Kompass – Zeitung für Piraten

Das politische Gespräch: Wahlaufbereitung Bundestagswahl 2013 / Tralamitti

TrauKeinemPlakat1Timecodex CC-BY NC ND

Es gibt mehrere Möglichkeiten unser Ergebnis bei der Bundestagswahl zu deuten:

Man kann sagen: Wir haben nicht so viele Wähler gewonnen, wie wir beabsichtigt hatten.

Man kann behaupten, dass dies die erfolgreichste Piratenpartei bei einer Bundestagswahl in der Geschichte der Bundesrepublik war.

Auch das ist richtig.

Die erreichten 2,2 % liegen exakt 0,2 % über den Ergebnissen der letzten Bundestagswahl, bei der die Piraten eine absolute Newcomer-Partei von lauter „Nobodies“ gestartet war.

Das liegt sogar unter der Zahl unseres Stammwählerpotentials.

Jetzt könnten wir uns an dieser Stelle natürlich auch damit beschäftigen, welche äußeren Einflüsse ein besseres Wahlergebnis verhindert haben.

Wir möchten in dieser Interviewserie aber eher die internen Gründe ansprechen mit der Zielrichtung, es für die Kommunal-, und Europawahlen besser zu machen.

KOMPASS: Komplex 1: Wahlprogramm

wahlprogramm280v2
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Da wir ein sehr umfangreiches Wahlprogramm erarbeitet hatten, mit Bürgerthemen wie dem Bedingungslosen Grundeinkommen) BGE, hätten wir einen großen Themenkanon präsentieren können.

Haben wir zu sehr auf die falschen Themen (wie die NSA-Affäre) gesetzt?

Tralamitti:

Ich glaube, das größte Problem ist die fehlende Glaubwürdigkeit der PIRATEN aus Sicht der Wechsel- und Protestwähler.
3 Prozentpunkte von diesen Wählern hätten wir gebraucht, um den Einzug ins Parlament zu schaffen.
Doch durch eine beispiellose Kette an Selbstzerlegung ebbte das Momentum aus der Berlinwahl schon in 2012 ab.

Verwirrung herrschte, als die medienbekannte politische Geschäftsführerin Marina Weisband ihr Amt auf dem (Bundesparteitag) BPT 2012.1 April in Neumünster aufgab – und stattdessen ein ALG II-Bezieher mit freakigen Ansichten auf die Bühne sprang: Johannes Ponader. Dieser Personalwechsel hat breite Kreise gezogen. Selbst meine Eltern haben mich darauf angesprochen.

Den Abriß über Gates, Selbstzerfleischung und so weiter spare ich mal.
Alles das macht eine Partei nicht attraktiv zum Wechsel- oder Protestwählen. Dieser spezielle Wähler-Typ muss schon ganz hart von der Piratensache überzeugt sein, um trotzdem PIRAT zu stimmen. Dann ist er aber eher Stammwähler.

Es folgte ein desaströses Rumpfjahr 2012 mit stetig sinkenden Umfragewerten. Dass die Niedersachsen-Landtagswahl Anfang 2013 mit einem Ergebnis 2,1 Prozent enttäuschte, liess für die Bundestagswahl nichts Gutes erwarten.
Wir wir jetzt wissen, war trotz besserer Plakate, mehr Manpower, mehr Dings … das BTW-Ergebnis exakt auf NDS-Level. Das liegt an einer Grundursache: Keine Glaubwürdigkeit bei den nötigen Wählergruppen, um da das durchaus vorhandene Potential auszuschöpfen.
Zukünftige Aktivitäten sollten sich mindestens 90 Prozent damit beschäftigen, die PIRATEN glaubwürdiger zu machen.

Alles andere liebgewonnene … Programmarbeit, Themen, Wahlen, Orgafoo, Finanzen etc. pp. … muss bei der Wiederfindung der verlorenen Glaubwürdigkeit zurückstehen.

KOMPASS: Komplex 2: Kommunikation mit dem Wähler

Gab es Deiner Ansicht nach auch Schwächen in der Kommunikation unserer Themen?
Wären nicht weniger Flyer mit klarerer Sprache zielführender gewesen?
Hättest Du andere Schwerpunkte gesetzt?

Tralamitti:

Im Rückblick ist man immer schlauer. Kernaufgabe ist jetzt, die PIRATEN komplett neu aufzustellen, was Image und Glaubwürdigkeit angeht. Der Wähler will sich nicht vor sich selbst und vor anderen schämen, weil er PIRATEN wählt.
Nochmal: die Stammwähler schämen sich nicht für ihr Piratenkreuz, die sind sowieso überzeugt. Die Wechselwähler führen da wenigstens einen inneren Monolog und wie der ausgeht, entscheidet, ob das Kreuz bei PIRATEN oder eben SPDCDUGRÜNAFDFDP landet.

