Kompass – Zeitung für Piraten

“Nein” zur Bestandsdatenauskunft: Rede von Marina Weisband

Marina Weisband auf der Demo gegen die Bestandsdatenauskunft im westfälischen Münster.

Update 14.4. — jetzt mit Transcript:

Ich weiß nicht ob ihr es mitbekommen habt: die Revolution ist schon passiert. Das haben wir eigentlich schon hinter uns, das Ding ist gelaufen. Wir haben uns als Menschen einen neuen Raum erschlossen. Einen Raum, in der als Menschen wir erstmal miteinander Hierarchie frei reden können. Wir sind nicht diskriminierbar über unser Geschlecht, Hautfarbe, unser Alter, sondern Leute mit Ideen, die sich unter einander ohne staatliche Struktur direkt miteinander vernetzen können. Das ist das Internet.

Es ist ein neuer Raum. Und wie das mit neun Räumen so ist, entsteht erstmal ein Tauziehen. Was machen wir damit? Haben wir, die Menschen, ein Interesse daran, dass dieser Raum möglichst frei bleibt? Natürlich haben aber auch die Behörden und die Polizei ein Interesse daran, diesen Raum kontrollieren zu können, denn die sollen uns ja beschützen. Und zwar im Zweifel auch vor uns selbst und gegenseitig.

Wir sehen das in den Räumen, die wir bisher hatten, dass das ganz gut geregelt ist. Man darf nur in ganz wenigen Ausnahmefällen in meine Wohnung und auf richterlichen Beschluss meine Schubladen durchwühlen. Man darf nur in ganz wenigen Fällen meine Telefonleitungen abhören, obwohl wir hören, dass das illegal häufiger passiert. Aber dieser neue Raum, da kann man ja jetzt weitergehen. Da ist ja alles so schön vernetzt und liegt in Datenform vor. Das ist sehr bequem für Überwachung. Und diese Überwachung mag mit den besten Intentionen entstehen.

Aber das ist ein Tauziehen, das wir gewinnen müssen. Das ist, weil wir diesen Raum frei haben wollen. Mein Handy ist eine Verlängerung meines Gehirns. Da sind meine Freunde drin, ihre Geburtstage, meine Nachrichten an sie. Im Internet, über mein E-Mail-Account, bestelle ich Pizza, bestelle ich mir Sex-Spielzeug, schreibe ich Liebesbriefe, das ist supermegaprivat. Das ist mehr als meine Wohnung, das ist mein Denken. Die Bedingungen, in mein Denken einzudringen, sollten sehr viel strenger sein, als die Bedingungen, in meine Telefonleitung einzudringen, oder in meine Wohnung. Aber das sind sie nicht. Man versucht, sie noch weicher zu machen.

Ich will hier nicht darüber reden, welche Gesetze wir im konkreten erlassen können oder ändern können, damit das sinnvoll passiert. Denn dafür haben zum Beispiel schon alle Piratenfraktionen ein Papier erarbeitet.

Ich will darüber reden, was es eigentlich mit uns macht, wenn wir flächendeckend überwacht werden können. Es ist also etwas anderes, wenn ich ein Verbrechen begehe, und ausnahmsweise, weil der Verdacht so schwer auf mir lastet, darf jemand mich aus der Gesellschaft herausziehen, mich auf ein besonderes Podest stellen, mich dort beleuchten und durchsuchen.

Etwas ganz anderes ist es, wenn wir alle als Bürger, einfach nur weil wir da sind, weil wir einfach nur im Internet unterwegs sind und vielleicht eine Ordnungswidrigkeit begangen haben, komplett ohne Hürden durchsucht und durchleuchtet werden können.

Das ändert nicht nur unsere Privatssphäre. Das ändert auch unser Denken. Und zwar nicht nur unser Denken über uns selbst. Weil jeder von uns ein potentieller Verbrechers ist, und das ist was der Staat über uns sagt. Es ändert auch unser Denken übereinander. Denn wir wissen: der Staat, also dieses Gebilde in dem wir leben und dem wir vertrauen, betrachtet jeden von uns als potentiellen Verbrecher. Und dann guck ich so in die Runde und frage mich: wie viele von euch sind eigentlich potentielle Verbrecher? Wie viele von euch wollen mir eigentlich schaden? Und ich fange an, misstrauisch zu werden. Ich fange an euch nicht zu sehen als Leute, mit denen ich mich frei vernetzen kann. Ich fange an, euch zu sehen als Leute, deren Vernetzung mit mir man überwachen muss, weil sie potenziell schädlich für mich ist.

Und das bedeutet: ich werde nicht mehr solidarisch mit euch sein. Das bedeutet: ich werde nicht mehr offen zu euch sein. Das bedeutet, wenn wir von Diskriminierungsfreiheit, von Sozialpolitik sprechen, dann wird das alles total illusorisch, weil ich überhaupt keinen Grund habe, euch zu vertrauen. Und ich habe keinen Grund, dem Staat zu vertrauen, denn der vertraut mir ja auch nicht. Der sieht mich als Antagonisten. Und das bedeutet, ich helfe ihm nicht, indem ich mich am demokratischen Prozess beteilige. Das heißt, auch die Demokratie leidet direkt darunter.

Das ist es, warum wir gegen Überwachung protestieren. Es geht nicht darum, dass jemand sieht, wem ich Liebesbriefe schreibe. Es geht darum, dass ich kein potentieller Verbrecher bin. Sondern erst, wenn ein schweres Verdachtsmoment auf mir lastet, erst dann will ich, dass Ermittlungen gegen mich eingeleitet werden.

(Call-to-action nicht abgetippt. Geht-raus-und-informiert-eure-Freunde. Erfasst mit Dragon Dictate … take care! -stm)