Vor wenigen Tagen stimmte das Europarlament der verwässerten „Netzneutralität“ zu. Damit ist der Weg frei für diverse Schikanen im häuslichen Internetzugang.
Umgehend wurden industrielle Begehrlichkeiten geweckt: nur einen Tag danach verkündete die halbstaatliche deutsche Telekom Internet-Extragebühren für Videokonferenzen, Telemedizin, automatisierte Verkehrssteuerung oder Online-Gaming. In Zukunft werde es möglich sein, einen Dienst für ein paar Euro mehr in gesicherter Qualität zu buchen, verspricht Telekom-Boss Timotheus Höttges:
Gemeinsam haben diese Dienste, dass sie andere, teilweise höhere Qualitätsanforderungen haben als das einfache Surfen oder die E-Mail, die auch ein paar Millisekunden später ankommen kann. Eine Videokonferenz sollte beispielsweise auch zu Stoßzeiten im Netz nicht ins Stocken geraten. Deshalb muss die Möglichkeit bestehen, dass die Daten empfindlicher Dienste im Stau Vorfahrt bekommen.
Das ganze garniert mit ein paar Spins aus der PR-Abteilung.
Ausblick Drosselnetz
Das ist zu erwarten: der nicht spezialvergütete Bereich wird – mit der gleichen Stasi-Technik, die die Telekom auch für Vorratsdaten einsetzt – faktisch so heruntergedrosselt, dass es ohne Extra-Euros keinen Spaß mehr macht. Das ist Drosselkom reloaded.
Es gibt dann nicht nur das Zwei- oder Mehr-Klassen-Netz, sondern auch das Zensur-Netz oder das Ausspäh-Netz. Der Unterschied zwischen Internet in Diktaturen und Deutschland ist dann nur noche Konfigurationsoption, ein oder zwei Klicks im Telekom-Rechenzentrum.
Freilich sind Internet-Extrafeatures bereits schon in der Vergangenheit üblich und möglich gewesen, allerdings bezogen auf den kompletten DSL-Anschluß und eben nicht einzeln spezialtransportierte Datenpakete im großen Datenstrom.
- Verschiedene Internetprovider bieten zum Beispiel das DSL-„Fast Path“ für einen kleinen Zusatzbetrag an, das verspricht geringere Latenz (Antwortzeiten) auf dem Weg von der örtlichen Vermittlungsstelle bis zum Heimrouter. Gamer mögen das.
- Ausserdem besteht immer die Möglichkeit, verbesserte Netzanschlüsse zu buchen, nämlich auch mit einem hohen Upload, dies dann aber zu Geschäftstarifen und entsprechend höheren Kosten.
Bruno Kramm, Landesvorsitzender der PIRATEN Berlin, hat zu dem Thema ein Video gedreht. PIRATEN wollen nicht, dass für bestimmte Internetdienste mehr bezahlt werden muss. Alle Inhalte sollen immer gleich behandelt werden, egal von wem sie stammen. Es darf keine priorisierten Inhalte (Contentprovider und ISP-Pakete) zum Nachteil von Urhebern, Bloggern und Selbstvermarktern geben, ebenfalls keine Kontrolle der Sachverhalte oder Benachteiligung verschlüsselter Inhalte. Kleine, neue Angebote dürfen nicht benachteiligt werden gegenüber großen Anbietern.