Zu den Flyern.

Die Themenflyer wirkten sehr verkopft. Normale Wähler verstanden die überhaupt nicht. Besonders der Innenteil wirkte arg bemüht, jeden Quadratmillimeter mit möglichst viel Programminhalt vollzustopfen. Ein Text geschrieben von Vielen, ein Kompromißprodukt: sowas ist immer schlecht, wenns verkaufen soll. Eine emotionale Ansprache war das nicht, sondern eher was für Politikwissenschaftler und Studienräte.
Ausnahme: Queerflyer, Fanrechte-Flyer — die allerdings ausserhalb der Themenflyer entstanden und erfrischend ander5 rüberkamen.

KOMPASS: Komplex 3: Wahlplakate

ZUHÖREN STATT ABHÖREN
ZUHÖREN STATT ABHÖREN

War unsere Plakatserie Deiner Meinung nach treffend, oder hättest Du hier andere Schwerpunkte gesetzt?

Tralamitti:

Die Plakate waren designmäßig schick, jedoch schlecht lesbar. Ein Standardproblem, wenn Designer freie Hand haben. Was nötig ist: Schwarze Type auf hellem Grund, Groß/Kleinschreibung statt Blockschrift, maximal 10 Buchstaben je Zeile. Oder Format A1 statt A2, dafür nur halb soviel Plakate.
Nächstes Mal nur 3-4 Motive, und Spitzenkandidaten-Kopfplakate.
Oder mehr Großplakate statt Kleinplakate.
Auf Plakate sollten wir nicht verzichten. Präsenz zeigen ist schon wichtig.

KOMPASS: Komplex 4: Allgemeine Strategie / „Themen statt Köpfe“

In einem Wahlkampf, der sehr stark auf Personen fixiert war:

Kann man, dass diese Strategie beim Wähler nicht angekommen ist?

Hätte die Piratenpartei nicht besser „Themen mit Köpfen“ in den Vordergrund stellen sollen, oder gleich einen Spitzenkandidaten / ein Spitzenduo präsentieren sollen?

Tralamitti:

3-4 Spitzenkandidaten, die mediengerecht gecastet werden.

Außerdem ist der Bundesvorsitzende seiner Wahlkampfrolle nicht so dolle gerecht geworden, er sendete zahlreiche verwirrenden Botschaften aus, oder halt gar keine. Der nächste BuVo muss da mehr ran.

KOMPASS: Komplex 5: Wahlkampforganisation

Glaubst Du, dass es eine gute Entscheidung gewesen ist, eine Wahlkampfzentrale in Berlin und eine WK-Zentrale in NRW zu betreiben?

(Hatte womöglich jedes Bundesland eine eigene Zentrale?)
Wurden diese Zentralen, Deiner Ansicht nach, kontinuierlich und gut gemanagt, soll heißen: Hatten Kandidaten und Presse den bestmöglichen Support?

Tralamitti:

Dazu habe ich keine Meinung.

Für NRW fand ich gut, dass da lange im Vorfeld was entstanden ist. Weniger gut lief da die “Personalauswahl”, ein wüstes fuckup, das viel Energie kostete.

KOMPASS: Komplex 6: Veränderungen / Verbesserungen:

Was können / müssen wir für den Kommunalwahlkampf und die Europawahl im Mai besser machen?

Was schlägst Du für organisatorische Änderungen vor?
Welche inhaltlichen Themenschwerpunkte würdest Du setzen?
Welche Kommunikationsformen sollten wir wählen? Pressemitteilungen, Infostände, Kandidatentermine, Wahlplakate etc?

Tralamitti:

Glaubwürdigkeit, Glaubwürdigkeit, oder buzzwordisch “Credibility”. http://en.wikipedia.org/wiki/Credibility_gap

Organisatorisch: weiß ich nicht. Lief alles irgendwie recht gut mit extremen Einsatz vieler. Nur verpuffte das Ganze, da eben keine Glaubwürdigkeit vorhanden war und ist.

Ich würde PIRATEN als Themenschwerpunkt setzen X-D.

Piratengrafik

Als Kommunikationsform mehr auf das direkte Gespräch setzen, dann sehen die Leute, dass es sich bei PIRATEN nicht um sozialschmarotzende, linkslastige Freaks handelt, ein gängiges Vorurteil. Sondern um ganz normale engagierte Menschen.

 

KOMPASS:

Tralamitti, vielen Dank für das Gespräch.

 

Timecodex CC-BY NC ND

KOMPASS- BLOG-Interview zur Nachbetrachtung der Bundestagswahl 2013