Kompass – Zeitung für Piraten

Die #Flaggengate Farce / Gastbeitrag von Peter @kpeterlbw Laskowski

tl;dr warum zwei gegen „die Antifa“ gerichtete Bloggposts populistische Stimmungsmache sind, die Objektivität simulieren
Wenn Piraten etwas erreichen wollen, wie mit dem Beitrag „ANTI*FARCE – Für klare Begriffsinhalte“ nutzen sie ein wiederkehrendes Schema. Dieses Schema beinhaltet immer, sich einem Anstrich der Objektivität zu geben. Der Anstrich der Objektivität wird so erreicht: der Autor kündigt an, er wolle Begriffe definieren, um diese sauber zu benutzen. Denn das „macht es einfacher und es gibt weniger Missverständnisse.

Pseudoobjektiver Populismus

Wenn der Autor schreibt, dass die „Definition des Begriffes ‘Antifaschismus’ […]nicht einfach [ist], denn es gibt keine einzelne Instanz die diesen Begriff den Inhalt geprägt hat, es ist kein Markenname einer Organisation, kein Rechtsbegriff.“ hat er unzweifelhaft Recht.

Wenn er ankündigt, er wolle „Erklärungen bei denen finden, die die Begriffe für sich als Selbstbeschreibung und zur Durchsetzung ihrer Ziele benutzen“ ist man jedoch irritiert.

Das ergibt sich wiederum daraus, dass der Autor gar nicht vorhat, Begriffe, wie er behauptet, im „Sinne der Definitionen“ zu verwenden. Er schreibt, dass es ihm darum geht, „die Inhalte des Begriffsraums ‘antifaschistisch, Antifaschismus und Antifaschistische Aktion, Antifa’ „ zusammenzufassen.

Eine Definition ist, im Sinne der Ankündigung des Autors, die „Bestimmung eines Begriffs“, also die Herstellung von Einigkeit über die Bedeutung eines Wortes. Ein Begriffsraum ist etwas anderes. [1]

Beides hat miteinander so viel zu tun wie Haie mit Wölfen. Hier ist die Gemeinsamkeit: beides sind keine Menschen.

Stimmungsmache im pseudowissenschaftlichen Gewand

Der Autor schreibt, er wolle eine Definition schaffen, um die Diskussion zu vereinheitlichen, will aber in Wirklichkeit nur einen Begriffsraum, basierend auf den Grundbegriffen „antifaschistisch, Antifaschismus und Antifaschistische Aktion, Antifa“ durch seine subjektive Erklärung besetzen.

Er will also nicht „Begriffe mit präzisen Inhalten innerhalb der Piratenpartei nutzen“, sondern er will Begriffe mit von ihm definierten Inhalten „innerhalb der Piratenpartei genutzt wissen.“
Um sich einen Anstrich der Objektivität zu geben, wird betont „Ich möchte Erklärungen bei denen finden, die die Begriffe für sich als Selbstbeschreibung und zur Durchsetzung ihrer Ziele benutzen.

Hört sich gut an und wäre auch ein Ansatz, sich über Gruppen zu informieren. Was dann folgt, ist aber niederschmetternd.

Der Autor nimmt einen Wiki-Eintrag und Auszüge aus DREI Texten, ca. 600 Worte insgesamt, um zu schlussfolgern, dass sich aus den Texten etwas „herauskristallisiert“. 600 Worte reichen dem Autor, ein Weltbild zu klären?

Binsenweisheiten, Platitüden und Populismus

Der Erkenntnisgewinn sieht wie folgt aus:

Antifa nennt sich ‘antifaschistisch’ und Antifa benutzt den Antifaschismusbegriff

Es bedarf also einer Textanalyse, um zu dem Schluss zu kommen, dass Antifaschisten sich als Antifaschisten bezeichnen und „den Antifaschismusbegriff“ benutzen?
Das erste ist eine Binsenweisheit, das zweite ist, den Texten nach zu urteilen, schlicht erfunden.

Einerseits, weil in den wiedergegebenen Texten das Wort „Antifaschismusbegriff“ oder gar eine Definition von Antifaschismus, die auf das Vorhandensein eines „Antifaschismusbegriffs“ hindeutet, gar nicht auftaucht. Zweitens, weil es „den Antifaschismusbegriff“ gar nicht gibt. Es gibt diverse Definitionsversuche von Antifaschismus. Diese reichen von Hannah Arendt über Adorno, Horkheimer, Marcuse, Abendroth bis hin zu dem Antifaschismusbegriff der CDU. Denn auch die CDU hat eine eigene Auffassung davon, was Antifaschismus sei, einen eigenen Antifaschismusbegriff.

