich befürworte das Trennbankensystem, d. h. die Trennung von Investment- und Geschäftsbanken sowie eine schärfere Eigenkapitalvorschrift. Sinnvoll wäre eine Prüfung zulässiger Finanzprodukte von einer externen neutralen Stelle. Spekulation mit Agrarprodukten sollten überhaupt untersagt werden. Und mit einer Finanztransaktionssteuer sollte der Hochfrequenzhandel eingedämmt werden.
Die provisionsabhängige Beratung, wie sie in Deutschland üblich, sollte überdacht werden.
B) Arbeit und Sozialpolitik:
16)Wie stehst Du zur Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt innerhalb der Europäischen Union?
FRITHJOF BINDER:
Die Freizügigkeit ist m.E. ein wesentlicher Pluspunkt der europäischen Integration. Ziel ist nicht der freie Warenverkehr, sondern die Erweiterung der individuellen Freiheit des EU-Bürgers. Dazu gehört selbstverständlich die freie Bestimmung des Lebensmittelpunkts.
Die gegenwärtige Debatte gerade in Deutschland um die Migration in die Sozialsysteme halte ich für wenig zielführend. Sicher wäre es für „uns“ besser, wenn nur die Bestausgebildeten Kräfte aus den Armutsregionen zu uns fänden.
Für uns eine Win-Win Situation. Wir sparen Bildungskosten und erhalten unsere Region aufpolierende Fachkräfte.
So eine egoistische Politik passt in die Zeit der Nationalstaaten, für den europäischen Binnenmarkt muss auf Kooperation gesetzt werden. Soziale und wirtschaftliche Probleme können nur miteinander gelöst werden.
17)Welche Maßnahmen sollte das Parlament in Bezug auf die Löhne und Gehälter (Mindestlöhne) oder das Bedingungslose Grundeinkommen treffen?
FRITHJOF BINDER:
Im Vordergrund steht die Vermeidung von Sozialdumping aufgrund konkurrierender nationaler Systeme
Die Umsetzung des BGE in der EU sollte sofort gestartet werden.
Ein Mindestlohn für den Europäischen Binnenmarkt ist keine Alternative, sondern eine Notlösung.
18)Was kann zum Schutz der Arbeitnehmer unternommen werden?
FRITHJOF BINDER:
Auch hier gilt es die Konkurrenz zwischen den Regionen zu vermeiden und europäische Standards durchzusetzen, um Arbeitnehmerrechte auf hohem Niveau gewähren zu können.
Die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten ist eine klassische Aufgabe der Gewerkschaften. Darum ist es bedauerlich, dass sie sich immer noch nicht auf europäischer Ebene zusammengefunden haben. Die Gewerkschaften zur europäischen Zusammenarbeit zu drängen wäre m.E. nicht die dümmste Aktion.
19)Wie sollte die Flüchtlingspolitik Europas aussehen?
FRITHJOF BINDER:
Flüchtlingspolitik ist ein heikles Gebiet. Für mich existieren keine illegalen Menschen. Ich strebe das gesellschaftliche Ziel an, dass nicht nur jeder Mensch vor dem Gesetz gleich ist, sondern dass jedem Menschen gleiche Rechte zugebilligt werden. Menschen erster, zweiter und dritter Klasse darf es nicht geben.
Eine Festung Europa lehne ich ab. Damit auch die Flüchtlingsabwehr wie sie z.B. durch Frontex praktiziert wird. Ich lehne auch die sogenannte sichere Drittstaatenlösung ab, die dazu führt, dass Länder wie Griechenland überproportional Flüchtlinge aufnehmen müssen. Während das wirtschaftlich stärkste Land der EU, Deutschland, aufgrund seiner exponierten geografischen Lage sich der Verantwortung entzieht. Wir brauchen eine europäische Lösung, um die Flüchtlingsströme auf die EU-Staaten unter Berücksichtigung der regionalen Wirtschaftskraft und damit Leistungskraft zu verteilen.
Priorität hat die Beseitigung der Ursachen von Flüchtlingsströmen. So ist ja häufig die aggressive Wirtschaftspolitik der industriellen Zentren, einerseits leichter Zugriff auf Rohstoffe andererseits verantwortungslose Vernichtung traditioneller Märkte und Wirtschaftsstrukturen, die Ursache solcher Ströme.
