Eins muss man ihm lassen. Innenminister Hans-Peter Friedrich ist ein Mann der klaren Worte. Er schafft es mit einem Satz, sich klar außerhalb des geltenden Rechts zu positionieren. Und damit meine ich das Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, welche die Vereinten Nationen im Jahr 1948 verabschiedet haben. Nichts anderes sagt der Politiker nämlich, wenn er von seiner Amerika-Reise im Kern verlauten lässt, das amerikanische Spähprogramm Prism gehe schon in Ordnung.
Zunächst hat Friedrich in Washington offenbar immerhin die Bestätigung erhalten, dass wir wohl bis auf weiteres die Informationen von Edward Snowden als richtig betrachten dürfen. Der Ex-Mitarbeiter der NSA hat bislang einige (von wahrscheinlich vielen) Unterlagen veröffentlicht, welche eine amerikanische und britische Komplettüberwachung des Internetverkehrs belegen, die sich zielgerichtet auch gegen die EU-Staaten und insbesondere Deutschland richtet.
Damit sind wir alle direkt betroffen – unsere Mails, Posts, Chats und Gespräche werden gespeichert, gescannt und ausgewertet. Dazu kommen noch Lauschangriffe, die sich zumindest gegen die EU richten; offizielle Vertretungen sollen von der NSA verwanzt worden sein.
Ein Dementi der USA hat Friedrich nicht im Gepäck. Deshalb hätte er in Washington auf den Tisch hauen müssen. Das mag nicht seiner sonnigen Art entsprechen, aber die Sachlage hätte es erfordert. Denn alles, was wir derzeit über Prism wissen, lässt sich auf ein beunruhigendes Ergebnis herunterbrechen: Das Programm ist weder mit der deutschen Verfassung, den europäischen Grundrechten und auch nicht den Allgemeinen Menschenrechten vereinbar.
Prism als Aufgabe in einer juristischen Zwischenprüfung wäre der Traum der meisten Jura-Studenten. Die Aufgabe würde die Durchfaller-Rate gegen null drücken. Die schon reichlich gedehnten Schubladen unseres Wertekanons sind nämlich nicht einmal annähernd groß genug, um Prism und Tempora hinein zu sortieren.
Das ist so offensichtlich, dass selbst Friedrich vor der peinlichen Behauptung zurückschreckt, Prism sei legal. Stattdessen flüchtet er in eine Rechtfertigung, die es in sich hat:
Dieser edle Zweck, Menschenleben in Deutschland zu retten, rechtfertigt zumindest, dass wir mit unseren amerikanischen Freunden und Partnern zusammenarbeiten, um zu vermeiden, dass Terroristen, dass Kriminelle in der Lage sind, unseren Bürgern zu schaden.
Es ist anmaßend, wenn sich ein Innenminister herausnimmt, “edle” Zwecke zu definieren. Das ist nicht seine Aufgabe, sondern die des Bundestages und der europäischen Institutionen. Diese stecken – innerhalb der grundrechtlichen Schranken – den Rahmen des Zulässigen ab, und als Korrektiv wirken Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht, der Europäische Gerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Dass sein “edler” Zweck längst nicht alles rechtfertigt, könnte der Innenminister schon den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts entnehmen. Dort wird – notgedrungen gebetsmühlenartig – wiederholt, dass auch große Bedrohungen, ungewiss und vage zumal, die Annullierung des Rechts auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung verbieten. Friedrich könnte auch mal die Argumentation nachlesen, wonach niemand zum Objekt staatlichen Handels degradiert werden darf. Selbst diese, zugegeben sehr große Schublade müsste für Prism noch neu eingefasst werden.
Der “edle” Zweck, den der Innenminister bemüht, ist ein tödliches Argument. Mit ihm lassen sich ebenso Folter, Präventivhaft, gezielte Tötungen und Kriege rechtfertigen. Auch das wären Mittel, mit denen sich Terroranschläge womöglich verhüten lassen…
Die von Friedrich konkret angeführten, aber nicht näher erläuterten 45 Anschläge, die weltweit angeblich durch die NSA-Überwachung verhindert werden konnten, sollen also etwas rechtfertigen, was an die faktische Außerkraftsetzung unserer Grundrechte heranreicht?
Über Epochen haben Menschen darunter gelitten, dass “gut” und “böse” willkürlich definiert werden konnten – zumeist von den Falschen. Es wäre ein unumkehrbarer Fehler, den nunmehr Verantwortlichen ihre Abkehr von den Grundwerten, die sie in Sonntagsreden doch so gerne feiern, durchgehen zu lassen.
Udo Vetter schreibt im „lawblog“.