Kompass – Zeitung für Piraten

Kampfansage gegen TTIP/TAFTA: freie Fahrt vor die Wand / KOMPASS 2013.4

Bürgerrechte 

Die transatlantische Freihandelszone schafft nicht nur Zollschranken, sondern auch wie seinerzeit ACTA viele Bürgerrechte ab.

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ANKE DOMSCHEIT-BERG – FOTO KOMPASS be-him -CC BY NC-ND

CC BY-SA Anke Domscheit-Berg

(Auszüge aus der Rede von Anke Domscheit Berg auf dem 10. Landesparteitag der PIRATEN Brandenburg)

Bundestagswahlkampf September 2013: Es gibt Piraten, die haben Tausende von Kilometern zurückgelegt, um zig Infostände zu machen, unzählige Plakate auf- und auch wieder abzuhängen oder tausende von Flyern per Hand zu verteilen. Wir haben uns mit neuen und mit bewährten Wahlkampfaktionen engagiert, mit jeder Menge Kryptoparties, haben auf bildstarke Weise die Tatsache der Rundumüberwachung von Bürgerinnen und Bürgern deutlich gemacht hat.

Alle die, die bei einer der Übernachtungsaktionen im Gläsernen Mobil dabei waren, werden sich noch gut daran erinnern, wie schlecht es sich darin schläft, aber auch was es für psychische Wirkungen auf einen hat, wenn man von überall her beobachtet werden kann. Wir haben so mit kreativen und eigenen Methoden vermitteln können, was eigentlich schwer vermittelbar ist – der gläserne Bürger.

Aber trotz allen Engagements, und obwohl wir auch keinen Mangel an Medienpräsenz zum Sommerthema NSA-Überwachung hatten, war es für Wählerinnen und Wähler eben doch kein entscheidendes Thema. Soziale Fragen, wie Harz4, Miet- und Strompreise, Mindestlohn, Arbeitsplätze und dergleichen waren viel wichtiger.

Neue Wahlchancen

Schon im Mai stehen die nächsten Wahlen an, für die wir durchaus gute Chancen haben. Bei der Europa-Wahl gibt es nur eine 3-Prozent-Hürde und die ist ja wohl schaffbar! Jedenfalls in Zeiten, in denen sich die großen Parteien weiter unglaubwürdig machen, nicht nur aber vor allem auch im Zusammenhang mit der Aufklärung der Massenüberwachung durch ausländische Geheimdienste. Es fehlt eine starke Haltung Deutschlands gegen die USA, aber auch gegen das EU-Mitgliedsland Großbritannien.

Wo bleibt denn das EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen England, wann wird der britische Botschafter ins Außenministerium einbestellt? Warum entrüsten sich Politiker der Regierung über die Tatsachen und Rechtsverletzungen, die die Informationen von Edward Snowden ans Tageslicht brachten. aber weigern sich dann, ihm hier in unserem Land Schutz zu gewähren?

Hat es im September viele Menschen noch nicht so aufgeregt, dass wir als ganzes Volk überwacht werden, so gab es doch mit der Merkelphone-Affäre eine Veränderung in der öffentlichen Wahrnehmung. Die plötzliche Aufregung der Kanzlerin stand in krassem Widerspruch zu ihrer Gelassenheit, als es bloß um die Telefone und Emails von Erika und Otto Normalwählerin ging. Viele Menschen werden bemerken, dass bei den Koalitionsverhandlungen nicht ein größerer Schutz ihrer Privatsphäre, sondern noch mehr Überwachung herauskommen wird. Das spielt uns zu, aber wie schon im September wird es nicht ausreichen.

Für die Europawahlen werden wir auch auf andere Schwerpunkte setzen, etwa Demokratiethemen und Transparenz. Wieder werden Geheimverträge zwischen den USA und der EU ausgehandelt wie damals bei ACTA. Wieder sind sie von Lobbyisten geschrieben und nur durch einen Leak an die Öffentlichkeit geraten. Wieder beinhalten sie unvorstellbare Eingriffe in demokratische Grundrechte und die Souveränität von Staaten zugunsten großer Konzerne, deren materielle Interessen höchsten Stellenwert erhalten sollen. Nationale Schutzrechte wie Umwelt- und Verbraucherschutz werden dann nachrangig sein und Regierungen würden Schadenersatz in Milliardenhöhe aus Steuergeldern zahlen müssen, weil Firmen wegen Wettbewerbseinschränkungen gegen alles das klagen können.

