Europakandidatenwahlen der Piratenpartei Deutschland 2014
Kandidateninterviews
Der Kompass-Europa-Kandidatengrill:
KOMPASS:
Bei den Wahlen zum Europaparlament im Jahr 2009 gelang es zwei Kandidaten der Piratenpartei in die europäische Volksvertretung einzuziehen.
Amelia Andersdotter und Christian Engström aus Schweden wurden Mitglieder des Gremiums und vertreten seitdem die Interessen der Piraten im Verbund mit der Fraktion der Europäischen Grünen / EFA.
Am fünfundzwanzigsten Mai 2014 stellen sich die Abgeordneten für das EU-Parlament unter anderem auch in Deutschland erneut dem Votum der Wähler.
Auf dem Bundesparteitag am 04. und 05. Januar 2014 werden die deutschen Kandidaten der Piratenpartei gewählt.
Damit wir uns ein Bild von Ihnen machen können, befragen wir sie in einer Interviewserie.
KOMPASS:
Es treten neben Dir noch einige weitere Kandidaten zur Wahl auf diesem Parteitag an.
Wir möchten Dich bitten, unseren Lesern ein paar persönliche Informationen über Dich zu geben, damit sie einen Eindruck davon gewinnen können, wen sie wählen, wenn sie Deinen Namen ankreuzen.
Ich bin Patrick Schiffer, 40 Jahre alt, in Belgien geboren, in Deutschland und Ägypten groß geworden, in den Niederlanden zum visuellen Profi ausgebildet und jetzt lebe ich als mehrsprachiger Mensch mit meiner Freundin und 3 Kindern in Düsseldorf.
Neben dem Netz im Allgemeinen und Besonderen interessiere ich mich für Kunst und Musik.
Und ich koche sehr gerne.
KOMPASS:
Zuerst möchten wir ein paar Fragen zu Deiner Person an Dich richten:
1) Was sind Deine politischen Schwerpunkte / Themen?
PATRICK SCHIFFER:
Netzpolitik, Europa, Menschenrechte, Migration, Asylpolitik, Anti-Korruption, neue politische Beteiligungs- und Mitbestimmungsformen. Ich stehe aber für das komplette Grundsatz- und Wahlprogramm der Piratenpartei ein.
2) Welche europäischen Bezüge siehst Du in diesen Themenfeldern?
PATRICK SCHIFFER:
Auf netzpolitischer Ebene werden sehr viele Entscheidungen in der europäischen Union an die einzelnen Staaten weitergeleitet. Man nehme nur EUDataP (Datenschutzreform), die Vorratsdatenspeicherung oder zum Beispiel im Jahre 2012 die EU-Verordnung Nr. 531 zur europa-weiten Senkung der Roaminggebühren.
Desweiteren bestimmt die EU z.B. den Umgang mit Flüchtlingen an ihren Aussengrenzen und hat mit Frontex eine beinahe unabhängige und vom Parlament unkontrollierte Institution geschaffen, die in meinen Augen abgeschafft werden muss.
3) Was sind Deine politischen Ziele?
PATRICK SCHIFFER:
Zunächst einmal gemeinsam mit möglichst vielen europäischen Piraten ins EU-Parlament einzuziehen, um dann eine Fraktion aufzubauen und die Aufgaben anhand unserer individuellen Stärken zu verteilen.
Dabei würde ich mich natürlich in meinen Schwerpunktthemen gerne wiedersehen. Ich bin aber auch gerne dazu bereit, andere wichtige Themenfelder zu beackern und den Menschen die Funktionsweise der Politik auf europäischer Ebene zu erklären und näher zu bringen.
4) Welche Eigenschaften machen Dich zum geeigneten Kandidaten für das Europäische Parlament?
PATRICK SCHIFFER:
Ich bin ein Arbeitstier, integer und loyal, jederzeit auf Teamplay ausgerichtet. Unter den Führungskräften einer Firma wäre ich wohl der Diplomat und Mediator, der aber auch mal auf den Tisch haut, wenn es hakt. Ich habe bereits Erfahrung in der Personalleitung und arbeite zur Zeit mit bis zu 4 Auszubildenden zusammen.
Was ich anfange, führe ich zu Ende. Aus meiner Erfahrung in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bringe ich sehr gute Deutschkenntnisse, flüssiges Schreiben und Verständnis für komplexe Zusammenhänge in kürzester Zeit mit. Ich kann mich schnell in Dinge reinarbeiten.
