Bundesvorstandswahlen der Piratenpartei Deutschland 2013-2014
Kandidateninterviews
KOMPASS:
Wie jedes Jahr entscheidet ein Bundesparteitag der Piratenpartei Deutschland über die Zusammensetzung des Bundesvorstandes.
Es treten neben Dir noch einige weitere Kandidaten an, die ebenfalls einen Platz in diesem Gremium erringen wollen.
Wir möchten Dich bitten, unseren Lesern ein paar persönliche Informationen über Dich zu geben, damit sie einen Eindruck davon gewinnen können, wen sie wählen, wenn sie Deinen Namen ankreuzen.
Christophe Chan Hin:
Christophe Chan Hin, 32 Jahre. Ich habe Kommunikationsdesign studiert und arbeite angestellt in einem Designbüro. Auf Twitter bin ich als @incredibul unterwegs.
KOMPASS: Kommen wir nun zum Fragenkatalog:
1) Für welchen Posten im Bundesvorstand kandidierst Du?
Christophe Chan Hin:
Stellvertretender Vorsitzender.
2) Aus welchem Grund kandidierst Du?
Christophe Chan Hin:
Ich bin als Beisitzer in den Bundesvorstand nachgewählt worden, eine halbe Amtszeit, die im Wahlkampf startet, ist letztlich zu wenig, um die von mir geplante Neustrukturierung der Öffentlichkeitsarbeit umzusetzen. Und ja, es macht mir auch Spaß.
Hauptprojekt bleibt es für mich, bei der Öffentlichkeitsarbeit Ziele zu definieren und zu überlegen, wie man diese erfüllt:
Das heißt zum einen die Aufteilung in Pressearbeit, Werbung und Politische Bildung und eine ständig arbeitende Strategiegruppe, die sich überlegt, wie genau man welche Themen kommunizieren möchte.
Auf der inhaltlichen Ebene glaube ich, das die Frage der Öffentlichkeitsarbeit zu oft verwendet wird, um uralte Richtungskämpfe auszutragen. „Wir müssen mehr Kernthemen machen“, heißt es dann (dabei wird das Kernthema nicht benannt) oder (meistens auf der anderen Seite) „Wir brauchen eine Vision“.
Meiner Meinung nach sollten diese Frage innerparteilich geklärt werden. Für die Öffentlichkeitsarbeit sind andere Fragen meiner Meinung nach entscheidender: Wollen wir eine mahnende „The End is near“ Partei sein, die den Wählenden erpresst („Wenn ihr uns nicht wählt, geht die Demokratie den Bach runter!“) oder eine, die positiv alternative Konzepte präsentiert, die den jungen Menschen zeigt, dass ihr Leben nicht nur Abarbeiten von Aufgaben ist, sondern auch das setzen von gesellschaftlichen Zielen und gemeinsames Streiten für die Sache?
Als Partei, die mit Glück noch in ein paar Parlamente kommt, wird es Zeit, an echten Konzepten zu arbeiten und diese dann auch in einfachen Worten zu vermitteln.
3) Was sind Deine politischen Ziele?
Christophe Chan Hin:
Ich hätte gern eine Politik (nicht nur) in Deutschland, die nicht nach dem Primat der Nation ausgerichtet ist, sondern globale Herausforderungen auch global angeht.
In einer globalisierten Welt, in der große Unternehmen, die Geheimdienste und Armeen über Nationengrenzen hinweg vernetzt sind, ist es Zeit, eine globale Grundrechtsbewegung auf die Beine zu stellen.
Global geteiltes Wissen und globale Freie Kultur sind dafür meines Erachtens Grundvoraussetzung.
4) Welche Eigenschaften machen Dich zum geeignetsten Kandidaten für den Vorstand?
Christophe Chan Hin:
Ich kann Leute begeistern, kann innerhalb der Partei mit jedem professionell Zusammenarbeiten. Das mit dem Delegieren kann ich auch ganz gut.
5) Wie stehst Du zu Quotierungen bei Ämterbesetzungen?
Christophe Chan Hin:
Ich bin ein Befürworter der Quote in Unternehmen, bei der Piratenpartei war ich es auch. Mittlerweile glaube ich, dass erst mal ein anderes Problem gelöst werden muss:
Ich habe drei Frauen, die ich für überaus geeignet halte, gebeten, für den Bundesvorstand zu kandidieren, und ich habe dreimal die Antwort bekommen, dass das Amt ein zu großer Einschnitt in den Berufsstart und die Erwerbstätigkeit ist.
Das heißt: Ich bin zwar für eine Quote, aber gebe den Kritikern im Konkreten Fall „Piratenpartei“ recht, dass das in dem Fall nur Symptome behandelt.
Wir müssen die Anreize, ein Amt in der Piratenpartei zu besetzen, erhöhen.
