Am Freitag stimmte der Bundestag mit überwältigender Regierungsmehrheit der Vorratsdatenspeicherung zu: über 72 Prozent der „Groko“-Abgeordneten sagten „Ja“ zur wochenlangen Bürger-Bespitzelung auf Verdacht (wir berichteten).
Das Gesetz wurde ohne Diskussion im Eilverfahren durchgepeitscht. CDU und CSU waren eh für dieses Sicherheitstheater. Von der SPD gab es anfangs Widerstand. Ihre Mandatsträger wurden jedoch im Juni von Politikern wie Thomas Oppermann und Hannelore Kraft während des „Parteikonventes“ sozusagen sicherheitspolitisch mit der Union gleichgeschaltet.
Trotz aller Fakten, die dagegen sprechen, obwohl das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt haben, hat der Deutsche Bundestag nun die Unschuldsvermutung abgeschafft und alle telefonierenden und netznutzenden Bürger unter Generalverdacht gestellt.
Stefan Körner, Bundesvorsitzender der PIRATEN:
„Die Vorratsdatenspeicherung bedeutet nichts anderes als die anlasslose und lückenlose Überwachung sämtlicher Bürger. Für den Staat sind wir nun alle mutmaßliche Terroristen oder schwere Straftäter.“
Viele Digital-Aktivisten, bürgerrechtliche Organisationen und Berufsverbände kündigten Verfassungsbeschwerde an.
Auch die Piratenpartei Deutschland wird erneut gegen die Vorratsdaten klagen. PIRATEN-Datenschutzexperte Patrick Breyer bloggte: „Natürlich werden wir auch gegen das neue Gesetz wieder Verfassungsbeschwerde einlegen“. Breyer kippte bereits die alte Vorratsdatenspeicherung 2010 per Verfassungsbeschwerde, eine weitere Beschwerde zur VDS-ähnlichen „Bestandsdatenauskunft“ liegt seit mehreren Jahren unverhandelt bei den Verfassungsrichtern.
Wolfgang Kubiki, FDP-Vize, wird sich ebenfalls an die Verfassungsrichter wenden.
Die Netzaktivisten von DigitalCourage e.V. legen mit Rechtsanwalt Meinhard Starostik Verfassungsbeschwerde ein. Sie rufen auf ihrer Webseite auf, diese mitzuzeichnen und dafür zu spenden. Auch der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ruft zur Unterstützung dieser Verfassungsbeschwerde auf. LINK
Der IT-Lobbyverband Bitkom moniert die Rechtsunsicherheit für Digitalunternehmen. Außerdem kritisiert er die „Kosten in dreistelliger Millionenhöhe“, die dann mehr oder weniger auf das überwachte Volk durchgereicht werden dürften. Grundsätzlich wird Bitkom-Sprecher Bernhard Rohleder gegenüber der FAZ: „Es ist fraglich, ob die angestrebten Ermittlungserfolge einen derart starken Eingriff in die Grundrechte der Bürger rechtfertigen.“ LINK.
Die Ärztezeitung notiert die Problematik für den medizinischen Bereich: Geheimnisträger wie es Ärzte sind, werden nicht von der Datenspeicherung ausgenommen. Die Strafprozessordnung regelt in Paragraf 100g Abs. 4 zwar, dass die Erhebung der Daten von Geheimnisträgern, über die diese das Zeugnis verweigern dürfen, unzulässig ist – sie also nicht verwertet werden dürfen. Gleichzeitig werden nur Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen, die anonyme Beratung anbieten, von der Datenspeicherung verschont. Die Daten der übrigen Geheimnisträger lassen sich jedoch nicht vorab herausfiltern. Es zeigt sich erst beim Zugriff, ob jemand Arzt, Jurist oder Tatverdächtiger ist. LINK