Durch meine Arbeit als Vorsitzender und meine Direktkandidatur zur Bundestagswahl habe ich keinerlei Hemmungen, in der Öffentlichkeit zu stehen und die Positionen der Piraten vorzustellen und auch zu vertreten. Ich bin mit 3 Geschwistern gross geworden und habe 3 Kinder, insofern besitze ich auch die Fähigkeit, in sozial unübersichtlichen Situationen die Ruhe zu bewahren.
5) Hast Du bereits Erfahrung in Parteiämtern oder politischen Mandaten sammeln können?
PATRICK SCHIFFER:
Zunächst war ich als Beisitzer im Kreisvorstand Düsseldorf tätig und bin im April 2013 zum Vorsitzenden der Piratenpartei Nordrhein-Westfalen gewählt worden. Ein politisches Mandat habe ich bisher noch nicht besetzt.
6) Wenn ja, welche(s)?
PATRICK SCHIFFER:
Ich habe Verwaltungsstrukturen und -abläufe in einem der grössten Landesverbände der Piratenpartei kennen, betreuen und ausbauen gelernt und es hört nicht auf. Neben meiner Vollzeitstelle und meiner 5-köpfigen Familie zeitlich all das auf die Reihe zu bekommen, ohne ein einziges Gate zu produzieren und dabei einen grossen Teil der Leute im Landesverband und im Vorstand durchgehend unterstützend bei mir zu wissen, macht mich froh, hoffnungsvoll und auch ein bisschen stolz.
Aus den Fehlern, die ich natürlich auch mache, lerne ich ungemein. Die Menge an Erfahrungen der letzten 8 Monate hier ausführlich darzustellen, würde sicher den Rahmen sprengen. Ich lerne weiterhin dazu und versuche neben der Menge an regelmässigen Aufgaben menschliche und politische Akzente zu setzen.
Ich werde in den kommenden Monaten auf meinem Blog einige Artikel zur Arbeit im Landesvorstand schreiben, um meine Erfahrungen weiterzugeben.
7) Bist Du vor Deiner Mitgliedschaft in der Piratenpartei bereits in einer anderen Partei gewesen?
PATRICK SCHIFFER:
Ich war bisher in keiner anderen Partei Mitglied. Mit 19 Jahren habe ich eine Weile mit der grünen Jugend sympathisiert, später habe ich durch private Kontakte eine Weile mit der SAV (Sozialistische Alternative) Kontakt aufrecht erhalten.
Aber wirklich überzeugt haben mich nur die Piraten.
8) Wie stellst Du Dir die Kommunikation mit Presse, Funk und Fernsehen in Deiner Eigenschaft als Abgeordneter des Europäischen Parlamentes vor?
PATRICK SCHIFFER:
Neben einer proaktiven Pressearbeit, d.h. regelmässigem Kontakt zu Journalisten & Zeitungen, nebenbei Social Media/Webseite würde ich auf bürgernahe Art & Weise versuchen, durch meine parlamentarische Arbeit und regelmässige Auftritte in der Öffentlichkeit durchgehend auf mich aufmerksam zu machen.
Mein Vorbild wird sicherlich Amelia Andersdotter sein, die das wundervoll macht. Aber auch Marietje Schaake von der Allianz „Liberals and Democrats“ bewundere ich für ihre Öffentlichkeitsarbeit.
Desweiteren würde ich mich zusätzlich von Profis in diesem Bereich beraten und auch trainieren lassen, um mein Profil zu schärfen und Anfängerfehler zu vermeiden.
9) Hast Du in diesem Bereich bereits Erfahrung sammeln können?
PATRICK SCHIFFER:
Ja, ich hatte bereits diverse Interviews und Podiumsdiskussionen als Direktkandidat und Vorsitzender. Durch meine fast 12 jährige Selbständigkeit im Beruf habe ich viele internationale Kundenkontakte erlebt und scheue mich nicht davor, auf Menschen zuzugehen. Zudem habe ich bereits Erfahrungen in der Pressearbeit der Piratenpartei auf Landes- und Bundesebene sammeln können.
KOMPASS:
Wir möchten Dich jetzt bitten uns ein paar Fragen zu unterschiedlichen politischen Themenbereichen zu beantworten.