TAFTA/TTIP weg wie ACTA!

Dieses TAFTA-Abkommen würde auch wieder private Urheberrechtsverletzungen massiv kriminalisieren und zur Überwachung des Internetverkehrs durch ISPs führen, es würde Patente für medizinische Eingriffe möglich machen, die es bisher nicht gab, es würde die Herstellung bezahlbarer Generika verzögern und immer würde es bei der Abwägung von Gemeinwohl und Wirtschaftsinteressen zugunsten der Wirtschaft entscheiden – auf Kosten selbst von Menschenleben. Wir dürfen uns dann auch freuen: auf nicht deklariertes Genfood und auf Chlorhähnchen made in USA, die bisher in Europa verboten sind, mit dem Freihandelsabkommen nach Wunsch der USA aber nicht mehr.

Mit diesem neuen Vertragswerk, genannt TTIP – Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wäre die ganze Debatte um direkte oder repräsentative Demokratie egal, weil keine davon mehr eine ausreichende Rolle spielen könnte, weil an erster Stelle internationale Großkonzerne stehen werden und was die Bedürfnisse ihrer Geldgeber sind, aber nicht, was ein Volksentscheid oder ein Parlament beschlossen haben.

Wir müssen gegen solche Auswüchse vorzugehen und mit aller Kraft verhindern, dass ein solcher Vertrag von Deutschland mit unterzeichnet wird. Deutschland ist in der EU die wichtigste wirtschaftliche und politische Macht. Es wird entscheidend sein, ob wir dieses Agreement mittragen oder nicht. Wir müssen massiven Druck auf die Straße bringen, um das zu verhindern. Es darf kein zweites, und noch viel schlimmeres ACTA geben.

ACTA wurde verhindert, weil Millionen Menschen auf der Welt sich in unzähligen Aktionen dagegen gewehrt haben. Gegen den menschenfeindlichen Inhalt aber auch gegen den intransparenten, höchst undemokratischen Prozess seiner Entstehung, der auch jetzt wieder der gleiche ist. Die Zivilgesellschaft ist dabei außen vor, die Lobbyisten schreiben an den Entwürfen fleißig mit und sind immer im Bilde. Die Piraten waren eine der Kräfte, die sich mit vielen anderen gegen ACTA verbündeten und durch diesen gemeinsamen Widerstand ACTA verhindert haben.

Dranbleiben!

Wir werden uns dazu wieder mit anderen verbünden, online und offline mobil machen und eine Lanze für Transparenz und demokratische Prozesse auf Europäischer Ebene brechen, gegen die Übermacht des Lobbyismus. Wir werden unsere internationale Stärke dabei zeigen.

Uns werden Wahlergebnisse nicht in den Schoß fallen, aber für uns spielt die Zeit. Wir sind keine Übernachtpartei, die mal eben ein paar Protestwähler toll finden, auch wenn das eine Zeitlang Gott und die Welt so gedacht haben. Wir sind eine Partei für die digitale Gesellschaft, und für die Zukunft, und wir werden einen langen Atem haben und haben müssen. Auch die Grünen haben lange gebraucht, bis sie in Parlamente eingezogen sind.

Hätten sie damals nach den ersten Niederlagen aufgegeben, säßen sie heute nicht in Landesregierungen und würden keinen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg stellen. Bei allem Chaos und anfänglicher Selbstzerfleischung haben die Grünen nämlich Durchhaltevermögen im Interesse der Sache gezeigt. Genau deshalb gibt es für uns keinen Grund, pessimistisch zu sein! Es gibt im Gegenteil, jede Menge Anlass für Optimismus und Wahlkampflust.