Hier sollte auf Kooperation gesetzt werden. Staaten, die nicht zur EU, gehören sind keine Feinde. Die Menschen die dort leben, unterscheiden sich nicht von Menschen, die hier leben. Europäische Außenpolitik muss also verantwortlich handeln. Ich lehne darum Staatsgeheimnis und Geheimdiplomatie ab.
Es sollen keine Verträge mit Regierungschefs anderer Staaten geschlossen werden, die erkennbar zu Nachteil der durch sie vertretenen Bevölkerung sind.
C) Internationale Beziehungen:
20) Wie stehst Du zu „TAFTA“ (Trans-Atlantic Free Trade Agreement), dem geplanten Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und welche Bedingungen sollten die USA Deiner Ansicht nach erfüllen?
FRITHJOF BINDER:
Das implizierte Klagerecht von Unternehmen gegen regionale Schutzrechte ist ein
„NO-GO“.
Prinzipiell halte ich die Ausweitung des Wirtschaftsraums über den geografischen Raum Europa hinaus für unterstützenswert.
Problematisch an dem Abkommen ist, dass es von der „EU“, die ja nicht direkt demokratisch legitimiert, abgeschlossen wird und rechtlich bindend für alle europäischen Nationalstaaten ist.
Mit dieser „taktischen“ Methode kann jedes kritische, regionale Engagement ausgehebelt werden. Die unzureichenden demokratischen Strukturen der europäischen Politik werden so gegen die EU-Bürger ausgenutzt.
Im Vorfeld solcher Abkommen müsste eine demokratisch verfasste gesamteuropäische politische Ebene etabliert werden.
Grundsätzlich darf keine EU Verordnung, kein Gesetz etc. regionale Schutzrechte wie Arbeits-, Umwelt-, Verbraucherschutz usw. unterlaufen oder die Freiheitsrechte der Eu-Bürger aushebeln. (Stichwort Vorratsdatenspeicherung, NSA, ACTA, uvm.)
21) Was sollten EU und die USA zur Sicherung der Bürger-, und Freiheitsrechte der europäischen Bürger beschließen?
FRITHJOF BINDER:
Die Frage ist witzig. Was ist mit den Freiheitsrechten der amerikanischen Bürger? Und sollen die europäischen Bürger andere Rechte genießen als die Flüchtlinge, von denen wir oben gesprochen haben?
Der Piratenpartei geht es grundsätzlich nicht um die verwaltungstechnische Bequemlichkeit von Staat oder auch multinationaler Konzerne, deren letzte Konsequenz der „Gläsernen Bürger“ wäre, sondern um Stärkung der individuellen Freiheit.
Das berechtige Bedürfnis des Menschen nach Sicherheit vor kriminellen Übergriffen kann nicht herhalten für die komplett Überwachung eines jeden Menschen.
Diese Überwachung führt ja nicht nur dazu, dass, wie wir dank Chelsea Manning, die nun die nächsten Jahrzehnte im Knast verbringen soll, wissen, die Behörden der USA im geheimen Kämmerlein ausgeheckte Todesurteile vollstrecken können.
In unserer institutionalisierten Welt weiß niemand, was morgen vielleicht verboten ist.
Möglicherweise rollt morgen ein Polizeikommando an, weil am „Veggieday“ Fleisch gekauft wurde? Spaß beiseite.
Was kann getan werden? Vorratsdatenspeicherung muss weg, alle Überwachung ist zu stoppen, auch brauchten wir den Whistleblower-Schutz, denn ohne Transparenz also ohne Menschen die geheime Instituts-Informationen publik machen, wird sich an den Zuständen kaum was ändern.
22)Wie ist Deine Position in Bezug auf die Bereiche NSA-, GCHQ – Spähaffäre und die Vorratsdatenspeicherung?
FRITHJOF BINDER:
Ich würde das „Staatsgeheimnis“ abschaffen wollen. Die immer umfassendere Ausspähung der individuellen Kommunikation, Bewegung und Verhalten ist nur möglich, solange Arbeit und Ziele von entsprechenden Institutionen intransparent sind.
Das Pfund, womit sie Wuchern ist das „Staatsgeheimnis“. Wir erleben heute einen Kampf zwischen Individuum und Institution, und der geht solange gegen das Individuum, bis die Transparenz in die Institution einzieht. Und darum ist vor Menschen wie Edward Snowden der Hut zu ziehen. Denn Institutionen sind unsterblich und unbesiegbar.
Es ist doch verrückt, wenn selbst der US-Präsident nicht weiß was sein Geheimdienst macht.