A) Währung und Finanzen:
10) Wie ist Deine Position bezüglich der gemeinsamen Europäischen Währung Euro?
PATRICK SCHIFFER:
Zweifelsfrei hat der Euro seit seiner Einführung 2002 zu Stabilität und Wachstum in der Eurozone geführt und war damit bisher auch gewissermassen identitätsstiftend. Allerdings sehen wir momentan ein Ungleichgewicht innerhalb der europäischen Union, welches diese Identität sehr schnell wieder zerstören kann.
Mit einem Paket aus mehreren EU-Rechtsakten und Verträgen wurden wirtschaftlich schlechter gestellte Mitgliedsländer zu drastischen Einschnitten verpflichtet, was ich für fehlerhaft und wenig weitsichtig, ja sogar gefährlich halte. Und diese Unterschiede waren vorher bekannt.
Die EU-Kommission kann nun Sanktionen gegen Mitgliedsstaaten erlassen, wenn die von nationalen Parlamenten beschlossene Wirtschaftspolitik nicht den Vorgaben der Kommission entspricht und „strukturelle Budgetdefizite“ nach Kommissionsauffassung auftreten. Weil das demokratisch kaum durchzusetzen wäre, sind die dafür vorgesehenen Verfahren umgangen worden und das Europäische Parlament hat in diesen neuen Verfahren nur Anhörungs- aber keine Mitentscheidungsrechte.
Obwohl diese ‚Krisenpolitik’ die Krise in Europa verschärft und Europa in eine Rezession geführt hat, sollen diese Maßnahmen und Instrumente noch vertieft werden. Meiner Meinung nach muss die bisherige Austeritätspolitik endlich beendet werden.
Europa braucht einen demokratischen Neustart, bei dem nicht nur der Euro identitätsstiftend sein wird, sondern eine politische Einheit durch eine gemeinsame demokratisch entwickelte Verfassung hergestellt werden muss!
11) Bist Du für einen zwischenstaatlichen Finanzausgleich?
PATRICK SCHIFFER:
Die EU hat den intransparenten und parlamentarisch nicht kontrollierbaren Stabilitätsmechanismus, kurz ESM, geschaffen. Dieser ermöglicht allerdings nur Kredite und Bürgschaften.
Ich halte diesen intransparenten und undemokratischen Pseudo-Ausgleich für untragbar und lehne ihn ab. Die damaligen Konstrukteure der europäischen Union haben zu kurzsichtig gehandelt, als sie den Euro einführten und die unterschiedlichen Wirtschaftskapazitäten der Teilnehmer nicht berücksichtigten bzw. als Handlung nur Sanktionsmassnahmen bereit hielten.
Ich halte es für gefährlich, die ärmeren Länder Europas unter Druck zu setzen. Diese Krise war politisch gewollt und muss durch einen tiefgreifenden Vertrag mit einem Länderfinanzausgleich und einem europa-weiten Konjunkturpaket beendet werden.
Ärmere Länder sind mit Know-How, Investitionen und Transfer so zu unterstützen, dass sich alle Lebensstandards europaweit angleichen können. Die Deutschen haben diese Erfahrung nach der Einigung erlebt und wissen, dass man eine wirkliche politische Einheit nicht nur von der Währung alleine abhängig machen darf!
12) Welche Entscheidungen im Bereich der innereuropäischen Steuersysteme sollten Deiner Ansicht nach getroffen werden?
PATRICK SCHIFFER:
Ich bin für die Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer und würde dies auch im EU-Parlament zur Diskussion stellen wollen. Zudem müssen durch die Einstellung von mehr Finanzbeamten Steueroasen stärker bekämpft werden.
13) Welche Maßnahmen sollte die EU in Bezug auf die Frage der Bankenregulierung ergreifen?
PATRICK SCHIFFER:
Wir haben bereits Forderungen dazu im Wahlprogramm 2013, welche ich so unterstütze:
„Wir fordern einen effektiven europäischen Aufsichtsmechanismus, der von der EZB unabhängig ist und der zukünftige Kreditexzesse frühzeitig erkennt und wirksam unterbindet. Zur zukünftigen Stabilisierung des europäischen Bankensektors ist eine Trennung des Geschäftsbereichs „Investment Banking“ von der übrigen Geschäftstätigkeit (Trennbankensystem) europaweit gesetzlich vorzuschreiben.“
Ich habe am 5.11.2013 in Frankfurt am Main die Europarede von José Manuel Barroso mitverfolgt. Im Laufe des Abends hatte ich ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin der BAFIN, also der deutschen Bankenaufsicht. Sie schilderte mir das Problem, dass momentan die Menge an Mitarbeitern für eine europäische Bankenaufsicht sehr knapp ist und es sicherlich seine Zeit dauern wird, bis diese vollumfänglich arbeiten kann.