Dass „die Antifa“ „den Antifaschismusbegriff“ der CDU vertritt, wäre mir allerdings neu.

‘Antifaschismus’ ist nicht allein Kampf gegen Faschismus.

Die nächste Binsenweisheit.
Klar ist Antifaschismus viel mehr als schlichter Kampf gegen Nazis. Antifaschismus umfasst ebenso den Kampf gegen Rassismus, die Entdemokratisierung der Gesellschaft durch Mittel wie die VDS oder Internetzensur und vieles andere. Was ist daran verwerflich? Fiele es mir ein, ich würde es bekanntgeben.

Herrschaftsverhältnisse

Der Autor formuliert den Satz: „gegen Herrschaftsverhältnisse, d.h. auch gegen jegliche Machtverhältnisse und so auch gegen jegliches Staatswesen, auch demokratisch gewähltes…“. Ich verweise mal nicht darauf, dass das Wort „Herrschaftsverhältnisse“ einschließlich der daraus folgenden Ableitung in den Zitierten Texten nicht Vorkommen. Das wäre zu einfach.

Ich versuche es mal zu erklären: Herrschaftsverhältnisse sind „Beziehungen, die auf Über- und Unterordnung beruhen; [Also die] Beziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten“.
„Das Herrschaftsverhältnis zwischen Mann und Frau aufrechterhalten wollen“ schreibt der Duden als Beispielsatz. Auch die Sklaverei, wie es sie heute noch gibt, stellt ein Herrschaftsverhältnis dar. Auch das Verhältnis von „Fallbearbeiter“ zum ALG 2 Empfänger ist ein Herrschaftsverhältnis.
Es ist also an sich nichts schlechtes, gegen bestimmte, ungerechte Herrschaftsverhältnisse zu sein. Es sei denn, man ist der Autor. Denn dann bedeutet „gegen Herrschaftsverhältnisse“ zu sein „auch gegen jegliche Machtverhältnisse“ zu sein. Im zwischenmenschlichen Umgang nennt man so eine Ableitung bestenfalls eine billige Übertreibung, in der Politik Populismus.

Zusammenfassend kann ich sagen: der Autor handelt wie jeder Schreiber einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung,indem er sich einzig Texte, die seine Meinung untermauern sucht und sie Analysiert.  [2]

Ps:

Der Autor hat noch einen weiteren Beitrag veröffentlicht. Neben vielen weiteren, auf Vorurteilen beruhenden Ausgrenzungen schreibt er auch den folgenden, extrem bemerkenswerten Satz: „Die Piratenpartei sollte Personen, die sich als „antifaschistisch“ bezeichnen und damit meinen, gegen rechtsradikales, totalitäres, rassistisches, diskriminierendes Verhalten anderer zu sein, aufklären und bitten, die Begrifflichkeiten und Symbole, die sie nutzen, zu ändern.

Der Rabbiner, der die jüdische Kultusgemeinde die ich hin und wieder besuche, religiös betreut, bezeichnet sich als „antifaschistisch“.
Das Zeichen seines Antifaschismus ist, u.a. seine Kippa. Ich werde ihn sicherlich nicht bitten, die Begrifflichkeiten und Symbole, die er nutzt, zu ändern.

Der Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe bezeichnet sich, ebenso wie der DGB Vorsitzende, als „antifaschistisch“. Ich weiß zwar nicht, welche Begrifflichkeiten und Symbole sie benutzen, aber werde ich sie bitten, diese zu ändern? Im Leben nicht.

Auch ich bezeichne mich als „antifaschistisch“.  Das Symbol, unter dem ich in der Regel gegen Nazis kämpfe, ist die Regenbogenfahne. Und warum genau ich auf dieses Symbol verzichten soll, weiß ich nicht. Ich will es aber auch nicht wissen, weil alleine das Ansinnen eine Beleidigung wäre.

Ich weiß ebenso nicht, was der Autor mit seinem perpetuierenden Wiederholen der Floskel von den  „demokratischen Strukturen“ sagen will. Ein Staat ist demokratisch. Das ist abhängig von von bestimmten Grundvoraussetzungen. Diese beinhalten die Achtung bestimmter Grundrechte. Macht das diese Demokratien sakrosankt für Veränderungen? Dann müsste sich die Piratenpartei ganz schnell auflösen, denn sie will einer Veränderung der Demokratie.

Zusammenfassend lässt sagen: um Klärung von Begriffen oder ähnlichen geht es in keinen von Beiden Beiträgen. Sondern um Meinungshoheit. Es geht darum, Menschen in der Piratenpartei als Antidemokraten zu denunzieren. Und letztendlich geht es darum, Menschen, deren Meinung dem Autor nicht passen, aus der Piratenpartei zu drängen. Das an einem bunten Lappen aufzuhängen ist schlicht eine Farce.