Er sollte Herrn Snowden dankbar sein dafür, dass er solche kriminelle Machenschaften aufdeckte.
23) Sollten NATO und EU militärische Operationen außerhalb ihrer Staatsterritorien durchführen?
FRITHJOF BINDER:
Dazu hatte ich mal eine LQFB ini („militärischer Arm der Piraten“) eingestellt.
Die Entwicklung der Europäischen Union zu einem europäischen Staat erlaubt die Auflösung des nationalen Militärs. Die deutschen Streitkräfte sollten sich dann in die europäischen Streitkräfte eingliedern und so ihre nationale Existenz beenden.
Die zukünftige europäische Armee darf nur unter parlamentarischer Kontrolle und vorbehaltlich eines UN-Mandats im Ausland eingesetzt werden.
Wir lehnen jeglichen militärischen Einsatz innerhalb des Hoheitsgebietes der Europäischen Union ab (Hochwasserbekämpfung mit Sandsäcken ausgenommen).
Lösungen etwaiger Konflikte sind Aufgabe der Polizei.
Kurz, wir sprechen uns gegen ein nationales bzw. europäisches Recht aus, militärische Einsätze zu planen, vorzubereiten oder durchzuführen, die nicht durch UN-Mandat autorisiert wurden.
Deutschland als Mitglied der NATO soll sich für die Öffnung der Nato für alle friedliebenden Staaten, für die Demokratisierung der Entscheidungsebenen sowie der Transparenz von Entscheidungen einsetzen. Sollte sich eine Reform der NATO als unmöglich erweisen ist auf ihre Auflösung hinzuwirken.
D) Bildung:
24)Welche Ansätze sollten hier verfolgt werden, mehr wirtschaftsorientierte oder persönlichkeitsbildende Ausbildungsgänge?
FRITHJOF BINDER:
Gemäß meiner ganzheitlichen Auffassung bin ich der Meinung, Wirtschaft sollte in das Leben integriert sein, d.h. ich sehe keinen Widerspruch zwischen wirtschaftsorientiert und persönlichkeitsbildend. Verantwortungsvolles Wirtschaften kann nur von gefestigten Persönlichkeiten erwartet werden.
Ziel keiner Ausbildung soll es sein, am Ende geldfixierte Esel zu produzieren.
25)Welche Konzepte sollten bezüglich des Handwerks und der Universitäten verfolgt werden?
FRITHJOF BINDER:
Ich vermute mal, dass sich die Frage auf das in Deutschland praktizierte duale Ausbildungssystem bezieht. Sofern ich richtig informiert bin hat sich das Konzept bewährt.
Verantwortlich für die hohe Jugendarbeitslosigkeit z. B. in Spanien oder Griechenland ist das Ausbildungskonzept nicht.
E) Verkehr:
26)Wie stellst Du Dir in Zukunft die Verkehrssysteme innerhalb der Europäischen Union vor?
FRITHJOF BINDER:
Bewegungsfreiheit, Reisefreiheit ist eines der ungeschriebenen Menschenrechte, denen ich anhänge.
Personenverkehr:
Für den europäischen Kontinent bietet sich der Ausbau des Schienenverkehrs an. Hier bin ich etwas konträr mit den „Berliner Piraten“, die sich für einen Großflughafen (100 bis 180 Millionen Personen / Jahr) in den neuen Bundesländern aussprachen.
Güterverkehr:
Hier wäre Verkehrsvermeidung vielleicht die erste Option. Beispielhaft könnten hier die Tiertransporte angeführt werden. Aufzucht-, Mast-, und Schlachtbetriebe räumlich nah beieinander anzusiedeln, vermindert nicht nur das Transportaufkommen, sondern erspart den Tieren unmenschliche, zum Teil tödliche Reisen durch Europa.
Prinzipiell bin ich der Ansicht, dass der Ausbau des Schienenweges hier die bessere Alternative zu dem LKW Verkehr wäre.
Stadtverkehr:
Das private KFZ sollte m.E. irgendwann der Vergangenheit angehören. Gerade in den Großstätten sollten Carsharing + Mitfahren gefördert werden.
Radfahrerinnen sollten mehr Freiheiten im Straßenverkehr erhalten. Rechtsabbiegen bei roter Ampel muss erlaubt werden. Ampelanlagen sollten auch im PKW-Stau für die Radfahrerinnen barrierefrei erreichbar sein.