Ein Teil unserer Forderungen wird bereits umgesetzt, siehe auch:
Ich würde mich im Europaparlament dafür einsetzen, hier besonders die Transparenzkriterien regelmässig auf den Prüfstand zu stellen. Desweiteren muss die Unabhängigkeit der Behörde überwacht werden.
Ab dem 1. Januar 2014 gelten im Übrigen bereits strengere Regeln für die ca. 8200 Geldhäuser Europas: mehr Eigenkapital (min. 8%) und die Deckelung der Bonuszahlungen (nicht höher als ein Jahresgehalt). Wir werden sehen, ob diese Regelungen eine weitere Krise verhindern. Ich bezweifle es. Mir gehen insbesondere die Regelungen zum Eigenkapital nicht weit genug.
Die Spekulation mit Lebensmitteln, Wohnraum und Energie muss europaweit verboten werden.
B) Arbeit und Sozialpolitik:
14) Wie stehst Du zur Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt innerhalb der Europäischen Union?
PATRICK SCHIFFER:
Die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt in der EU sehe ich positiv und als einen wichtigen Schritt in die Richtung einer grenzenlosen Gesellschaft. Ich verurteile die Äusserungen der CSU zu einem härteren Kurs gegen die sogenannten Armutsmigraten aufs Schärfste.
Ich gehe bei dieser Öffnung zu Rumänien und Bulgarien nicht davon aus, dass die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und das Sozialsystem eine Belastung darstellen. Zu dieser Einschätzung gelangt im Übrigen auch das Bundesarbeitsministerium.
Wir brauchen Zuwanderung, egal ob weniger oder hoch qualifiziert. Alles andere halte ich für Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen und Sozialhetze.
15) Welche Maßnahmen sollte das Parlament in Bezug auf die Löhne und Gehälter (Mindestlöhne) oder das Bedingungslose Grundeinkommen treffen?
PATRICK SCHIFFER:
Der Mindestlohn muss in jedem Land der europäischen Union eingeführt werden. Deutschland hinkt hier hinterher. Die Höhe muss von unterschiedlichen Faktoren im jeweiligen Land abhängig gemacht werden.
Die Wirtschaften der Länder sind noch zu unterschiedlich, als dass man einen europäisch flächendeckenden Mindestlohn auf gleicher Höhe fordern könnte. Dies führt an den Realitäten vorbei.
Was das bedingungslose Grundeinkommen betrifft, so würde ich mich auf europäischer Ebene dafür stark machen, unterschiedliche Modelle durchzurechnen und zu prüfen, inwiefern das machbar wäre, also die Erforschung eines Weges zu emanzipatorischen sozialstaatlichen Rahmenbedingungen in der EU.
Ich unterstütze die EBI Grundeinkommen.
http://www.ebi-grundeinkommen.de/europaische-burgerinitiative/
16) Was kann zum Schutz der Arbeitnehmer unternommen werden?
PATRICK SCHIFFER:
Es braucht eine Kehrtwende hin zu einem demokratischen, sozialen und ökologischen Europa der Vielen! Ich würde mich einsetzen für eine Stärkung der ArbeitnehmerInnenrechte, ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen und Gewerkschaftsrechte und die Beendigung der Lohnsenkungspirale.
17) Wie sollte die Flüchtlingspolitik Europas aussehen?
PATRICK SCHIFFER:
Die asylpolitische Gesetzgebung auf EU-Ebene ist mittlerweile so menschenfeindlich geworden, dass ich mich schämen muss, Europäer zu sein. Wir schotten unsere Grenzen ab.
Wir lassen Flüchtlinge auf offener See absaufen. Wir schieben Menschen in bitterer Not in eine ungewisse und lebensgefährliche Zukunft ab. Und um das bigotte Maß voll zu machen, klagen wir andere Staaten für dieselbe menschenfeindliche Scheisse auch noch an? Unfassbar ekelhaft.