Das kann entweder Bezahlung sein oder bezahlte Angestellte, wobei ich letzteres favorisiere.
Dennoch würde ich das Experiment Quote befürworten. Die Quote erhöht den Druck auf die Partei, sich zu überlegen, wie man Talente innerhalb der Partei ermittelt. Das heißt: Auch die eigene Kultur infrage zu stellen und zu öffnen.
Ich habe zum Thema Quoten auch schon mal gebloggt: http://mannheimer-salon.de/?p=120
6) Wie stellst Du Dir diese quantitativ vor?
Christophe Chan Hin:
Nur auf Bundes- und Landesebene, min. 30% des jeweils anderen Geschlechts vertreten.
Sie sollte auf fünf Jahre beschränkt werden und dann verfallen. Die fünf Jahre müssen als Kickstart dann auch genutzt werden, Kultur und Struktur der Piratenpartei einladend für Menschen beliebigen Geschlechts zu machen und Vorstandsämter attraktiv zu machen.
7) Aus welchen Personen würde sich Dein Lieblingsvorstand zusammensetzen?
Christophe Chan Hin:
Ich kann mit den meisten gut zusammenarbeiten, vermisse auf der Kandidierendenliste jedoch: Marina Weisband, Katharina Nocun, Miriam Seyffarth, Lena Rohrbach, Marcel-André Casasola-Merkle und Korbinian Polk.
8) Wie groß sollte Deiner Meinung nach der Bundesvorstand sein?
Christophe Chan Hin:
Neun Leute ist gut, weniger halte ich für einen Fehler. Es gibt aus meiner Erfahrung heraus genügend Bereiche, und es entstehen in der Regel mindestens zwei Teams (ein Verwaltungs- und ein Öffentlichkeitsarbeitsteam, meistens dann auch noch so was wie interne Vernetzung) innerhalb des Bundesvorstands.
Es gibt ja Definitionen, nach denen ein Arbeitsfähiges Team optimalerweise 3-5 Leute hat. Wichtiger als die Anzahl ist meines Erachtens, dass die gewählten Menschen kompromissfähig sind.
9) Wie stehst Du zur Bezahlung von Vorständen oder Mitarbeitern?
Christophe Chan Hin:
Vorstände müssen wenn, dann gleich richtig bezahlt werden, wenn das Ziel die Aufgabe der Erwerbsarbeit ist. Wenn wir da irgendwie 500€ im Monat bezahlen und dann von den Vorständen erwarten, dass sie vier Stunden mehr Zeit jeden Tag haben, bringt das gar nichts.
Ein Halbtagsjob ist schwer zu kriegen, gerade für junge Leute, die in den Beruf starten. Ich bevorzuge bezahlte Mitarbeiter die nach klaren Kriterien eingestellt werden und Verständnis von den Mitgliedern der Piratenpartei, dass ein Bundesvorstandsmitglied nicht bei jeder Veranstaltung oder Mumble dabei sein kann.
Ich möchte 2013 die Grundlage dafür setzen und stehe dafür, die Finanzen zuallererst für Personal einzusetzen. Wir brauchen gerade im Hinblick auf BEO und/oder SMV eine akkurate Akkreditierung. Das geht nur mit einer professionellen Verwaltung.
10) Hast Du bereits Erfahrung in Parteiämtern sammeln können?
Christophe Chan Hin:
Ja.
11) Wenn ja, welche hast Du bisher ausgeübt?
Christophe Chan Hin:
Ich trete erneut an und war vorher einer der Nachrücker in den Bundesvorstand 2012/2013. Vorher war ich stellvertretender Vorsitzender im Bezirksverband Karlsruhe.
12) Bist Du vor Deiner Mitgliedschaft in der Piratenpartei bereits in einer anderen Partei gewesen?
Christophe Chan Hin:
Nein.
13) Wie verortest Du Dich politisch?
Christophe Chan Hin:
Links. Liberal. Digital.
14) Siehst Du den BuVo als ein administratives (verwaltender Vorstand), oder als ein politisches Amt?
Christophe Chan Hin:
Ohne funktionierende(n) SMV/BEO bedeutet ein verwaltender Vorstand, dass es einfach keine Entscheidungen gibt. Defacto ist bei der Verwaltung auch politisch viel Macht, insofern halte ich die Unterscheidung schon für sehr schwierig.
Spätestens wenn Geld knapp wird ist schon jede Fahrtkostenerstattung eine politische Entscheidung. Letztlich zielt die Frage aber vermutlich darauf ab, ob ich im Vorstand auch politische Aussagen machen würde.
Ja, das würde ich, wenn sie vom Programm gedeckt sind, und würde diese eben auf meine Art erklären.
15) Wie stellst Du Dir eine Kommunikation zwischen Basis und Vorstand vor?