„Neue“ Konzepte wie „Shared Space, geteilter Raum”, bei denen alle Verkehrszeichen entfernt werden sollten getestet werden.
Und natürlich der fahrscheinloser ÖVP.
27) Wie stehst Du zu einer europaweiten Maut?
FRITHJOF BINDER:
Ich bin faszinierter Fürsprecher des fahrscheinlosen (Nah)verkehrs. Von dieser Warte aus kann ich kein Befürworter solcher, die individuelle Bewegungsfreiheit einschränkender Systeme sein. Die Kosten für das Verkehrsnetz könnten m.E. sinnvoller und bürokratieärmer z.B. über den Benzinpreis eingenommen werden.
F) Fraktion, Parlament und Regierung:
28)Wie stehst Du zum sogenannten „Fraktionszwang“?
FRITHJOF BINDER:
Als Abgeordneter im Europäischen Parlament bin ich dem europäischen Bürger verpflichtet. Entscheidungen muss ich dennoch mit meinen Gewissen vereinbaren können.
Der Fraktionszwang präferiert „Herdenverhalten“ vor inhaltlichen, qualifizierten Voten. Darum lehne ich ihn ab.
M.E. leben wir in einer post-parteien Zeit. Denn die Grabenkämpfe zwischen Arbeiter, Unternehmer, Bauern, Beamten, Frauen, Männern, lösen sich im Wohlgefallen auf. Die „Partei“, die ja für spezifische Klasseninteressen stand, wird überflüssig. Der „Klassenstandpunkt“ weicht endgültig der menschlichen Vernunft.
Als Mitglied der Piratenpartei orientiere ich mich selbstverständlich an Liquid Feedback Positionen.
29) Sollte am Ende des Europäischen Prozesses eine gewählte Europäische Regierung stehen, welche durch das Europaparlament kontrolliert wird?
FRITHJOF BINDER:
Ja.
Viele europakritische Stimmen warnen vor der EUSSR, die Kompetenzen analog zur UDSSR hätte. Diese Haltung ist mir zwar verständlich und der gegenwärtige Zustand der europäischen politischen Verwaltungsebene gibt ihr in gewissem Maße auch Recht.
Eine Vereinigung unterschiedlicher Staaten muss aber nicht zwangsläufig in eine politische Katastrophe führen. So hat der Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten das politische System der BRD selbst nicht berührt. Die Größe des geografischen Raums, der unter einer Verwaltung steht ist nicht ausschlaggebend für ihre Beschaffenheit.
Die gegenwärtige Situation, die es nationalen Regierungen erlaubt, durch die Hintertür „Europa“ am eigenen Parlament vorbei Positionen durchzusetzen, ist unhaltbar.
Für jede, der die Rückkehr zu den alten Nationalstaaten keine Option ist, kann am Ende des Integrationsprozesses nur eine parlamentarisch kontrollierte Europäische Regierung stehen.
Die Voraussetzung ist eine Europäische Verfassung, die die Kompetenzaufteilung zwischen den regionalen/nationalen und der europäischen Ebene regelt.
Selbstverständlich wird sich, analog zum föderalen System der BRD, sowas ein „Länderrat“ bilden, in dem regionsspezifische Interessen Berücksichtigung finden können.
Diese zukünftige europäische Struktur wird auch die Nationalstaaten strukturell verändern. Die Bundesrepublik wird sich auflösen d. h. die Hierarchieebene „Bundesregierung“ wird abgebaut. Bereits heute unterhalten die einzelnen Bundesländer Vertretungen in Brüssel.
30)Was wünscht Du Dir für die Zukunft in Europa?
FRITHJOF BINDER:
Mein Ziel ist kein identitätsstiftender europäischer Nationalstaat. Darin unterscheide ich mich von der in der Piratenpartei vorherrschenden Meinung.
Die kulturelle Vielfalt Europas widerlegt m.E. auch die Vorstellung von einer europäischen Kultur. Die Vorzüge des zukünftigen Europas liegen in einem Lebensraum, in dem der Einzelne Rechtssicherheit und Lebenssicherheit genießt. Insofern stehe ich für ein offenes Europa, also für eines, das nicht geografisch sondern verwaltungstechnisch determiniert ist.
Da ich mich eher als Weltbürger betrachte, wünsche ich, dass der Weg zur Europäischen Union zum Vorbild für die globale Einigung wird.
Interview mit Frithjof Binder zur Kandidatur für das Europaparlament 2014
Kompass: Frithjof, vielen Dank für das Gespräch.
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