Nicht der Schutz VON Flüchtlingen, sondern der Schutz VOR Flüchtlingen steht im Fokus der momentanen Entwicklung der europäischen Asylpolitik. Die Art, mit der an den Grenzen Europas mit Flüchtlingen umgegangen wird, sowie die Bedingungen, in denen sie leben müssen, sind sogar laut Europäischem Gerichtshof „unmenschlich und erniedrigend“.
Dies muss schnellstens gestoppt und rückgängig gemacht werden! Mal davon abgesehen, dass diese Entwicklung den menschenverachtenden Rechtspopulisten immer mehr Auftrieb gibt, den sie fühlen sich in ihren Forderungen bestätigt. Das Schüren von Angst in dem Zusammenhang führt überall in Europa zu Fremdenfeindlichkeit und -hass.
Ich sehe eine enge Kausalkette zwischen all diesen Entwicklungen, die natürlich durch den „Krieg gegen den Terror“ zusätzlich befeuert wird.
Dublin II und Dublin III, Frontex, Smart Border, Eurosur usw. zielen darauf ab, die Festung Europa weiter auszubauen. Dies alles widerspricht aber der europäischen Charta der Grundrechte.
Durch Recherchen vor Ort, in Auftrag gegebene Gutachten, belegbare Zahlen, Reisen an die Brennpunkte (wie z.B. Lampedusa) und durch tiefgreifende Debatte über die aktuelle Asylpolitik zur Sensiblilisierung einer breiten Öffentlichkeit, würde ich die bisherigen Beschlüsse komplett in Frage stellen wollen.
An den Grenzen Europas müssen Auffanglager mit humanen Bedingungen für genügend Flüchtlinge geschaffen werden. Den Flüchtlingen muss auf faire und lebensbejahende Art und Weise geholfen werden. Die EU muss dringend mit allen angrenzenden Staaten auf engste Weise zusammenarbeiten und ein dichtes Netz von Hilfsprogrammen entwickeln. Fluchtsuchende müssen unseren Schutz geniessen.
Egal, woher sie kommen. Verletzten und traumatisierten Flüchtlingen muss ein Netz an Hilfe zur Verfügung gestellt werden, welches garantiert, dass sie nicht monatelang in Europa dahinvegetieren müssen. Ich könnte diese Liste unendlich lang fortsetzen…
C) Internationale Beziehungen:
18) Wie stehst Du zu TTIP / „TAFTA“ (Trans-Atlantic Free Trade Agreement), dem geplanten Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und welche Bedingungen sollten die USA Deiner Ansicht nach erfüllen?
PATRICK SCHIFFER:
Dieses Abkommen muss in der Art, wie es momentan verhandelt wird, unbedingt verhindert werden. Die eigentlichen Vereinbarungen werden nicht veröffentlicht, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Aber an der Liste der sehr einseitig beteiligten Unternehmen kann man erahnen, worum es in diesem „Freihandelsabkommen“ geht:
* hohe Standards, die in Deutschland gelten (z.B. grüne Gentechnik), werden wieder heruntergehandelt
* Staaten, die gegen das Abkommen verstossen, müssen mit empfindlichen Strafzahlungen rechnen
* ACTA soll durch die Hintertür wieder eingeführt werden
* es betrifft alle Bereiche des Lebens und wird hinter verschlossenen Türen ohne breite öffentliche Diskussion verhandelt
Meiner Meinung nach müssen die Piraten dieses Thema im Europawahlkampf massiv thematisieren und die Öffentlichkeit über alle Hintergrundinformationen, die nach aussen sickern, informieren.
19) Was sollten EU und die USA zur Sicherung der Bürger-, und Freiheitsrechte der europäischen Bürger beschließen?
PATRICK SCHIFFER:
Nach den Veröffentlichungen Snowdens – insbesondere den Enthüllungen während des 30c3 (Chaos Communication Congress in Hamburg) Ende Dezember – sollte die EU möglichst alle Abkommen und Vereinbarungen mit den USA schnellstens stoppen und neu verhandeln.
Dabei muss mit höchstem Druck auf die Regierung der USA klar gemacht werden, dass die Überwachung, die Wirtschaftsspionage und die schon kriminellen Abhöraktionen der NSA weltweit jegliche Grundsätze vertrauensvoller Politik und gesellschaftlicher Ethik zerstören. Als Europapolitiker muss man auch guten Freunden ins Gesicht sagen, wo die Grenze überschritten ist. Die USA sind zu weit gegangen. Weltweit.