Danksagungen:
Diesmal gilt mein dank für inhaltliche Kritik, Text und Rechtschreibkorrektur an @sospirati @Bunny_Riot  @Bolkerito sowie @superian_p für eine letzte  Rechtschreibkorrektur.

Anmerkungen:

[1] “Rudolf A. Hanel  schreibt über den Begriffsraum „dass es möglich sei, einen vergleichsweise kleinen Kanon von Grundbegriffen zu isolieren, mittels dessen der gesamte Begriffsraum – unsere Realität – erklärt werden kann. Es ist aber unzulässig daraus zu schließen, dass es eine eindeutig formulierbare Realität gäbe. Im Gegenteil: Es werden sich viele verschiedene Grundmengen zusammenstellen lassen, die den gesamten Begriffsraum durch unterschiedliche, auf den Grundbegriffen aufbauende Erklärungshierarchien erzeugen. Es ist möglich, dass sehr unterschiedliche Erklärungslogiken auf sehr verschiedene Arten über die gleichen Dinge sprechen. Zwei Individuen mit unterschiedlicher Begriffslogik müssen sich demnach nicht unmittelbar verstehen können.”Rudolf A. Hanel, Der Prozess Wissenschaft

[2] Das Tragische ist ja, dass ich, wenn die „herauskristallisierten Fakten“ in der ihnen angemessenen Form präsentiert worden wären, fast alles geteilt hätte. Stünde dort: „Für die Antifaschistische Linke ist ‘Antifaschismus’ immer anti-kapitalistisch und für die Auflösung der Eigentumsordnung, “ so hätte ich milde gelächelt und mir „ja, und wo ist nun der Erkenntnisgewinn?“ gedacht. Wenn dort stehen würde „Für Antifa-Gruppen, die die Rote Flora unterstützen, ist ‘Antifaschismus’ tief verwurzelt in marxistisch-leninistischer Ideologie oder verlangt nach Anarchie“ hätte ich gesagt: „Ok, die Formulierung ist Blöde, aber der Rest stimmt“.

Ich bin weder Anarchist noch Autonomer und, im Gegensatz zu anderslautenden Behauptungen, auch kein „antideutscher Autonomer“. Die in vielen, vielen Texten einzelner Gruppen der autonomen Antifa steckenden „Inhalte“ teile ich nicht und werde sie auch nie teilen. Ihre sinnbefreite Vermengung von Marx, Lenin, operaismo und Anarchismus treibt mir häufig Lachtränen in die Augen.

Nichtsdestotrotz halte ich sie, im Rahmen des Kampfes gegen Nazis, Rassismus und die Ent-Demokratisierung des Staates für Bündnispartner, mit denen ich themabezogen zusammenarbeite.

Und ich halte nichts von platten, substanzlosen Verallgemeinerungen wie denen des Autors. Die treiben mir nämlich auch die Tränen in die Augen. Vor Schmerzen.

 

Dies ist ein Gastbeitrag von Peter @kpeterlbw Laskowski.

 

 

KOMPASS-Hinweis:

Im Rahmen unseres Verständnisses von innerparteilicher Demokratie möchten wir mit diesem Gastbeitrag den politischen Diskurs fortsetzen.

Politik passt nicht in 140 Zeichen.

Timecodex

 

2 Kommentare

  1. Es ist schön zu sehen, dass nach den, auch in meinen Augen sehr Realitäts-verzerrenden Beiträgen von Mitkrieger, nun Peters Antwort darauf veröffentlicht wird. Aber ganz ehrlich: sollen wir jetzt alle unsere Blogbeiträge zum Thema seit Bochum beim Kompass einreichen? Ist das sinnvoll?

  2. Hallo Seb.
    Nein, so ist das nicht gemeint.

    Das Thema „Flaggenstreit“ beherrscht Teile der Partei aber seit einiger Zeit und richtet unsere Energie nur nach innen.

    Da es aber so kontrovers aufgenommen wird, muss die Partei es vielleicht auch einmal diskutieren, am Besten „Live“ bei einer Face-2-Face-Veranstaltung.
    Twitter taugt nicht für ernsthafte Diskussionen.

    Meiner Ansicht nach geht es hier wieder nur um kleine Differenzen, gegen den Faschismus sind wir alle, es sind wohl eher Nuancen in der Wahrnehmung.

    Ich denke, das Thema muss jetzt ausdiskutiert werden, wir brauchen alle Energie für die Europa-, und die Kommunalwahlen.

    Wenn wir nicht genauso schlecht abschneiden wollen wie bei der BTW, müssen wir gemeinsam z.B gegen die AFD Wahlkampf bestreiten, nicht gegen uns Piraten

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