Christophe Chan Hin:
Qualitativ (status Quo) über LQFB und LimeSurvey, Quantitativ über Beteiligungsstrukturen in der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation über Kanäle wie Mail, Mumble, Twitter, etc.
Ein gut zusammenarbeitender Bundesvorstand mit Vertretern verschiedener Strömungen ist meiner Erfahrung nach auch ein sehr guter Shitstormradar. Die eigene Filter Bubble findet zumindestens meistens alles prima was man macht, und es sind dann oft Kollegen im BuVo, die einen drauf hinweisen, das bei der ein oder anderen Entscheidung größerer Erklärungsbedarf da ist.
16) Was sind SMV und Liquid Feedback für Dich?
Christophe Chan Hin:
Ich bin klarer Befürworter einer SMV mit Liquid Feedback, glaube aber das es für die Piratenpartei schwer wird, eine gute Software zu bauen.
17) Wie stellst Du Dir in Deinem Vorstandsamt die Kommunikation mit Presse, Funk und Fernsehen vor?
Christophe Chan Hin:
Ich würde bei Kontakten mit Medien in erster Linie darauf achten, strategische Leitlinien, die in der Öffentlichkeitsarbeit erarbeitet werden, auch auf dem Kanal weiterzutragen. Im Idealfall schlagen die Aussagen der Gesichter der Piratenpartei in die selbe Kerbe wie die Infostandaktion von Kreisverband X.
18) Hast Du in diesem Bereich bereits Erfahrung sammeln können?
Christophe Chan Hin:
Ja, ich hatte für einen Beisitzer überraschend viele Interviews zur Wahlkampfplanung.
19) Bist Du für zentrale oder dezentrale Organisationseinheiten in der Öffentlichkeitsarbeit?
Christophe Chan Hin:
Ich habe die SG Gestaltung mitgegründet und die ist dezentral organisiert. Ich glaube allerdings auch, dass es manchmal besser ist, das kleine Gruppen was erarbeiten und die Konzepte dann gegeneinander konkurrieren.
Konkret ist das bei Gestaltung, Softwareentwicklung und Strategie der Fall, ich halte Design by Committee („Zuviele Köche verderben den Brei“) für einen großen Fehler.
Erfahrungsgemäß sind Strategien und Designs, bei denen sehr viele Leute mitarbeiten, am Ende der kleinste gemeinsame Nenner und sprechen exakt niemanden mehr direkt an, sondern beschallen alle nur ein bisschen.
20) Was sind Deiner Meinung nach die drei „Essentials“ der Piratenpartei?
Christophe Chan Hin:
Der globale Austausch von Kultur und Wissen, Dezentrale Strukturen statt Hierarchien, Antidiskriminierung
21) Welche sind Deine drei wichtigsten Punkte im Wahlprogramm?
Christophe Chan Hin:
Von meinem beruflichen Hintergrund als Kommunikationsdesigner interessieren mich persönlich am stärksten die Themen, die mit Informationsvermittlung und/oder Kultur zu tun haben. Das heißt: Transparenter Staat, Freie Kultur (aus unserem Kulturverständnis leiten sich meiner Meinung nach auch unsere Positionen zu Antidiskriminierung ab, das habe ich hier mal verbloggt http://mannheimer-salon.de/?p=61 ), freie Infrastruktur (dazu gehören ganz unterschiedliche Dinge, wie Fahrscheinloser ÖPNV, Netzneutralität, Wasser und Strom in kommunaler Hand).
22) Die drei größten Strukturprobleme in der Piratenpartei sind für Dich….
Christophe Chan Hin:
Wir brauchen eine stärkere Verzahnung der Themenbeauftragten mit der Öffentlichkeitsarbeit, einen Vertrauensvorschuss für Leute, die Mitarbeiten wollen (aber dafür auch klare und auch umgesetzte Regeln, warum jemand ausgeschlossen werden kann, der sich wie ein Arsch aufführt):
Das nenne ich mal „Hackerspace statt Lastenheft“, und eine kritische Betrachtung,
23) Was macht die Partei Deiner Ansicht nach „richtig“ oder „falsch“?
Christophe Chan Hin:
Richtig: Tolle Dynamik (siehe Kryptoparty-Kampagne, ACTA), die nur noch mehr strategisch an einem Strang ziehen müsste,
Falsch: Zu viel Empörung, zu wenig Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft.
24) Wie stehst Du zum „Bedingungslosen Grundeinkommen“?
Christophe Chan Hin:
Befürworte ich.
25) Wo siehst Du die Piratenpartei in einem Jahr?
Christophe Chan Hin:
Im Europaparlament, Kommunalparlamenten in 11 Bundesländern, in den Landesparlamenten Thüringen, Sachsen und Brandenburg.
Interview mit Christophe Chan Hin zur Kandidatur BuVo 2013 – 2014
Kompass: Christophe Chan Hin, vielen Dank für das Gespräch.
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