Hierbei muss den Amerikanern klar gemacht werden, dass sie auf diesem Niveau kein ernstzunehmender Verhandlungspartner mehr sind. Erst, wenn die amerikanischen Geheimdienste wieder unter staatlicher Kontrolle mit Beteiligung des Kongresses ihre weltweiten Abhöraktionen gestoppt haben, ist ein gemeinsamer Spielraum auf Augenhöhe möglich.
20) Wie ist Deine Position in Bezug auf die Bereiche NSA-, GCHQ – Spähaffäre und die Vorratsdatenspeicherung?
PATRICK SCHIFFER:
Ich lehne alle Formen des Eintauchens des Staates in die Privatsphäre seiner Bürger oder die Bürger anderer Staaten und überhaupt jegliches anlassloses Abhören und Speichern von Vorratsdaten vehement ab.
Die EU muss jetzt genauestens hinsehen, welche geheimdienstlichen Aktionen in ihren Zuständigkeitsbereich fallen und darüber aufklären, was eigentlich passiert ist. Zudem brauchen wir genaue Angaben darüber, was innerhalb der EU an nachrichtendienstlichen Aktivitäten geschieht und was gegen europäisches Recht verstösst. Ich lehne einen europäischen Geheimdienst ab. Ich bin gegen den digitalen Aufrüstungswahn.
21) Sollten NATO und EU militärische Operationen außerhalb ihrer Staatsterritorien durchführen?
PATRICK SCHIFFER:
Da die Aussenpolitik der EU zukünftig eine immer grössere Rolle spielen wird und das EU-Parlament kaum Mitspracherecht in außen- und sicherheitspolitischen Fragen besitzt, muss unbedingt ein Vetorecht eingeführt werden.
Ich bin absoluter Kriegsgegner, habe aber im arabischen Frühling z.B. in Libyen erlebt, dass sich Völker manchmal nicht aus eigener Kraft von ihren Despoten befreien können. Ich war sehr nah am Geschehen und halte die damalige Intervention der NATO von den libyschen Bürgern für gewollt. Ich bin aber gegen jeden Einsatz von Waffen, die eine Verseuchung der Umwelt verursachen. Die NATO macht leider zu viele Fehler in dieser Hinsicht.
Ausserdem frage ich mich, warum die Amerikaner mit der NSA nicht durch Abhöraktionen genauer wussten, wie sie den Apparat um Gaddafi zerstören hätten können. Der Prozess nach dem Sturz von Gaddafi ist nicht weitergeführt worden, was jetzt ein grosses Problem darstellt.
Ich befürworte militärische Operationen nur als allerletzten Schritt, wenn alle, aber auch wirklich alle diplomatischen Wege aussichtslos waren und ein Genozid droht. Jeglichen geostrategischen Militäreinsätzen erteile ich eine absolute Abfuhr und würde mich dagegen zur Wehr setzen. Desweiteren muss eine militärische Operation jederzeit weitsichtig von einer humanitären Hilfe begleitet werden, damit z.B. ein Bürgerkriegsland und seine Nachbarn (siehe Syrien) nicht mit den Folgen alleingelassen wird.
D) Bildung:
22) Welche Ansätze sollten hier verfolgt werden, mehr wirtschaftsorientierte oder persönlichkeitsbildende Ausbildungsgänge?
PATRICK SCHIFFER:
Der europäische Kontinent besitzt kaum Rohstoffe, die er exportieren kann. Seine Stärke im weltweiten Vergleich ist das hohe Niveau von Knowhow und Bildung. Allerdings reicht eine rein wirtschaftsorientierte Bildungspolitik bei weitem nicht aus, um bei der Konkurrenz im Ausland mithalten zu können.
Insofern können die Anstrengungen der EU mit der „Offenen Methode der Koordinierung“ gestärkt und ausgebaut werden, um das Niveau in allen Ländern der EU auszugleichen bzw. anzuheben.
23) Welche Konzepte sollten bezüglich des Handwerks und der Universitäten verfolgt werden?
PATRICK SCHIFFER:
Der Einfluss der europäischen Politik auf das Handwerk steigt. Hier kann die EU wichtige Beiträge zur Vernetzung, wie z.B. durch das EU-Netz Oderpartnerschaft (EUNOP), die Euregio (Aachen, Lüttich, Maastricht) oder ähnliche Kooperationsdatenbanken für Geschäftsbeziehungen helfen.
Die Konkurrenz auf dem internationalen Markt ist gross und mit Instrumenten ähnlich wie iXPOS – die Außenwirtschaftsförderung online – kann die EU mittelständischen Unternehmen dabei helfen, leichter Aufträge im Ausland zu finden und diese betreuen.
Ich fordere europaweit Open Access, d.h. alle Forschungsergebnisse, die mit öffentlichen Mitteln gefordert wurden, müssen auch allen Menschen zur Verfügung gestellt werden. Die EU ist auch eine Wissensunion, die ihr Wissen unter ihren Mitgliedern teilen sollte. Das wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer aufgeklärten Gesellschaft. Dazu gehört auch OER (Open Educational Resources).
E) Verkehr:
24) Wie stellst Du Dir in Zukunft die Verkehrssysteme innerhalb der Europäischen Union vor?
PATRICK SCHIFFER:
Auf europäischer Ebene würde ich mich z.B. für die Schaffung einheitlicher, technischer Standards, einem höheren Schienenanteil und mehr Investitionen im Bereich der Verkehrsplanung einsetzen. Ich bin Mitantragsteller des Wahlprogrammantrags WP051:
http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:Bundesparteitag_2014.1/Antragsportal/WP051
25) Wie stehst Du zu einer europaweiten Maut?
PATRICK SCHIFFER:
Zusätzliche Gebühren verhindern nicht die Überlastung der europäischen Strassennetze.
Ich bin für die Verlagerung des Verkehrs auf Schiene und Wasserwege. Dafür müssen Hürden abgebaut und Anreize geschaffen werden. Die Maut ist ungerecht, da sie keinen Unterschied zwischen Menschen unterschiedlicher Einkommen macht, d.h. Reisen mit dem Auto wären durch sie nur noch für finanziell besser Gestellte möglich. Wenn als Ausgleich für die Pkw-Maut auch noch die Kfz-Steuer entfällt, werden die Besitzer von verbrauchsarmen Fahrzeugen bestraft.
Wie bereits in Frankreich zu sehen ist, weichen viele Autofahrer aus Kostengründen auf Bundes- und Landesstraßen aus. Pendler werden unnötig hoch belastet.
F) Fraktion, Parlament und Regierung:
26) Wie stehst Du zum sogenannten „Fraktionszwang“?
PATRICK SCHIFFER:
Ich lehne Fraktionszwang ab. Ich halte aber eine gewisse aufgeklärte und kritische Fraktionsdisziplin für wichtig, um geschlossen auftreten zu können. Es ist wichtig, dass der Diskussion zu Kritikpunkten genügend Raum gegeben wird, damit wirklich alle Argumente in gemeinsame Anträge oder Aktionen einfliessen können.
Wer schliesslich gegen die Abstimmungsempfehlung der Fraktion stimmt, sollte dies zumindest ausführlich begründen können.
27) Sollte am Ende des Europäischen Prozesses eine gewählte Europäische Regierung stehen, welche durch das Europaparlament kontrolliert wird?
PATRICK SCHIFFER:
Grundsätzlich braucht Europa eine eigene Verfassung. Und natürlich sollte die Gewaltenteilung auch für Europa gelten. Allerdings braucht das Europaparlament schon jetzt das Initiativrecht, um Gesetzesentwürfe einbringen zu können. Leider hat bisher nur die Europäische Kommission das Initiativrecht (einzige Ausnahme: In der Außen- und Sicherheitspolitik der EU-Aussenminister und die Mitgliedsstaaten).
28) Was wünscht Du Dir für die Zukunft in Europa?
PATRICK SCHIFFER:
Ich wünsche mir für die Zukunft Europas den Menschen im Mittelpunkt der Politik. Mehr Transparenz, grundlegende Mitbestimmungsmöglichkeiten, eine eigene Verfassung, eine menschlichere Asylpolitik,, weniger Nationaldenken, einfach viel viel mehr Europa. Es ist noch ein langer und steiniger Weg bis zu einem perfekten Europa. Es gibt viel zu tun, packen wir es an!
Interview mit Patrick Schiffer zur Kandidatur für das Europaparlament 2014
Kompass: Patrick Schiffer, vielen Dank für das Gespräch.
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